Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222(6): 516-517
DOI: 10.1055/s-2005-857963
Offene Korrespondenz

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Botaniker und Arzt Pietro Andrea Matthioli

F. Daxecker1
  • 1Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. Juni 2005 (online)

Abstract

The physician Pietro Andrea Mattioli (1500 - 1577) is known for his Italian translation and commentary of the work of the Greek botanist Pedanios Dioscurides: „Di Pedacio Dioscoride Anazerbeo libri cinque ...” (first published in 1544). The physician broadened Dioscurides’ studies by including new medicinal plants and numerous detailed woodcuts. In 1554 the fifth edition had already been published: „I Discorsi di M. Pietro Andrea Matthioli Sanese, Medico Cesareo ... Di Pedacio Dioscuride Anacarbeo della materia Medicinale ...”. The book was also translated into Latin, French, Spanish, German and Bohemian. Matthioli describes plants, that can be used to treat eye-diseases.

Das große Verdienst des Pietro Andrea Matthioli war es, die Arzneimittellehre des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) zu übersetzen und mit eigenen Pflanzenbeobachtungen zu ergänzen (Abb. [1]).

Abb. 1 Pietro Andrea Matthioli (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, W 24 297).

Dioscurides’ Werk „De materia medica” befasst sich mit heilkräftigen Pflanzen, Tieren und Mineralien. Abschriften des Werkes liegen in systematischer und alphabetischer Ordnung vor. Die bekannteste Abschrift ist der alphabetisch geordnete „Wiener Dioskurides” aus dem Jahr 512. Er wurde der Prinzessin Juliana Anikia von Konstantinopel gewidmet und ist eine der wertvollsten illustrierten Handschriften aus der Spätantike. Der Codex befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek und ist als zweibändige Faksimileausgabe zugänglich.

Im Jahr 1544 erschien Matthiolis erste Übersetzung mit Kommentar in italienischer Sprache „Di Pedacio Dioscuride Anazerbeo libri cinque ...” mit 504 Holzschnitten von Pflanzen und 58 von Tieren. Bereits 1554 wurde die fünfte Auflage unter dem Titel „I Discorsi di M. Pietro Andrea Matthioli Sanese, Medico Cesareo ... Di Pedacio Dioscuride Anacarbeo della materia Medicinale” publiziert. Eine böhmische Auflage wurde 1562 gedruckt und 1563 die deutsche Übersetzung des Arztes Georg Handsch mit dem Titel „New Kräuterbuch mit den allerschönsten und artlichsten Figuren aller Gewechs ...”. Eine spanische Ausgabe erschien 1555, eine französische 1561. Unter dem Titel „Commentarii in sex libros Pedacii Dioscuridis Anazerbei de Medica materia” wurde eine lateinische Ausgabe 1569 in Venedig herausgegeben.

Pietro Andrea Matthioli wurde am 12. März 1500 in Sparaguaia bei Siena geboren. Sein Vater war der venezianische Arzt Francesco Matthioli. Pietro Andrea besuchte in Venedig das Gymnasium. In Padua wurde er 1523 zum Doktor der Medizin promoviert. 1524 besuchte er den Chirurgen Gregorio Caravita in Rom, da dieser glaubte, ein Gegenmittel gegen Gifte und den Biss giftiger Tiere gefunden zu haben. Matthioli kam 1527 über Venedig nach Trient, wo er sich das Vertrauen des Fürstbischofs Bernhard Kardinal von Cles erwarb. Der Geistliche nahm den Arzt auf seinen Familiensitz Cles im Nonstal mit, damit er Heilkräuter und Giftpflanzen erforschen konnte.

In Bologna erschien 1530 Matthiolis Buch „De morbi gallici curandi ratione”, ein Werk über die Behandlung der Syphilis, wobei er als erster Quecksilberpräzipitat anwandte. Das Werk erlebte mehrere Auflagen. In Prag erschienen 1561 die Werke „Epistola de Bulbo Castania, Oloconitide, Mamire, Traso etc.” und „Epistolarum medicinalium libri quinque”.

Als 1542 in Görz die Pest auftrat, wurde Matthioli als Stadtphysikus zu Hilfe geholt. 1554 wurde der Arzt an den Hof des Erzherzogs Ferdinand II. berufen, der seit 1548 als Regent für Böhmen in Prag residierte. Matthioli begleitete ihn 1556 auf seinem Ungarnfeldzug und behandelte Verwundete. 1563 kam Erzherzog Ferdinand als Landesherr nach Innsbruck. Seine Gesundheit war labil. Im Mai 1566 erkrankte er an einem Fieber, das Matthioli mit Sirup heilen konnte. 1570 und 1571 behandelte er des Erzherzogs Durchfall, Nachtschweiß und Kopfschmerzen mit einer Kur in Karlsbad. Am 13. Juli 1562 wurde Matthioli wegen seiner medizinischen Kenntnisse geadelt und erhielt den Titel „Kaiserlicher Arzt”. Seine erste Gattin Elisabeth heiratete er 1528, aus dieser Ehe stammt der Sohn Paul, der bald verstarb. Aus der zweiten Ehe mit Girolama dei Conti di Varma stammt Ferdinand, der ebenfalls Arzt wurde. Von seiner dritten Frau Cherubina, die er 1570 heiratete (also im 70. Lebensjahr), hatte er noch einen Sohn und mehrere Töchter.

Da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, wollte Matthioli den Winter in Rom verbringen. Auf der Reise von Innsbruck nach Rom hielt sich der Arzt in Trient, seinem früheren Wirkungsort, auf, wo er 1577 an Pest starb.

Die Söhne Matthiolis errichteten ihrem Vater ein Grabmal. Es befindet sich rechts vom Hauptportal im Dom von Trient. Die Inschrift berichtet fälschlicherweise, dass er der Leibarzt dreier Kaiser war (Ferdinand I., Maximilian II., Rudolf II.). Die Söhne veranlassten diesen Text, doch Matthioli war nie kaiserlicher Leibarzt gewesen.

Nach Matthioli sind drei Pflanzen aus der Familie der Brassicaceae (Levkojen) benannt: Matthiola fruticulosa L., subsp. valesiaca Gay ex Gaudin, Matthiola incana L. und Matthiola longipetala Vent., subsp. bicornis Sibth. et Sm. Das Primelgewächs Cortusa matthioli ist zudem nach Matthiolis Zeitgenossen, dem Botaniker Jacopo Antonio Cortusi aus Padua, benannt.

In der italienischen Ausgabe „I Discorsi di M. Pietro Andrea Matthioli ... nelli sei libri Di Pedacio Dioscuride Anacarbeo della materia Medicinale ..., Venedig 1568” führt Matthioli auch Pflanzen zur Behandlung von Augenerkrankungen an. Die folgende Zuordnung der von Matthioli beschriebenen Pflanzen hält sich an die heutige Nomenklatur. Nicht in allen Fällen ist eine exakte Zuordnung möglich.

Kalmus, Akoron, Acorus calamus L., Fam. Acoraceae, der Saft der Wurzel vertreibt jedes Hindernis, das die Klarheit der Augen verdunkelt; Safran, Krokos, Crocus sativus L., Fam. Iridaceae, mit Muttermilch appliziert, hilft bei Conjunctivitis; Hundertblättrige Rose, Rhodon, Rosa centifolia L., Fam. Rosaceae, die Blätter der Rosen werden gebrannt, um die Wimpern der Augen zu verschönern (Abb. [2]); Linse, Phakos, Lens culinaris Mill., Fam. Fabaceae, mit Lotos, Quittenhonig und Rosenöl heilt sie Augenentzündungen; Lattich, Thridax, Lactuca serriola L., Fam. Asteraceae, mit Honigessig reinigt er die Wölkchen in den Augen; Frühlings-Adonisröschen, Argemone Adonis vernalis L., Fam. Ranunculaceae, es vertreibt Flocken und Wölkchen aus Augen. Die Blätter als Umschlag lindern Entzündungen; Schöllkraut, Chelidonion, Chelidonium majus L., Fam. Papaveraceae, der mit Honig vermischte und in einem kupfernen Geschirr über Kohlen gekochte Saft verbessert das Sehvermögen; Tausendguldenkraut, Kentaurion, Centaurium erythrea L., Fam. Gentianaceae, der mit Honig vermischte Saft vertreibt Verdunkelungen der Augen; die Weinraute, Peganon kepaion, Ruta graveolens L., Fam. Rutaceae, zusammen mit Fenchel und Honig heilt sie schwache Augen; echter Steinklee, Lotos, Melilotus officinalis L., Fam. Fabaceae, lindert alle Entzündungen, am meisten die der Augen; mandelblättrige Wolfsmilch, Kamaisyke, Euphorbia amygdaloides L., Fam. Euphorbiaceae, sie löst die Unterblutung der Augen auf; echter Hornmohn, Glaukion, Glaucium corniculatum L., Fam. Papaveraceae, der Saft wird bei beginnenden Augenleiden angeordnet, da er kühlend wirkt; Kleinblütige Königskerze, Phlommos, Verbascum thapsus L., Fam. Scrophulariaceae, in Wasser gekochte Blätter wirken bei Augenentzündungen; der Schlafmohn, Mekon, Papaver somniferum L., Fam. Papaveraceae, hilft mit gekochtem Eidotter bei Augenentzündungen; gewöhnlicher Erdrauch, Kapnos, Fumaria officinalis L., Fam. Fumariaceae, er verbessert die Sehkraft und reizt zu Tränen, daher der Name. Er kann das Nachwachsen epilierter Wimpern der Lider verhindern, wenn er mit Gummi aufgetragen wird; aufrechtes Glaskraut, Alsine, Myosotis, Parietaria officinalis L., Fam. Urticaceae, ein Pflaster mit Gerstengraupen hilft bei Augenentzündungen.

Abb. 2 Hundertblättrige Rose, Rosa centifolia L., Fam. Rosaceae (aus: I Discorsi di M. Pietro Andrea Matthioli ...”, Venedig 1568: 203).

Literatur

  • 1 Berendes J. Des Pedanios Dioskurides aus Anazerbos Arzneimittellehre in fünf Büchern. Stuttgart; Nachdruck Vaduz 1997 1902
  • 2 Ferri S (Hrsg). Pietro Andrea Matthioli. Siena 1501 - Trento 1578. La vital le opere. Con l’identificazione delle piante, Perugia 1997. 
  • 3 Gasser V. Erstes biographisch-literarisches Schriftsteller-Lexikon von Tirol. Innsbruck; Handschrift, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Bd. 3: 236 - 238
  • 4 Kühnel H. Pietro Andrea Matthioli. Leibarzt und Botaniker des 16. Jahrhunderts. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Wien; 1962 Bd. 15: 63 - 92 (mit zahlreichen Quellenangaben)
  • 5 Matthioli P A. I Discorsi di M. Pietro Andrea Matthioli Sanese, Medico Cesareo ... Di Pedacio Dioscuride Anacarbeo della materia Medicinale. Venedig; 1568: 76, 202 f., 451, 549, 655, 663, 691, 775 f., 846, 849, 1203, 1113 f., 1217 f., 1171
  • 6 Mazal O. Kommentar. Der Wiener Dioskurides. Codex medicus graecus 1 der Österreichischen Nationalbibliothek, Faksimile,. Graz; Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1998, 1999
  • 7 Rudel O. Beiträge zur Geschichte der Medizin in Tirol. Bozen 1925 66 - 72: 294-296
  • 8 Zander R. Handwörterbuch der Pflanzennamen. (Erhardt W, Götz E, Bödeker N, Seybold S). 16. Aufl., Stuttgart; 2000

Prof. Dr. Franz Daxecker

Medizinische Universität Innsbruck

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6020 Innsbruck

Österreich

eMail: franz.daxecker@uibk.ac.at

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