Z Sex Forsch 2005; 18(3): 258-271
DOI: 10.1055/s-2005-836918
Debatte

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Transsexualität im Spannungsfeld juristischer und medizinischer Diskurse

Adrian de Silva
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Publication Date:
12 October 2005 (online)

Seit In-Kraft-Treten des Transsexuellengesetzes (TSG) im Jahr 1981 verläuft die Transition in der Bundesrepublik im Spannungsfeld medizinisch-psychiatrischer und rechtlicher Regulierungen. Das TSG ermöglicht erstmals eine rechtlich gültige Vornamens- und Personenstandsänderung. Chirurgische Maßnahmen und die Möglichkeit der Kostenübernahme durch Krankenkassen versprechen eine im hiesigen Geschlechtersystem nachvollziehbare äußere Angleichung an das Wunschgeschlecht. Etliche Transpersonen begrüßten diese Möglichkeit eines offiziellen Geschlechtswechsels zunächst ([16] S. 121), und viele Individuen empfinden diese Option nach wie vor als große Erleichterung.

Spätestens seit Mitte der 90er Jahre jedoch regt sich in Teilen der Transbewegung Widerstand gegen das TSG. Dieser manifestiert sich u. a. auf den Webseiten von Transorganisationen (vgl. [10] [11] [26]) und in dem von der „Projektgruppe Geschlecht und Gesetz” vorgelegten Entwurf für ein Transgendergesetz (TrGG) [19]. Angesichts zunehmend individualisierter Geschlechterentwürfe und pluralisierter Vorstellungen von Geschlechteridentitäten gibt es zudem Kritik an medizinisch-psychiatrischen Regulierungen. Diese richtet sich beispielsweise gegen die 1997 von Sexolog/inn/en als Richtlinien für Ärztinnen und Ärzte eingeführten deutschen „Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen”[1]

Meine Ausführungen sind in drei Teile gegliedert. Das erste Segment beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Recht und Medizin. Dabei werden die Annahmen über morphologisches und soziales Geschlecht und über Sexualität herausgearbeitet, die einerseits gesetzlich geregelt, andererseits in den „Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen” niedergelegt sind. Wie am Beispiel der Regulierung von Transsexualität deutlich wird, sind gegenwärtig verbindliche rechtliche und medizinisch-psychiatrische Konzepte von Geschlechtlichkeit in ihrer Eigenschaft als wirkungsvolle gesellschaftliche Konstruktionen zugleich Spiegel und Produzenten eines normierten und naturalisierten bipolaren Geschlechterregimes.

Im zweiten Teil setze ich mich mit aktuellen Reaktionen der Transsexuellenbewegung auf das TSG auseinander. Dabei wird deutlich, dass geschlechtliche Festschreibungen nicht für alle Zeiten gültig sind. Die Definition von „Geschlecht” unterliegt der Dynamik gesellschaftlicher und politischer Kräftekonstellationen und ist somit umkämpft und relational.

Im dritten Teil konzentriere ich mich auf ausgewählte Vorschläge für eine Revision des Rechts, die von Teilen der Transsexuellen-, Intersexuellen-, Lesben- und Schwulenbewegungen sowie von Vertreter/inne/n der Sexualwissenschaft der Bundesregierung unterbreitet wurden. In all den hier aufgeführten Vorschlägen wird einer Flexibilisierung von Geschlecht Rechnung getragen, jedoch unterscheiden sie sich hinsichtlich des Aspekts der Selbstbestimmung erheblich. Während Transaktivist/inn/en ein Recht auf Selbstbestimmung fordern, hält die Medizin bei der Diagnose von Transsexualität an ihrer Definitionsmacht fest.

Zudem wird deutlich, dass die Auseinandersetzung um einen rechtlichen Wandel zugleich eine Auseinandersetzung um verschiedene Geschlechterordnungen darstellt. Die Anerkennung einer Vielzahl morphologischer Geschlechter, geschlechtlicher Ausdrucksweisen und Sexualitäten steht dem normalisierten Geschlechterbinarismus des TSG und der Standards gegenüber.

Literatur

  • 1 Aaa A. AG gegen Gewalt in Pädiatrie und Gynäkologie, Psychologie und Genetik. Online-Dokument: www.postgender.de (abgerufen am 24. Juni 2002, Seite zur Zeit der Drucklegung offline)
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  • 3 Becker S, Bosinski H A G, Clement U, Eicher W, Goerlich T M, Hartmann U, Kockott G, Langer D, Preuss W F, Schmidt G, Springer A, Wille R. Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen.  Z Sexualforsch. 1997;  10 147-156
  • 4 Becker S, Berner W, Dannecker M, Richter-Appelt H. Stellungnahme zur Anfrage des Bundesministeriums des Innern (V 5a-133 115-1/1) vom 11. Dezember 2000 zur Revision des Transsexuellengesetzes.  Z Sexualforsch. 2001;  14 258-268
  • 5 Bornstein K. Gender outlaw: on men, women, and the rest of us. Vintage Books, New York 1994
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  • 7 Clement U, Senf W. Diagnose der Transsexualität. In: Clement U, Senf W (Hrsg). Transsexualität: Behandlung und Begutachtung. Schattauer, Stuttgart, New York 1996; 1-7
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  • 9 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e .V. Mitgliedschaft. Online-Dokument: www.dgti.org/mitglied.htm (2000, abgerufen am 13. Okt. 2004)
  • 10 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. 20 Jahre TSG: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen. Online-Dokument: www.dgti.org/ef_trgg.htm (2000, abgerufen am 13. Okt. 2004)
  • 11 Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. Aufgaben der dgti. Online-Dokument: www.dgti.org/aufgaben.htm (2002)
  • 12 Deutscher Bundestag. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christina Schenk und der Fraktion der PDS. In: Drucksache 14/9837 vom 31. Juli 2002; 1-16
  • 13 Duclos N. Some complicating thoughts on same-sex marriage.  Law and Sexuality. 1991;  1 31-61
  • 14 Eicher W. Transsexualität: Möglichkeiten und Grenzen der Geschlechtsumwandlung. G. Fischer, Stuttgart, Jena, New York 1992
  • 15 Herman D. Are we family? Lesbian rights and women’s liberation.  Osgoode Hall Law School J. 1990;  28 789-815
  • 16 Kamprad B, Pfäfflin F. Am eindrucksvollsten sind Familien, die trotzdem zusammenbleiben: Interview mit einem Psychoanalytiker. In: Kamprad B, Schiffels W (Hrsg). Im falschen Körper: Alles über Transsexualität. Kreuz-Verlag, Zürich 1991; 114-138
  • 17 Kessler S. Creating good-looking genitals in the service of gender. In: Duberman M (Hrsg). A queer world: The Center for Lesbian and Gay Studies reader. New York University Press, London, New York 1997; 153-173
  • 18 Lindemann G. Wie viel Ordnung muss sein?.  Z Sexualforsch. 1997;  10 324-331
  • 19 Projektgruppe Geschlecht und Gesetz. Gesetz über die Wahl oder Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit (Transgendergesetz TrGG). Online-Dokument: pgg.trans-info.de (2000, abgerufen am 10. Nov. 2004)
  • 20 Richardson D. Heterosexuality and social theory. In: Richardson D (Hrsg). Theorizing heterosexuality: Telling it straight. Open University Press, Buckingham, Philadelphia 1996; 1-20
  • 21 Rosenblum D. Queer intersectionality and the failure of recent lesbian and gay “victories”.  Law and Sexuality. 1994;  4 83-122
  • 22 Seikowski K. Keine Patienten im klassischen Sinn.  Z Sexualforsch. 1997;  10 351-353
  • 23 Sigusch V. Geschlechtswechsel. Rotbuch-Verlag, Hamburg 1995
  • 24 Stone S. The empire strikes back: A posttranssexual manifesto. In: Epstein J, Straub K (Hrsg). Body guards: The cultural politics of gender ambiguity. Routledge, New York, London 1991; 280-304
  • 25 TransGender Netzwerk Berlin. Selbstdarstellung. Online-Dokument: www.tgnb.de/TGNBmain.html (2005, abgerufen am 22. Juli 2005)
  • 26 TransMann e. V. Positionspapier des TransMann zum TSG. Online-Dokument: www.transmann.de/pospaptsg.shtml (1999, abgerufen am 10. Juni 2004)
  • 27 TransMann e. V. Programm des TransMann e. V. Online-Dokument: www.transmann.de/ tmev-programm2001.shtml (2001, abgerufen am 21. Mai 2002)
  • 28 Das Transsexuellengesetz: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG). Bundesgesetzblatt 1980, Teil I, S. 1654-1658 (s. auch: www.dgti.org.de/tsg.htm)

1 Die Standards sind u. a. wegen der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts von Transpersonen auch bei Mediziner/inne/n umstritten ([23] S. 115).

2 Nach Butler erscheinen Geschlechter nur dann als plausibel, wenn sie einer kausalen Verknüpfung von polarisiertem morphologischem Geschlecht, Geschlechteridentität und gegengeschlechtlichem Begehren entsprechen ([6] S. 17).

3 Unter Heteronormativität sind gesellschaftliche Praktiken und Diskurse zu verstehen, die Heterosexualität normalisieren. Hierbei wird Heterosexualität als eine natürliche, essenzialistische und universelle Kategorie konstruiert (vgl. [20] S. 2).

4 Auffällig ist hierbei, dass Genitaloperationen bei MzF-Transsexualität, nicht aber bei FzM-Transsexualität empfohlen werden. Ebenso wenig wie meines Erachtens ein radialer Vorderarmlappen mit Erektionsprothese derzeit einem Penis in seiner Funktionalität gleichkommt, kann eine invertierte Penishaut die Funktionalität einer Vagina in Bezug auf Kontraktions- und Lubrikationsfähigkeit oder eine versenkte Glans penis die Sensibilität einer Klitoris haben. Daher liegt der Schluss nahe, dass die Bagatellisierung weiblicher Genitalchirurgie eine Geringschätzung weiblicher Genitalien widerspiegelt (vgl. [17] S. 163).

5 Vgl. hierzu die Ausführungen von Sophinette Becker ([2] S. 155): „Die Autoren der ‚Standards’ haben weder die ‚geschlechtsumwandelnden’ Operationen noch die ‚blutrünstigen’ Forderungen des Transsexuellengesetzes (Genitaloperation und Unfruchtbarkeit als Voraussetzungen für die Personenstandsänderung) erfunden. Auch die falsche Eindeutigkeiten erzwingenden Anforderungen an Gutachter durch Gerichte und Krankenkassen gehen nicht auf sie zurück.”

6 Dies gilt nicht nur für Recht und Medizin, sondern auch für die Politik der regierenden Koalition: „Die Bundesregierung hält eine Regelung für sinnvoll, nach der sichergestellt ist, dass ein personenstandsrechtlicher Mann nicht Mutter und eine personenstandsrechtliche Frau nicht Vater werden kann. § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG zielt darauf ab, ein Auseinanderfallen von erstrebtem Geschlecht und Geschlechtsfunktion zu vermeiden. Von daher ist die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG vorausgesetzte Fortpflanzungsunfähigkeit verhältnismäßig” ([12] S. 7).

7 Unter „Transgender” sind hier in Anlehnung an die Definition des TransGender Netzwerk Berlin (TGNB) alle Menschen zu verstehen, „für die das gelebte Geschlecht keine zwingende Folge des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtes ist” [25].

8 Das Bedürfnis, rechtlich-medizinischen Vorschriften Genüge zu leisten, verstärkte die Hierarchie innerhalb der Transgender-Community, die bereits operierte Transsexuelle an die Spitze setzte und noch nicht operierte Transsexuelle, Transvestiten und Transgenderpersonen, die keine medizinischen und chirurgischen Veränderungen anstrebten, in dieser Reihenfolge mehr und mehr entwertete. Die bundesdeutschen erinnern dabei an die US-amerikanischen Praktiken, die Bornstein ([5] S. 67 f) beobachtete.

9 Der Druck, den Erwartungen homophober psychiatrischer Sachverständiger zu entsprechen, um eine Vornamens- und Personenstandsänderung zu erreichen, hatte zur Folge, dass sich etliche Transpersonen von der schwulen und lesbischen Community distanzierten. Diese grenzte sich in weiten Teilen ihrerseits ab, um nicht den Stereotypen „effeminierte Männer” und „Mannweiber” zu entsprechen und dadurch das Ringen um gesellschaftliche Anerkennung zu gefährden.

10 In seiner Studie über Transmänner und FzM-Transsexuelle verweist Cromwell ([8] S. 28 f) auf eine ähnliche Diversität von Subjekten hinsichtlich morphologischer und sozialer Geschlechter in den USA.

11 Diese Vorkehrung spiegelt die wachsende gesellschaftliche Toleranz gegenüber Homosexuellen wider. Obwohl Homosexualität zur Zeit auf staatlicher Ebene nicht als ein gleichwertiger Ausdruck von Begehren und Zuneigung anerkannt wird, hat die Einführung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften im Jahr 2001 eine Form offizieller Anerkennung von lesbischen und schwulen Partnerschaften ermöglicht, allerdings in einer verglichen mit der Ehe niederrangigen Form.

A. de Silva, M. A.

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