Gesundheitswesen 2005; 67(3): 229-232
DOI: 10.1055/s-2005-858118
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23. März 2005 (online)

Tagungsberichte

American Public Health Association (APHA) 6. - 10. November 2004 in Washington, DC „Public Health and the Environment” Die 132. (!) Jahreskonferenz der APHA (www.apha.org), zu der mehr als 14 000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen nach Washington, DC kamen, spiegelte die aktuelle politische Situation in den USA wider. Von Präsident Bush ist bekannt, dass er in den nächsten vier Jahren nur geringe Initiativen in der Gesundheitspolitik ergreifen wird und diese sich im Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge vor allem auf Katastrophen- und Terrorabwehr konzentrieren werden. Ein zentrales Thema ist dabei „Preparedness for Bio-Terrorism”. In diesem Bereich findet in den nächsten Jahren eine Konzentration der Bundesmittel in Forschung, Infrastruktur-Entwicklung und Fortbildung für den öffentlichen Gesundheitsdienst statt. In allen anderen Bereichen öffentlicher Gesundheitsvorsorge ist dagegen unter dem Druck der unverschiebbaren Haushaltssanierungen mit gravierenden Einschnitten und Kürzungen zu rechnen. Diese durchaus dramatischen Einschnitte der öffentlichen Finanzierung werden mit teilweise überraschenden politischen Lösungen verbunden: Forcierung von christlichen Moral- und amerikanisch-bürgerlichen Ordnungsvorstellungen. Die Mittel für Sexualerziehung, Schwangerschafts- und Konfliktberatung und Schwangerschaftsabbrüche werden z. B. drastisch gekürzt und stattdessen wird sexuelle Abstinenz vor der Ehe als öffentliche Norm propagiert. Konzentration und Integration von öffentlichen Programmen mit einer stärkeren Nutzenorientierung. Als Folge öffentlicher Mittelkürzungen, die zu einer systematischen Prüfung öffentlichen Nutzens, zu einer stärkeren Integration von Programmen und einem wirksameren Mitteleinsatz unter Nutzung des Internets führten, entstehen auch produktive Entwicklungen. Am deutlichsten wird dies gegenwärtig in der Reorganisation des Center of Disease Control (CDC) in Atlanta, das im Rahmen eines umfassenden Organisationsentwicklungsprozesses von einer bürokratischen Verwaltungsorganisation zu einer bundesweiten Informations- und Dienstleistungseinrichtung umgebaut werden soll. „Health Marketing” steht dabei im Mittelpunkt (nähere Informationen unter www.cdc.gov, Suchwort: futures initiative). Dabei werden nun äußerst nützliche Informationsdienste im Internet aufgebaut, die unmittelbar für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Vorbildlich sind z. B. die Informationsdienste der National Library of Medicine, die die traditionsreiche Datenbank „Medline” als „Medline Plus” für die allgemeine Öffentlichkeit für eine kostenfreie Nutzung aufbereitet (medlineplus.gov/). Zusätzlich werden spezifische Datenbanken aufgebaut und für die öffentliche Nutzung kostenfrei zur Verfügung gestellt, die sich um eine evidenzbasierte Bewertung des aktuellen Wissensstands bemühen (www.healthfinder.gov; www.thecommunityguide.org; www.fda.org). In diesen politisch initiierten Bemühungen, die interessierte Bevölkerung direkt zu informieren, kommt auch eine ausgeprägte Unzufriedenheit gegenüber dem mangelnden Interesse der Einrichtungen des Gesundheitswesens und seiner Berufsverbände zum Ausdruck, sich für die Vermittlung des gesundheitswissenschaftlichen Wissensstands öffentlich zu engagieren. Obwohl der Glaube an medizinischen Fortschritt durch intensive naturwissenschaftliche Forschungsförderung in alle Richtungen weiterhin ungebrochen ist, ist inzwischen eine ausgeprägte Unzufriedenheit über die geringe Bereitschaft vor allem der klinischen Medizin zu verzeichnen, sich über ihren öffentlichen Nutzen, eine sinnvolle gesellschaftliche Anwendung und die öffentliche Verbreitung von medizinischen Forschungserkenntnissen Gedanken zu machen. In einer hochrangigen Podiumsdiskussion mit Kongressabgeordneten, Senatoren und Politik-Analysten beider Parteien war in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Übereinstimmung in den folgenden Punkten zu verzeichnen: Die gegenwärtig hohe allgemeine Forschungsförderung im Bereich der klinischen Medizin wird in den nächsten Jahren deutlich zurückgefahren. Stattdessen soll eine Konzentration auf prioritäre Entwicklungsvorhaben von großer gesellschaftlicher Bedeutung erfolgen; (wozu in den USA gegenwärtig z. B. die biologische Kriegsführung unter dem Etikett „Preparedness for Bio-Terrorism” gehört, aber auch der „Fight against Obesity”). Eine integrative Forschung, die genetische, ökologische, sozioökonomische und soziokulturelle Aspekte der Gesundheitsentwicklung verschiedener Bevölkerungsgruppen beschreiben und hinsichtlich praktischer Konsequenzen bewerten will, gewinnt zunehmend öffentliche Unterstützung. Die Untersuchungen der epidemiologisch nachgewiesenen erheblichen Unterschiede der Gesundheitssituation verschiedener ethnischer Minderheiten in den USA erfassen dabei inzwischen sowohl soziokulturelle als auch genetische Differenzen. Der Begriff „Public Health” wird als Integrationsbegriff für öffentliche Gesundheitsvorsorge als wenig geeignet angesehen. In einer Untersuchung des CDC wurde festgestellt, dass die Bevölkerung sich unter diesem politischen Leitbegriff nicht viel vorstellen kann und ihn am ehesten mit der Sorge von staatlichen Gesundheitsbürokratien für arme Minderheiten in Verbindung bringt. Die politische Programmatik einer vorsorgenden Gesundheitspolitik soll daher in den nächsten Jahren vor allem unter den Begriffen Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung kommuniziert werden. Im Wissenschaftsbereich wird sich voraussichtlich der Begriff „Health Sciences” durchsetzen, der den Integrationsaspekt verschiedener Wissenschaftsperspektiven akzentuiert. Diese Entwicklung wird auch Konsequenzen für die Zukunft der medizinischen Zentren und Fakultäten haben, von denen erwartet wird, dass sie sich einem interdisziplinären öffentlichen Diskurs öffnen. Es wird erwartet, dass unter dem Kostendruck die klinischen Zentren in größere akademische Einheiten integriert werden, die als „Health Sciences Centers” auch andere Fakultäten wie „Nursing”, „Social Work”, „Environmental Sciences”, „Health Informatics” oder „Molecular Biology” integrieren. Alle prestigeträchtigen Privat-Hochschulen (Harvard, Johns Hopkins, Stanford, Yale) und in der Folge viele andere Universitäten haben damit begonnen, akademische Strukturen für ein stärkeres Engagement im Bereich öffentlicher Gesundheitsvorsorge aufzubauen. Auch wenn nicht immer deutlich ist, ob dies aus politischer Opportunität oder aus Gründen einer erweiterten Rekrutierung von Studierenden und öffentlichen Mitteln geschieht, sind die tatsächlichen Aktivitäten bemerkenswert. „Community-Campus-Partnerships” (www.depts.washington.edu/ccph), „Service-learning”, „International Health” für Studierende aus Entwicklungsländern, Online-Programme im Bereich öffentliche Gesundheitsvorsorge und Krankheitsvermeidung deuten in eine ähnliche Richtung, die positiv kommentiert wird. Im Bereich öffentlicher Gesundheitsfürsorge wird es zu einer weitreichenden institutionellen Öffnung der gegenwärtigen „Public Health Infrastructure” unter Einbeziehung von vielfältigen profit- und nonprofitorientierten Organisationen kommen. Der öffentliche Gesundheitsdienst soll dabei lediglich eine koordinierende Funktion übernehmen, auf die er allerdings noch wenig vorbereitet ist. Das Interesse der Bundesregierung in Washington, DC ist dabei vor allem auf Katastrophenabwehr und die Möglichkeit ausgerichtet, bei terroristischen Bedrohungen rasch eine hinreichend koordinierte und qualifizierte öffentliche Reaktion im ganzen Land organisieren zu können. Jenseits dieser herausgehobenen Themen, zu denen bei der diesjährigen APHA-Konferenz auch die Integration von „Environmental Health” gehörte (www.niehs.nih.gov), ist eine überwältigende Vielzahl von Einzelbeiträgen in dem 400-seitigen Programmbuch der Konferenz zu verzeichnen. Alle Vorträge und Power-Point-Präsentationen wurden aufgezeichnet und sind im Netz zugänglich (Zugang über www.apha.org). In einer großen Ausstellungshalle präsentierten etwa 300 Institutionen und Organisationen während des Kongresses ihre Arbeit und ihre Programme. Insgesamt bot die APHA-Konferenz eine herausragende Möglichkeit, sich über den Diskussions- und Entwicklungsstand im Bereich der angewandten Gesundheitswissenschaften in den USA zu informieren und sich in vielen Bereichen durch kreative Praxisberichte anregen zu lassen. Insbesondere das hohe Engagement regionaler und lokaler Aktivitäten und die Offenheit des Diskurses, die sich auch in dem Programm-Buch manifestierten, sind für deutsche Verhältnisse beeindruckend. Der Besuch der APHA-Konferenz ist nicht billig, aber viele Arbeitgeber zahlen ihren Beschäftigten die Teilnahme zu Weiterbildungszwecken. Die nächste APHA-Konferenz wird vom 5. bis 9. November 2005 in New Orleans stattfinden und sich mit dem Thema „Evidence-Based Policy and Practice” beschäftigen. Auch für deutsche Arbeitgeber im Gesundheitsbereich könnte die Unterstützung des Kongressbesuches eine lohnenswerte Investition in institutionelle Personal- und Kompetenzentwicklung sein. Eine gute Vorbereitung auf das Konferenzprogramm ist angesichts der Fülle der Veranstaltungen allerdings anzuraten. (www.apha.org) E. Göpel, Magdeburg

Jahrestagung der Society of Public Health Education (SOPHE) 5. - 7.11.2004 in Washington, DC „The Power and Influence of Health Education. Promoting Monumental Change” Die Society of Public Health Education (SOPHE) wurde bereits 1950 mit dem Ziel gegründet, die Professionalisierung der Gesundheitsbildung durch Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und eine wissenschaftliche Fundierung der Praxis zu unterstützen (www.sophe.org). Mitglieder sind vor allem Professionelle in Leitungspositionen und aus den mehr als 100 Hochschul-Studiengängen im Bereich Health Education und Health Promotion in den USA. Die Geschäftsführung der SOPHE wurde vor einigen Jahren nach Washington, DC verlagert. Sie versteht sich als Fachgesellschaft und als Lobby für die Entwicklung der Gesundheitsbildung und -förderung in den USA. Die Qualifizierungsmöglichkeiten und Berufsbezeichnungen waren in den letzten 30 Jahren in den USA sehr weit aufgesplittert; es gab mehr als 50 Berufsorganisationen mit den unterschiedlichsten Bezeichnungen. Seit mehreren Jahren wird nun unter dem Dach der American Public Health Association (APHA) (www.apha.org) ganz bewusst und gezielt auf einen Integrationsprozess dieser diversen Ansätze hingearbeitet. Dies geschieht einerseits im Rahmen einer Coalition of National Health Education Organizations (CNHEO, www.hsc.usf.edu/CFH/cnheo), die dafür gesorgt hat, dass der Beruf des „Health Educator” eine staatliche Anerkennung durch die Arbeitsverwaltung erhalten hat. Innerhalb der USA sind gegenwärtig 40 000 Personen als „Health Educator” registriert. Diese Entwicklung war mit einem systematischen Konsensbildungsprozess verknüpft, der weiterhin aktiv von den Vertretern der Berufsverbände und der Hochschulprogramme betrieben wird. Es begann zunächst mit der Veröffentlichung eines gemeinsamen „Code of Ethics” für die berufliche Praxis. Maßgeblich durch die SOPHE gefördert wurde ferner die Entwicklung von Kernkompetenzen der beruflichen Praxis, die detailliert ausgearbeitet und als Anforderungen für eine berufliche Zertifizierung formuliert wurden. Eine landesweite Vermittlung von Personen wird über www.hedir.org und www.hpcareer.net organisiert. Seit 1996 kann eine Prüfung zum zertifizierten Gesundheitsbildner (Certified Health Education Spezialist - CHES) abgelegt werden, die von der National Commission for Health Education Credentialing (www.NCHEC.org) organisiert wird. Die CHES-Registrierung ist mit einer kontinuierlichen Fortbildungsverpflichtung verbunden. Der Besuch von anerkannten Fortbildungsveranstaltungen ist nachzuweisen. Das CHES-Examen muss alle fünf Jahre erneuert werden. Durch die hervorgehobenen Anforderungen an berufliche Praxiskompetenzen gibt es auch entsprechende Rückwirkungen auf die Studienprogramme der Hochschulen. Neben der berufsbezogenen individuellen Zertifizierung der Praktiker und Praktikerinnen läuft seit einigen Jahren auch eine intensive Diskussion über die Akkreditierung von Studienprogrammen. Auch hierfür wurde unter dem Dach der APHA eine Kommission gebildet, die Mindestanforderungen für die Akkreditierung von Bachelor- und Master-Programmen formuliert und sich um geeignete Akkreditierungsverfahren bemüht. Es wird angestrebt, in den nächsten drei Jahren auch für die inhaltlichen Anforderungen an die Akkreditierung von Studienprogrammen zu gemeinsamen Kompetenzkatalogen zu gelangen. Dieser Prozess wird von der amerikanischen Bundesregierung (Center of Disease Control, Department of Health and Human Services) aktiv unterstützt. Er ist Teil von Bemühungen, eine wirksame Infrastruktur für Aktivitäten öffentlicher Gesundheitsförderung in den USA zu entwickeln. Eine bedeutsame Rolle spielt dabei inzwischen auch die Nutzung des Internets, das zu einer raschen Verbreitung von Informationen zu „best practice” beiträgt. Das CDC und das National Institute for Health (NIH) haben zahlreiche Projekte gefördert, die zu einer Zusammenstellung von relevanten Informationen für die Öffentlichkeit und die berufliche Praxis in der Gesundheitsförderung in Gemeinden, in Kindergärten und Schulen, am Arbeitsplatz und in Einrichtungen des Gesundheitswesens führen (www.thecommunityguide.org; www.medline-plus.gov; www.healthfinder.gov). Diese Veröffentlichung des evidenzbasierten Wissensstands und von Beispielen guter Praxis hat die Bereitschaft von Berufsorganisationen und Hochschulen sehr gefördert, einen Konsens über gemeinsame Standards für das Studium und die berufliche Praxis zu suchen und diese auch praktisch umzusetzen. Der Zertifizierungs- und der Akkreditierungsprozess waren dafür geeignete Anlässe. Im deutschsprachigen Raum könnte der Kooperationsverbund „Hochschulen für Gesundheit” (www.hochges.de) dazu beitragen, dass sich die berufliche und akademische Fragmentierung im Bereich der Gesundheitsförderung nicht so weit entwickelt wie in den USA und dass der notwendige inhaltliche Konsensbildungsprozess im Berufsfeld und in den Hochschulen weniger aufwendig organisiert werden kann. E. Göpel, Magdeburg

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