Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2005; 10(4): 231-237
DOI: 10.1055/s-2005-858501
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Note mangelhaft: Die Bürgerpflegeversicherung

The German Long-term Care Insurance: The Insufficiency of Broadening it to a Citizens' InsuranceJ. Häcker1 , B. Raffelhüschen2
  • 1Forschungszentrum Generationenverträge, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  • 2Forschungszentrum Generationenverträge, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Universität Bergen, Norwegen
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Publication Date:
18 August 2005 (online)

Zusammenfassung

Der dringend notwendige Reformierungsbedarf in der sozialen Pfiegeversicherung hat in jüngster Zeit verschiedene Reformkonzepte auf den Weg gebracht. Unter anderem auch den einer Bürgerpflegeversicherung, welche die Ausweitung des Umlageverfahrens auf die gesamte Bevölkerung vollzieht. Im Zuge dieses Vorschlags ist auch eine stärkere Berücksichtigung Demenzkranker in Form zusätzlicher Pflegeleistungen vorgesehen. Obwohl die stärkere Berücksichtigung Demenzkranker mit erheblichen Mehrausgaben verbunden ist und im Rahmen der Bürgerversicherung eine im Vergleich zum Status quo der Pflegeversicherung verschärfte demographische Abhängigkeit vorliegt, wird nichtsdestotrotz behauptet, dass eine langfristige Beitragssatzstabilisierung möglich sei. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht daher eine ausfuhrliche Nachhaltigkeitsanalyse der Bürgerpflegeversicherung, mit besonderem Augenmerk auf die durch die Leistungsausweitung induzierte Ausgabenentwicklung,

Abstract

The fact that the German Long-Term Care Insurance is strongly in need of reform put forth a variety of concepts. One of them ixitends to modify the long-tenn care insurance into an insuraace for all Citizens, thus broadening the pay-as-you-go principle. Moreover, this proposal foresees to raise long-term care transfers for dementia patients. These additional transfers granted for dementia patients, however, have drastic effects on the development of long-term care expenditures. Even though the demographic dependency of the long-term care insurance is aggravated by adopting the pay-as-you-go strategy for all Citizens, it is nevertheless claimed, that a stabilization of the contribution rate could be achieved. Hence, this paper analyses the long-term care Citizens insurance in teims of its sustainability, whereby Special attention is drawn to the development of long-term care expenditures taking into account the more generous grants.

Literatur

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1 Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung [8].

2 Die wesentlichen Ergebnisse dieses Beitrags fußen auf Häcker und Raffelhüschen [9].

3 Die Details zu den Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite sind der Frankfurter Allgemeinen Zeitung [8] entnommen.

4 Da die Mehreinnahmen für eine Nachhaltigkeitsanalyse mit Hilfe aktueller alters- und geschlechtsspezifischer Profile auf die einzelnen Generationen verteilt werden müssen, wurden hierfür die Mehreinnahmen der bisherigen GKV-Versicherten, die sich aus der Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage bzw. der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ergeben, mit Hilfe eines Kapitaleinkommensprofils bzw. mit den bisherigen Beitragsprofilen verteilt. Für die Mehreinnahmen aus der Ausweitung des Versichertenkreises wurde mit Hilfe von Daten des PKV-Verbandes ein neues Einnahmeprofil erstellt. Vgl. hierzu auch Fetzer und Hagist [7].

5 Für diesen neu hinzukommenden Personenkreis wurden in den Berechnungen Ausgabenprofile angenommen, die mit den bisher GKV-Versicherten identisch sind. Zudem wird der speziellen Altersverteilung der Beamten, Pensionäre und restlichen PKV-Versicherten Rechnung getragen. Dabei wurde angenommen, dass die überproportionalen Einstellungen der vergangenen Jahrzehnte in Zukunft nicht mehr auftreten und sich der neue Versichertenkreis langfristig wie der restliche Teil der Bevölkerung entwickelt. Vgl. hierzu auch Fetzer und Hagist [7].

6 Die stärkere Berücksichtigung Demenzkranker soll in Form eines zusätzlichen allgemeinen Betreuungsaufwands von 30 Minuten täglich bei der Einstufung über den Umfang des Pflegebedarfs erfolgen.

8 Die von Bickel [4] geschätzten Prävalenzraten erfassen ausschließlich die mittelschweren bis schweren Fälle.

9 Hier werden alle Demenzkranken betrachtet, unabhängig davon, ob pflegebedürftig i. S. d. SGB XI § 14 oder nicht.

10 Eine strikte Trennung der Pflegebedürftigen in die Kategorien „dement” und „nicht dement” ist aufgrund der Multimorbidität der Pflegebedürftigen nicht ohne weiteres möglich. Allerdings lässt sich laut Pflegebericht des Medizinischen Dienstes [10] die pflegebegründende Hauptdiagnose in Krankheitsgruppen einteilen. Die hier durchgeführte Trennung aller Pflegebedürftigen in „übrige Pflegebedürftige” und „Demenzkranke” erfolgt auf eben dieser Einteilung gemäß der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD).

11 Dieses Konzept wurde Anfang der 1990er-Jahre von den amerikanischen Ökonomen Auerbach, Gokhale und Kotlikoff [1] [2] [3] entwickelt. Für eine detailliertere Beschreibung des hier verwendeten Ansatzes siehe Raffelhüschen [11].

12 http://www.destatis.de [13]. Im Zeitraum von September 2000 bis September 2003 mussten Pflegebedürftige für die ambulante Pflege 23,3 Prozent und für die stationäre Betreuung in einem Pflegewohnheim 15,3 Prozent mehr zahlen als noch vor drei Jahren. Demgegenüber waren die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum aber nur um 4,2 Prozent gestiegen.

13 Langfristig wachsen die Leistungsausgaben in dem Szenario mit Kostendruck allerdings wieder in Höhe des allgemeinen Produktivitätsfortschritts. Diese Annahme ist insofern notwendig, als sonst die Pflegeausgaben langfristig oberhalb des BIP liegen würden.

14 Dabei ist natürlich das Ausmaß auf die Ausgabenentwicklung - wie zuvor bereits erwähnt - zu einem Großteil von der Preissteigerung im Pflegesektor und der dazu nötigen realwerterhaltenden Dynamisierung abhängig.

15 Für die Beitragssatzprojektion wird angenommen, dass das Vermögen der GPV (abzüglich der gesetzlich vorgeschriebenen Finanzreserve von 1,5 Monatsausgaben [§§ 63, 64 SGB XI], welche im Basisjahr 2003 ca. 2,06 Mrd. Euro betrug) dazu dient, das Defizit so lange zu decken, bis es aufgebraucht ist - danach erfolgt eine laufende Anpassung der Beitragssätze.

16 Bei beiden Beitragssatzprojektionen ist zu berücksichtigen, dass der Familienlastenausgleich i. H. v. 0,25 Prozentpunkten noch jeweils hinzuzurechnen ist.

17 In diesem Zusammenhang interessiert nur die Entwicklung in den Ausgabenvolumina, da die Differenz der Ausgaben aus Status quo und Bürgerversicherung über die Zeit eine überproportionale Entwicklung aufweist, während die Differenz in den Einnahmenvolumina von Status quo und Bürgerversicherung über die Zeit linear verläuft.

Jasmin Häcker

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Forschungszentrum Generationenverträge, Institut für Finanzwissenschaft

Bertoldstraße 17

79098 Freiburg

Email: jasmin.haecker@vwl.uni-freiburg.de

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