Zentralbl Gynakol 2005; 127 - 6
DOI: 10.1055/s-2005-862462

Innere Landschaften – Bilder von Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen während eines stationären Aufenthaltes

P Drachenberg 1, C Klapp 1, JW Dudenhausen 1
  • 1Klinik für Geburtsmedizin, Charité – Virchowklinikum, Universitätsmedizin Berlin, Berlin

Einleitung: Von März bis Dezember 2003 hat eine Kunsttherapeutin einmal wöchentlich mit Schwangeren gearbeitet, die aufgrund verschiedener Schwangerschaftskomplikationen auf einer präpartalen Station behandelt wurden. Dieses Angebot richtete sich vorwiegend an Langzeitpatientinnen und Schwangere, die psychisch sehr angespannt wirkten. Die Erstbilder entstanden immer nach einer Landschaftsimagination. Es entstanden 71 Bilder von 52 Patientinnen. Knapp die Hälfte der insgesamt 52 Patientinnen, die an der Kunsttherapie teilnahmen, malten mehr als ein Mal: die meisten von ihnen zwei bis drei Mal. Der längste therapeutische Prozess ging über sieben Sitzungen. Es ließ sich entwickeln und darstellen, dass besonders die Erstbilder einiges über die aktuelle Gefühlslage der Frauen erkennen lassen. Außerdem wurde den Fragen nachgegangen, ob sich unbewusst konflikthafte Themen und Gefühle im Bild zeigen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich die aktuelle Symptomatik in der Gestaltung niederschlägt und sich (psychische) Ressourcen im Bild zeigen.

Methode: Die Landschaftsbilder und deren Aussagewert, besonders über unbewusste Prozesse der Patientinnen, wurden exemplarisch an zehn Fällen genauer untersucht. Dabei wurden folgende Aspekte jedes einzelnen Falles miteinander verknüpft: die medizinische Situation und der Verlauf der Schwangerschaft, die psychosoziale Situation, die aktuellen emotionalen Situation im Erstkontakt, Besonderheiten zum Verlauf des Gestaltens, Mitteilungen der Patientin über das Bild und Hypothesen zum psychodynamischen Hintergrund. Dies alles wurde in Beziehung zum Bild gesetzt und war die Grundlage einer kunsttherapeutischen Annäherung und Bildanalyse. Am Ende jeder Fallanalyse wurde zusammengefasst, welche Themen und Gefühle sich bewusst und unbewusst im Bild zeigen und welche Bildteile auf die (psychische) Ressourcen der Patientin hinweisen.

Ergebnisse: Die Auswertung zeigte deutlich, dass die Patientinnen beim Gestalten ihrer inneren Landschaften unbewussten Themen und Gefühlen einen Ausdruck geben konnten, die sie auf andere Weise nicht „zur Sprache“ brachten. Die Bilder hatten eine Art „Depotfunktion“ für ambivalente und konflikthafte Emotionen. In fast allen Bildern zeigt sich die Angst und Sorge der Frauen vor der Zukunft. Ebenso häufig gab es aber auch hoffnungsvolle Bildelemente, die Wachstum und Lebendigkeit zeigen. Weitere dominierende Themenkomplexe waren: Einsamkeit, Sich von der Welt abgeschnitten fühlen, Entwurzelung und Leere. Konflikthafte Gefühle wie Ambivalenz zum Kind, Wut, Ärger und Schuldgefühle, manchmal verbunden mit Themen wie Opfer, Strafe und Buße drückten sich symbolisch aus. Bei etwa der Hälfte der Schwangeren deuteten die Bilder auf eine Auseinandersetzung mit vorhergehenden Verlusterfahrungen und wieder aktualisierten Trauerprozessen hin. Es gab deutliche Hinweise darauf, dass sich die aktuelle Symptomatik der Frauen in den Bildern zeigt. Schlussfolgerungen: Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen profitieren von einer therapeutische Begleitung, die darauf abzielt, die Toleranz gegenüber unterdrückter Ambivalenz zu erhöhen und negativen Gefühlen einen geeigneten Ausdruck zu geben. Im bildnerischen Gestalten von Landschaften ist dies nicht nur möglich, sondern wird durch das Auftauchen von Symbolen geradezu herausgefordert. Um die Schwangeren, insbesondere beim Auftauchen aktualisierter Trauerprozesse und anderer massiver Gefühle, nicht zu überfordern, ist der „geschützte“ Ausdruck dieser Themen im Bild ideal. Aus diesen Gründen ist Kunsttherapie eine außerordentlich geeignete therapeutische Intervention bei Patientinnen mit Schwangerschaftskomplikationen. Bei den Frauen, die über mehrere Wochen begleitet werden konnten, zeigte sich eine deutliche psychische Entlastung und Stabilisierung. Eine längere kunsttherapeutische Begleitung von Patientinnen mit Schwangerschaftskomplikationen ist wünschenswert, aber auch eine einmalige kunsttherapeutische Intervention bei kürzeren Klinikaufenthalten hat einen therapeutischen Wert für Patientinnen.