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DOI: 10.1055/s-2005-862470
Einfluss des Kohärenzgefühls auf Frühgeburtlichkeit. Eine prospektive Studie
Einleitung: Die Frühgeburtenrate in Deutschland beträgt etwa 7% bei allen Lebendgeburten. Einer Frühgeburt geht bei 35,5% der betroffenen Frauen eine vorzeitige Wehentätigkeit voraus. Nach den niedersächsischen Perinataldaten liegt die Frühgeburtenrate bei Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit bei 33,3% und ist damit bei dieser speziellen Gruppe deutlich erhöht. Für vorzeitige Wehen und Frühgeburtlichkeit werden vielfach psychische Einflussfaktoren wie Stress beschrieben. Vor diesem Hintergrund ist der Einfluss mentaler Faktoren zu prüfen. Das Kohärenzgefühl (sense of coherence (SOC)) stellt eine mentale Bewältigungsressource dar, die dazu befähigt soziale, materielle und psychische Ressourcen wahrzunehmen sowie das Zutrauen zu haben, anstehende Situationen zu meistern. Der Annahme folgend, dass Frauen mit einem hohen SOC Schwierigkeiten während der Schwangerschaft besser bewältigen können, soll die vorliegende Studie ermitteln, welchen Einfluss die Höhe des SOC zum Zeitpunkt der stationären Therapie auf spätere Frühgeburtlichkeit hat.
Methode: Die prospektive Studie an Schwangeren in stationärer Therapie aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit wurde in 13 Kliniken in 11 Städten (Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg) durchgeführt. Zum ersten Erhebungszeitpunkt (t1) erfolgte die Befragung mittels Fragebogen während der stationären Behandlung aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit. Das Kohärenzgefühl wurde zu t1 mit der normierten dt. Kurzform des SOC, der Leipziger Kurzskala, gemessen. Die psychische Befindlichkeit ist durch die dt. Version des HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale) erhoben worden. Die Studie umfasst zu t1 200 Schwangerschaften von vorwiegend Erstgebärenden. Der zweite Erhebungszeitpunkt (t2), post partum, wurde überwiegend als Telefoninterview durchgeführt. Für die Datenauswertung wurden ausschließlich Frauen mit der Aufnahmediagnose vorzeitige Wehentätigkeit und Einlingsschwangerschaften eingeschlossen (n=103). Die Angaben zur Geburt ermöglichten die Einteilung in Frauen mit Frühgeburt vs. Termingeburt nach t2.
Ergebnisse: In der hier vorgestellten Stichprobe beträgt die Frühgeburtenrate 32%. Die SOC-Mittelwerte unterscheiden sich signifikant im Gruppenvergleich (p=0,037): 46,3 bei Frauen mit Frühgeburt gegenüber 49,6 bei Frauen mit Termingeburt. Die Einteilung in hohen, mittleren, niedrigen SOC zeigt, dass ein niedriger SOC häufiger bei Frauen mit Frühgeburt (27,3%) als mit Termingeburt (18,6%) vorliegt. Der auffälligste Unterschied ergibt sich für den hohen SOC: 38,6% in der Termingeburtsgruppe stehen 21,2% bei Frauen mit Frühgeburt gegenüber. Die lineare Regression ergibt einen signifikanten (p=0,023 r=0,224) Zusammenhang zwischen der Höhe des SOC zu t1 und der SSW der Geburt. Danach besteht mit niedriger werdendem SOC stärker die Tendenz zu einer Frühgeburt. Zudem zeigt sich für Depressivitätsskala des HADS ein signifikanter Zusammengang zur SSW der Geburt. Faktoren wie Alter, BMI, Schulbildung, Einkommen erweisen sich als nicht signifikant. Die vorliegenden Daten repräsentieren ca. 80% der zu erwartenden Gesamtstichprobe.
Schlussfolgerungen: Nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Höhe des Kohärenzgefühls bei Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit während der stationären Behandlung und dem späteren Zeitpunkt der Geburt. Offenbar hat die Ausprägung des SOC bei Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit einen stärkeren Einfluss auf die Schwangerschaftsdauer als andere ebenfalls überprüfte Faktoren. Frauen mit Frühgeburt verfügen zu t1 über einen insgesamt niedrigeren SOC. Deshalb ist für die klinische Praxis der prädiktive Wert des SOC zu prüfen. Der SOC-Fragebogen, ein mit 9 Items praktikables Instrument, zeigt auf, wie stark oder schwach das Kohärenzgefühl der schwangeren Frauen ausgeprägt ist. Die klinische Anwendung würde „sichtbar“ machen, welche Frauen über eine umfassende medizinische Versorgung hinaus, Unterstützung auf anderer Ebene benötigen. Die daraus abgeleiteten unterstützenden Maßnahmen könnten den Schwangerschaftsausgang positiv beeinflussen.