B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2005; 21(3): 116-117
DOI: 10.1055/s-2005-836565
PRAXIS

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Gesundheitsökonomische Aspekte der Adipositas - Bisherige Ergebnisse der Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA)

T. von Lengerke, J. John
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Publication Date:
15 June 2005 (online)

(Pressetext DGK 03/2005) Übergewicht gilt sowohl in der klinischen Medizin als auch in der bevölkerungsbezogenen Gesundheitswissenschaft (Public Health) als einer der bedeutendsten Risikofaktoren. Das hat vor allem drei Gründe:

Zum einen erhöht insbesondere deutliches Übergewicht (Adipositas) die Wahrscheinlichkeit zahlreicher schwerwiegender Krankheiten, besonders im Herz-Kreislauf- und Stoffwechselbereich (z. B. Myokardinfarkt und Typ-2-Diabetes). Zum anderen hat auch in Deutschland die Zahl Übergewichtiger und Adipöser in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen, etwa bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei jüngeren Frauen und Männern mittleren Alters. Schließlich gilt Übergewicht als zumindest teilweise vermeid- und behandelbar, da es unter anderem mit beeinflussbaren Faktoren wie dem Ernährungsverhalten (inklusive Alkoholkonsum) sowie körperlicher (In-)Aktivität zusammenhängt.

All das macht Übergewicht auch für die Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie zu einem höchst aktuellen Thema. So hat das Robert-Koch-Institut in einer Analyse der Daten des Bundes-Gesundheitssurvey 1998 zu den Einflussfaktoren der Inanspruchnahme im ambulanten Bereich festgestellt, dass Adipositas (definiert als ein Body-Mass-Index [BMI] ≥ 30) mit einer erhöhten Inanspruchnahme von Allgemeinärzten (allerdings nicht Fachärzten) einhergeht. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Adipositas wurden kürzlich in einer Top-Down-Analyse auf 530 Mio. Euro geschätzt, wohlgemerkt ohne Komorbiditäten (mit Letzteren waren es über fünf Mrd. Euro). Dabei sind die spezifischen direkten Kosten der Versorgung vor allem auf Allgemeinarztbesuche zurückzuführen, und die indirekten Kosten (im Sinne arbeitsunfähigkeitsbedingter Produktivitätsverluste) machten ungefähr 50 % aus.

Allerdings ist diesen Studien eine Einschränkung gemeinsam: Es wurden jeweils nur zwei BMI-Gruppen (< 30 versus ≥ 30) und damit lediglich Adipöse und Nicht-Adipöse unterschieden. Eine jüngste US-Studie hat jedoch gezeigt, dass dort Personen, die unter schwerer Adipositas (BMI ≥ 35) leiden, nochmals deutlich höhere Inanspruchnahme- und Kostenwerte aufweisen als die Gruppe mit mäßiger Adipositas (BMI 30-35). Für Deutschland liegen dazu nunmehr Auswertungen des KORA-Survey 1999/2001 vor (Tab. [1]), einer Studie auf der Forschungsplattform KORA (Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg; http://www.gsf.de/kora), in der unter anderem N = 947 25-74-Jährige untersucht und dreimal während eines halben Jahres telefonisch befragt wurden. In der Regel sind es tatsächlich die schwer Adipösen, die sich signifikant von Normalgewichtigen unterscheiden. So ist unter Ersteren der Anteil der Krankenhausfälle praktisch doppelt (9,9 versus 4,9 %) und der von Personen mit relativ starker Inanspruchnahme stationärer Leistungen mehr als viermal so groß (8,6 versus 2,0 %) als bei Normalgewichtigen. Diese Unterschiede sind auch nach Adjustierung wichtiger Confounder statistisch signifikant (die Bedeutung von Komorbiditäten wird derzeit noch analysiert). Bei den Allgemeinarztbesuchen gilt Ähnliches für starke Inanspruchnahme (10 versus 3,6 %); allerdings sind es hier bezüglich der Personen, die überhaupt Leistungen in Anspruch genommen haben, die mäßig Adipösen (BMI 30-35), bei denen der entsprechende Anteil am größten ist (64,2 %).

Tab. 1 Inanspruchnahme ambulanter und stationärer Versorgung durch Über- versus Normalgewichtige: Allgemeinarztbesuche und stationäre Krankenhausaufenthalte in sechs Monaten (KORA-Survey 1999/2000) Anzahl Allgemeinarztbesuche Anzahl Krankenhaustage (stationär) Anteil mit Inanspruchnahme (mind. 1 Besuch)% Anteil mit stärkster Inanspruchnahme (mind. 8 Besuche)% Anteil mit Inanspruchnahme (mind. 1 Besuch)% Anteil mit stärkster Inanspruchnahme (mind. 7 Tage)% Normalgewichtige (BMI 18,5-24) 48,0 3,6 4,9 2,0 Präadipöse (BMI 25-29) 50,2 5,9 4,6 2,2 mäßig Adipöse (Klasse 1: BMI 30-34) 64,2 3,9 5,6 3,0 schwer Adipöse (Klasse 2-3: BMI ≥ 35) 57,5 10,0 9,9 8,6 Anmerkungen: BMI 18,5-24: N = 304; BMI 25-29: N = 324; BMI 30-34: N = 233; BMI ≥ 35: N = 81Die Tabelle zeigt Statistiken auf Grundlage der Rohdaten; alle Vergleiche der unterlegten Gruppen mit den Normalgewichtigen bleiben auch nach Adjustierung von Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen, KV (GKV vs. PKV) und Wohnort (Stadt vs. Land) statistisch signifikant.

Betrachtet man nun die Kosten, liegen schwer Adipöse im stationären Bereich wie zu erwarten deutlich vorn: Sie verbrauchten im Mittel 1 630 Euro, während alle anderen Gruppen deutlich unter 600 Euro blieben. Bei den Allgemeinarztbesuchen zeigt sich dagegen deutlich eine „Treppenfunktion” von 45 Euro für Normalgewichtige bis 73 Euro für Adipöse mit einem BMI ≥ 35 (hier kompensiert also der höhere Anteil starker Inanspruchnahme die im Vergleich zu der Gruppe der mäßig Adipösen geringere Inanspruchnahmerate). Die relativ höchsten Kosten sind also wiederum bei den Personen in den Adipositas-Klassen zwei bis drei zu konstatieren (vgl. Abb. [1]). Daneben zeigt sich, dass Produktivitätsverluste durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei Adipösen zumindest tendenziell höher sind. Schließlich gibt es Folgen für die Lebensqualität der Betroffenen: Zwar unterscheiden sich Übergewichtige im Hinblick auf psychische Gesundheit nicht von Normalgewichtigen. Adipöse und wiederum besonders schwer Adipöse verfügen jedoch nur über eine deutlich eingeschränkte körperliche Gesundheit (vgl. Abb. [2]).

Abb. 1

Abb. 2

Zusammenfassend sprechen diese Ergebnisse sowohl für eine erhöhte Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen als auch relevante volkswirtschaftliche Mehrkosten insbesondere durch extrem adipöse Erwachsene. Zugleich reflektieren die Analysen den Bedarf an Prävention und Behandlung der Adipositas (und zwar wieder vor allem der Klassen zwei bis drei), um den körperlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Sinne einer möglichst hohen Lebensqualität zu beeinflussen. Insgesamt unterstreicht die Studie vor allem die Relevanz der Unterscheidung der Adipositas-Klassen eins versus zwei bis drei in der Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie.

Das GSF-Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen (IGM) wird sich auch in Zukunft dem Thema Adipositas widmen. In der KORA-Studie 2004/2005 wird untersucht, inwieweit sich Änderungen im Körpergewicht über einen Zehn-Jahres-Zeitraum auf Inanspruchnahme und Kosten auswirken.

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