ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2004; 113(11): 483
DOI: 10.1055/s-2004-837054
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Zahnschmerz ...

Cornelia Gins
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Publication Date:
07 December 2004 (online)

subjektiv genommen, ist ohne Frage unwillkommen - das beklagte schon Wilhelm Busch in seinem Gedicht. Allerdings ist nicht nur der Zahnschmerz, sondern der Schmerz generell ein steter Begleiter unserer Gesellschaft geworden. Gottlob ist ihm, dem Zahnschmerz, doch in den meisten Fällen auch eine konkrete Ursache zuzuschreiben. Aber oft ist der Schmerz da, auch ohne dass ein offensichtliches dentales Problem zu finden ist.

Schmerztabletten sind die häufigsten Mittel, die mit und ohne Rezept die Apotheke verlassen. Schmerzen im Kopf, im Rücken, Bauch oder den Gelenken gehören bei sehr vielen Patienten zum normalen Tagesgeschehen. Für den geschulten Mediziner ist der Schmerz vor allem Ausdruck einer körperlichen Disharmonie, eines krankhaften Geschehens, biophysiologisch und -chemisch, wie auch immer, bestens definiert und erklärt. Die Psychologen geben ihm aber auch eine andere Bedeutung, als Schrei der Seele. In Fachkreisen werden dazu interessante Gesichtspunkte diskutiert:

Der Schmerz dient eigentlich dazu, sich selbst auf etwas aufmerksam zu machen, beispielsweise auf einen ungelösten Konflikt. Leider ist die Reflektion des Einzelnen auf diese Möglichkeit nicht sehr ausgeprägt, denn dazu müsste Selbst- bzw. Eigenverantwortung übernommen werden, und das ist unbequem. Es ist ja auch viel einfacher, die Umwelt für sein Leid zu interessieren, eventuell sogar zu erpressen. So entstehen Abhängigkeiten, die erstaunlicherweise für beide Seiten oft sehr befriedigend sein können. Nichtsdestotrotz kann der Schmerz als Signal des Körpers verstanden werden, einmal über die eigene Lebenssituation nachzudenken. Dazu müssten dann aber gewohnte und vertraute Denkmuster hinterfragt werden. Nicht ganz einfach, wenn plötzlich Entscheidungen vor einem liegen, die so sorgfältig verdrängt wurden. Und fatalerweise können jetzt sogar die Schmerzen stärker werden oder sich verlagern, weil die Denkfalle zugeschnappt ist.

Hinter jedem schmerzhaften Geschehen nun eine psychische Blockade zu vermuten, ist sicherlich übertrieben, aber ein einfühlsames Patienten-Arzt-Gespräch kann vielleicht sehr hilfreich sein.

Immer wieder wird in den gesundheitspolitischen Diskussionen gefordert, die sprechende Medizin mehr in den Vordergrund zu stellen. Eine Forderung, die meines Erachtens zwar nicht einer besonderen Erwähnung bedarf, aber offensichtlich scheint es da ja doch Defizite zu geben. Den Schmerz nicht nur in seiner medizinischen, sondern vielleicht auch symbolischen Bedeutung zu hinterfragen, finde ich ungeheuer spannend. Ganz abgesehen davon, dass vor diesem Hintergrund der eigene Kopfschmerz eine ganz neue Dimension erhält.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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