B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2005; 21(1): 36-39
DOI: 10.1055/s-2004-836262
Forum Gesundheitspolitik

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Betriebliches Gesundheitsmanagement - eine Standortbestimmung

K. Weiß1
  • 1Zaunkönigstr. 11, 75245 Neulingen
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Publication Date:
21 February 2005 (online)

Ausgangslage

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war der Krankenstand so niedrig wie in den letzten Monaten und Jahren. Dieser Rekord ist bei weitem nicht Resultat neuer Initiativen im betrieblichen Gesundheitsmanagement und Ausdruck einer neuen betrieblichen Gesundheitspolitik. Vielmehr sind kurzfristig wirkende Veränderungen im Gesundheitssystem (mehr Zuzahlungen, höhere Eigenbeteiligungen der Versicherten) und die schlechte konjunkturelle Situation mit der damit eng verknüpften angespannten Arbeitsmarktsituation als Ursache zu identifizieren.

Aktuelle Prognosen der Arbeitsmarktforscher und führender Wirtschaftsinstitute gehen von einer nur sehr geringfügigen Senkung der Anzahl der Arbeitslosen in den nächsten Monaten aus. Einher geht diese dramatische Situation mit dem Kampf der Industrie um die Standortfrage. Dieser soll durch die Senkung der Lohnnebenkosten (Beitragssenkung durch die Krankenkassen) positiv beeinflusst werden. Das Konzept scheint jedoch nur sehr langfristig wirksam zu werden. Der erhoffte schnelle Erfolg bleibt bisher aus. Vielmehr spitzt sich die wirtschaftlich angespannte Situation weiter zu.

Die Veränderungen in der Arbeitswelt und in den Arbeitsprozessen führen zu einem Paradigmenwechsel in den sozialen und gesundheitlichen Strukturansätzen.

Veränderungen im Arbeitsprozess:

  • die Zahl der weiblichen Beschäftigten steigt,

  • die Zahl der älteren Arbeitnehmer steigt,

  • die Zahl der qualifizierten Arbeitnehmer sinkt,

  • die körperlichen schweren Belastungen am Arbeitsplatz sinken,

  • die psychomentalen Belastungen steigen an,

  • die Arbeitsorganisation (Teamarbeit/Projektarbeit) verändert die sozialen Strukturen,

  • neue Kommunikationsstrukturen (Homeoffice) entstehen.

Zwei Kernprobleme der Arbeitswelt sind hier herauszuheben. Zum einen lässt die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren eine Reduzierung der qualifizierten Arbeitskräfte erwarten, zum anderen wird die Zahl der älteren Arbeitnehmer weiter kontinuierlich steigen. Allein diese beiden Faktoren werden unsere Arbeitswelt stark verändern.

Veränderung in den sozialen und gesundheitlichen Strukturen:

  • die an Kuration ausgerichteten Betreuungssysteme (Reparaturmedizin) sind nicht mehr finanzierbar,

  • die sozialen Strukturen verändern sich (z. B. mehr Singlehaushalte),

  • die Lebenserwartung steigt ständig,

  • die Bindung der Beiträge zu den Sozialsystemen an die Lohnsummen führt zu Disproportionen (weniger Berufstätige - mehr Menschen im Ruhestand).

Diesen Entwicklungen müssen wir verstärkt mit Konzepten und Lösungsmöglichkeiten begegnen, um langfristig lebensfähige und stabile Strukturen aufzubauen.

Auf der Suche nach den besten Ansatzpunkten in der Gesundheitsförderung werden den so genannten Settings größere Erfolgschancen zugesprochen. Als Setting werden die Lebensbereiche bezeichnet, in denen die Menschen den größten Teil ihrer Zeit verbringen (Arbeitsplatz, Schule, Wohnort) und die einen besonders starken Einfluss auf die Gesundheit haben. Wesentliche Vorteile sind die Erreichbarkeit der potenziellen Teilnehmer und die Nutzung vorhandener Strukturen.

Die Anzahl der Projekte im betrieblichen Gesundheitsmanagement haben inzwischen zugenommen. Auffällig ist dabei, dass es sich in den meisten Fällen um Projekte innerhalb großer Unternehmen und Konzerne handelt. Nach wie vor sind Projekte und Maßnahmen in den Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KMU) die Seltenheit. Dies ist umso problematischer, weil ca. 80 % der berufstätigen Bevölkerung Deutschlands in Klein- und Mittelständischen Unternehmen (2,1 Mio. Unternehmen) arbeiten.

Obwohl seit mehreren Jahren klare gesetzliche Vorgaben zur Entwicklung und Unterstützung von Angeboten im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements für die Kostenträger (Kranken-, Unfall-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) bestehen, blieben die Angebote der Kostenträger weit hinter den Erwartungen zurück. Dies trifft auch auf die Zusammenarbeit der Kostenträger und die Koordinierung der Maßnahmen zu.

Prävention aus Sicht der Politik/Parteien/Organisationen

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei der Vorstellung der „Agenda 2010” bereits auf die Bedeutung der Prävention und Gesundheitsvorsorge hingewiesen: „Durchsetzen muss sich schließlich die Erkenntnis, dass sich Gesundheitspolitik nicht auf die Heilung von Krankheiten beschränken darf.”

Die Bundesregierung ist dabei, diese Grundsätze in einem eigenständigen Präventionsgesetz zusammenzufassen. Ziel ist, die Prävention - neben der Akutbehandlung, Rehabilitation und Pflege - zur vierten Säule im Gesundheitswesen auszubauen. Die Wirksamkeit und die Effizienz der präventiven Maßnahmen soll gesteigert werden. Bestehende Regelungen und gesetzliche Aufträge werden zusammengefasst und ergänzt, um die Kooperation zwischen den Akteuren zu verbessern. Es sollen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine deutliche Steigerung effizienter Angebote im Bereich der Prävention ermöglichen.

Die Diskussion um die Ausgestaltung wird auf allen Ebenen der Gesundheitspolitik geführt. Als ein Problem wird sich vor allem die Finanzierbarkeit der Vorhaben herauskristallisieren. Die Bedenken der Krankenkassen, dass durch bürokratische Strukturen Beitragsgelder der Sozialversicherung entfremdet werden, sind durchaus berechtigt.

In den Formulierungen der Leitlinien der Parteien und in den Zielsetzungen der jeweiligen Kommissionen ist der Stellenwert der Prävention unumstritten. Die gesellschaftliche Bedeutung der Prävention wird einstimmig parteiübergreifend formuliert.

Dennoch ist die Bandbreite zwischen politischen Grundsatz-(Absichts-)erklärungen und konkreten Vorschlägen sehr groß. Zumindest besteht jedoch inzwischen Einigkeit darüber, dass Sport und Bewegung eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Prävention und Vorbeugung der Zivilisationskrankheiten einnehmen. Die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gehen aber über Absichtserklärungen oft nicht hinaus bzw. werden, wie z. B. in Baden Württemberg, mit konkreten Haushaltskürzungen im Sport ad absurdum geführt.

Immer mehr erkennen die „Player” des Gesundheitssystems, dass die in der Wirtschaft praktizierte Tendenz der Globalisierung auch im Rahmen der Gesundheitssysteme notwendiger wird. Dabei ist die Einrichtung internationaler und nationaler Netzwerke und Kooperationen ein wichtiger und vielleicht der entscheidende Schritt. Mit der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) und dem Deutschen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung sind erste Schritte bereits vollzogen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement - Stand der Wissenschaft

Die Vernachlässigung aktiver betrieblicher Gesundheitspolitik verursacht den Unternehmen, den Dienstleistungsorganisationen und der Volkswirtschaft insgesamt hohe Kosten durch vermeidbare medizinische Behandlung und Fehlzeiten. Die Kosten, bedingt durch Fehlzeiten, werden hierzulande auf jährlich über 35 Mrd. Euro geschätzt.

Darin nicht enthalten sind:

  • die Fehlzeiten unterhalb der Karenzzeit von 3 Tagen,

  • die bei der Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung anfallenden Kosten vermeidbarer Unfälle, Berufskrankheiten, Behandlung und Frühberentung,

  • die den Unternehmen entgangenen Wettbewerbsvorteile und Erträge bedingt durch Motivationsverlust, innere Kündigung, Angst, Mobbing oder Burnout.

Die demographische Entwicklung lässt erwarten, dass in wenigen Jahren das Potenzial an Arbeitskräften deutlich absinkt. Dies wird die Unternehmen dazu zwingen, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Beschäftigten gesünder älter werden und der Zufluss an jungen Talenten anhält. Die heute das Krankheitspanorama beherrschenden chronischen Krankheiten lassen sich in der Arbeitswelt besonders effizient und nachhaltig bekämpfen, auch wenn ihre Ursachen teilweise außerhalb der Arbeitswelt liegen.

Inzwischen sind die Wirkungen, die Möglichkeiten der Kostendämpfung (Return to Invest) durch Angebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement mehrfach in internationalen und nationalen Studien belegt. In den verschiedensten Projekten und Pilotstudien wurden die Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitstage, verbesserte gesundheitliche Ressourcen der Mitarbeiter, die Steigerung des Wohlbefindens der Mitarbeiter und die verbesserte Arbeitszufriedenheit nachgewiesen. Nach wie vor fehlen aber flächendeckende Analysen und Untersuchungen zu den tatsächlichen Angeboten und Strukturen der Gesundheitsförderung in den Unternehmen. In einem weiteren Schritt sollten die Ursachen für die geringe Akzeptanz bei den Unternehmen und den Mitarbeitern stärker hinterfragt werden. Die grundsätzliche Einbindung moderner Gesundheitsmanagementsysteme in das Unternehmensmanagement ist nach wie vor unzureichend realisiert. Die Ursachen und die Entwicklung funktionsfähiger Unternehmensstrukturen muss wissenschaftlich begleitet werden. Nur durch eine dauerhafte strukturelle Integration der BGM-Prozesse werden nachhaltige Fortschritte erzielbar sein.

Betriebliches Gesundheitsmanagement aus Sicht der Unternehmen

Betriebliche Gesundheitspolitik erfordert enge Zusammenarbeit zwischen dem Management der Unternehmen und den Belegschaftsvertretungen. Die hier häufig zu beobachtenden Spannungen und Konflikte dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Dass Arbeitsschutz eine klassische Aufgabe für Arbeitnehmervertretungen und der Unternehmensführung ist, wird nicht immer ausreichend wahrgenommen. Arbeitgeber halten dies oft für eine lästige Pflicht, Arbeitnehmervertreter sind nicht immer ausreichend informiert und ausgebildet.

Bedenkt man jedoch die Vielzahl der gültigen Rechtsvorschriften für Arbeitgeber, sollte man davon ausgehen, dass mittlerweile in jedem Unternehmen umfassende Programme zum betrieblichen Gesundheitsschutz wirkungsvoll Anwendung finden. Das reale Spiegelbild zeigt uns aber eine andere Situation. Konzepte zum betrieblichen Gesundheitsmanagement werden nur sehr selten oder sporadisch angeboten. Wir stecken nach wie vor in den „Kinderschuhen”.

Eine Ursache liegt in den Unternehmensstrukturen. 2,1 Mio. Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU = weniger als 100 Mitarbeiter) beschäftigen ca. 80 % der berufstätigen Bevölkerung in Deutschland. In diesen Unternehmen werden wichtige betriebliche Funktionen unter engen personellen Ressourcen gemeistert.

Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement werden in der Priorität an das Ende der Aufgabenliste gesetzt (Tab. [1]).

Tabelle 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)Arbeitsstättenverordung (ArbStättV)Arbeitszeitrechtsgesetz (ArbZG)Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)Chemikaliengesetz (ChemG)Gerätesicherheitsgesetz (GSG)Gewerbeordung (GewO)Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG)Mutterschutzgesetz (MuSchG)Sozialgesetzbuch (SGB)

Die Verantwortung und die Chancen der Unternehmer sollten viel konsequenter wahrgenommen werden. Dies ist kein Wunschtraum. Immer mehr Unternehmen erkennen den Mitarbeiter als Wachstumskraft, als Motor der Unternehmensentwicklung, und entfernen sich von der weit verbreiteten Meinung, Arbeitskräfte lediglich als Kostenfaktor zu definieren. Die Vorbildrolle großer Konzerne und Unternehmen ist in der Verbreitung effizienter betrieblicher Gesundheitsstrukturen ein wichtiger Faktor. Gerade die großen Unternehmen können auf Ressourcen zurückgreifen und die vorhandenen Strukturen wie z. B. der werksärztlichen Dienste, der Arbeitssicherheitsfachkräfte und der Mitarbeitervertretungen nutzen.

Gleichermaßen würden sich überbetriebliche Kooperationen anbieten, in denen z. B. Konzerne und kleinere Zulieferbetriebe Ressourcen und Strukturen gemeinsam entwickeln und nutzen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement aus Sicht der Kostenträger

Bisher sind die einzelnen Kostenträger lediglich innerhalb ihrer Strukturen und ihrer gesetzlich vorgegebenen Aufgabenstellung vorgegangen. Die Vorgaben für die Kostenträger, übergreifend bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zusammenzuarbeiten, wurde nur zögerlich umgesetzt. Oft wurde der Prüfung der eigenen Zuständigkeit eine große Aufmerksamkeit geschenkt. Mit dem neuen Präventionsgesetz werden zahlreiche Verknüpfungen entstehen. Künftig werden im Bereich der Sozialversicherung die gesetzliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie die Pflegeversicherung in Kooperation mit Ländern und Kommunen im Rahmen einer Stiftung auf Bundesebene gemeinsam Maßnahmen der primären Prävention finanzieren, beschließen und durchführen.

Gesetzliche Krankenversicherung

Im Jahr 2000 wurde der § 20 SGB V neu formuliert. Dadurch erhielt die Prävention durch die Krankenkassen eine neue gesetzliche Grundlage für aktive Handlungskonzepte. Mit einem Betrag von 2,56 Euro je Versicherten wurden finanzielle Kenngrößen und Budgets für die Krankenkassen festgelegt.

Der Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung wird im Absatz 2 des Gesetzes (§ 20 Abs. 2 SGB V) ausdrücklich als Betätigungsfeld in Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungen festgeschrieben. Durch die inzwischen erarbeiteten Vereinbarungen der Spitzenverbände der Krankenkassen zu den Qualitätsstandards im Rahmen der Prävention wurden letztendlich einheitliche Handlungsgrundlagen geschaffen. Die Erwartung, dass nunmehr mit einer breit angelegten Initiative der Krankenkassen flächendeckende Angebote im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements entstehen, wurde bisher nicht erfüllt. Weder in den regionalen Angeboten noch in der konzeptionellen Arbeit positionieren sich die Krankenkassen entsprechend ihrer Möglichkeiten und ihres Auftrages.

Eine neue Dimension erzielt dieser Bereich seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz. Hier sind für die Krankenkassen über Bonusregelungen Möglichkeiten eröffnet worden, die in ihrer Auswirkung noch nicht klar abzuschätzen sind.

§ 65 a Abs. 3 SGB V Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung auch vorsehen, dass bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durch Arbeitgeber sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.

Einzelne Krankenkassen haben reagiert und die entsprechenden Satzungsregelungen getroffen. Die Bonusregelungen müssen explizit in der jeweiligen Satzung der Krankenkasse definiert sein. In einer kleinen Recherche der Kassensatzungen bzw. der Leistungsangebote wird sichtbar, dass die Bandbreite der Kassenentscheidungen sehr groß ist.

Sie reicht von

  • Übernahme entstehender Projektkosten (war schon immer möglich),

  • Gewährung jährlicher Pauschalen und Förderung von „ehrenamtlichen Gesundheitsmanagern”

bis zur

  • Rückzahlung von Beitragsgeldern bei Erfüllung definierter Qualitätsstandards (bis zu 1/12 des jährlichen Beitragsvolumens an den Arbeitgeber und Arbeitnehmer).

Die Umsetzung dieser Regelungen ist bei vielen Krankenkassen noch nicht ausgereift und bedarf noch größerer Anstrengungen.

Erfreulich ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Nachweis der Kostenersparnis durch die Bonusmodelle der Krankenkassen fordert. Dass der Bereich Bonusregelungen innerhalb der betrieblichen Gesundheitsförderung dabei nicht berücksichtigt wird, ist sehr bedauerlich. Hier geraten ernsthafte und Erfolg versprechende Ansätze in Gefahr, als „billige” Marketingstrategien im Kampf um Mitgliederzuwächse missbraucht zu werden.

Rentenversicherung

Der Grundsatz „Rehabilitation geht vor Berentung” bestimmte jahrelang die Bemühungen und Anstrengungen der Rentenversicherungsträger. Dadurch entstandene ambulante und stationäre Rehabilitationsangebote wurden weitgehend unter Berücksichtigung veränderter Qualitätsstandards weiterentwickelt. Die Angebote nehmen im Rahmen der medizinischen Versorgung einen festen Platz ein. Der Grundsatz müsste jedoch zeitgemäß auf die Aussage: „Prävention geht vor Rehabilitation und …” erweitert werden. Hier sind jedoch nur zaghafte Ansätze sichtbar, die sich meist auf präventiv orientierte Angebote der stationären Rehabilitationseinrichtungen beschränken. Neue Verpflichtungen für den RV-Träger ergeben sich aus § 84 SGB IX (siehe Rolle der Gewerkschaften). Die Tatsache, dass bei Erkrankungen einzelner Mitarbeiter von mehr als 6 Wochen pro Jahr präventive Maßnahmen zu ergreifen sind, wird erst zögerlich aufgegriffen. Entsprechende Handlungskonzepte, z. B. Schulung der Arbeitnehmervertretungen, fehlen bisher gänzlich.

Berufsgenossenschaften

Das berufsgenossenschaftliche Unfallversicherungssystem umfasst die Aufgaben: Prävention vor Rehabilitation vor Rente mit der Zielsetzung einer raschen und möglichst vollwertigen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess, also der Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit durch wirksame Maßnahmen der Prävention und der Rehabilitation.

Im Sozialgesetzbuch VII hat der Gesetzgeber die Aufgaben der Selbstverwaltung (Eigenverantwortlichkeit von Versicherten und Arbeitgebern) bestätigt und den Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhüten und für eine wirksame erste Hilfe zu sorgen, auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren erweitert.

Die Berufsgenossenschaften haben hierzu Leitlinien berufsgenossenschaftlicher Prävention aufgestellt.

  • Arbeits- und Gesundheitsschutz ist eine Verpflichtung, die in und von den Betrieben zu gewährleisten ist. Die Berufsgenossenschaften unterstützen Unternehmer und Versicherte dabei mit allen geeigneten Mitteln.

  • Präventionsstrategien sind an den Kriterien Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit auszurichten. Sie haben die Innovationsprozesse und den Strukturwandel in der Wirtschaft sowie die mit neuen Technologien und veränderten Arbeitsformen zusammenhängenden Belastungsveränderungen angepasst zu begleiten.

  • Die deutsche Wirtschaft wird maßgeblich von der großen Zahl kleiner und mittlerer Betriebe geprägt. Insbesondere für sie werden von den Berufsgenossenschaften, unter Berücksichtigung branchenspezifischer Besonderheiten, zielgerichtete Präventionsstrategien entwickelt, die auf die Besonderheiten dieser Betriebsgröße Rücksicht nehmen.

  • Die Berufsgenossenschaften fördern gemeinsame Einrichtungen und übergreifende Aufgaben auf dem Gebiet der Prävention, z. B. Präventionsausschüsse, Schwerpunktaktivitäten und Forschung.

  • Die Berufsgenossenschaften wirken mit anderen Arbeitsschutzinstitutionen, insbesondere mit den staatlichen Stellen und Ausschüssen, auf den Feldern der Prävention zusammen (Auszug).

Unter der Leitung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften, der ein Initiator der DNBGF ist, werden Kooperationen, Forschungsvorhaben und Fort- bzw. Weiterbildungsangebote der Berufsgenossenschaften aufgebaut. Ein stärkerer Schulterschluss der Kooperationspartner und der Kostenträger sowie die effiziente Integration der Programme in die Gesundheitspolitik der Unternehmen bleiben weiter dringliche Arbeitsschwerpunkte.

Betriebliches Gesundheitsmanagement aus Sicht der Gewerkschaften

Sehr häufig stehen die Gewerkschaften in akuten Spannungsfeldern, wenn es zur Zeit massiv um den Erhalt von Arbeitsplätzen bzw. die Verhinderung des Abbaus sozialer Standards geht. Vorrangig haben sich die Arbeitnehmervertreter in den letzten Jahren um die Durchsetzung von Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheitsmaßnahmen bemüht. Die Integration ganzheitlich orientierter Präventionskonzepte im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements stand viel zu selten im Fokus der Aktivitäten. Die Gewerkschaften an sich und die Arbeitnehmervertreter vor Ort sind bei der Implementierung von betrieblichen Präventionsprogrammen und deren Umsetzung viel stärker als Interessensvertreter gefragt.

Mit den neuen Gesetzgebungen sind auch neue konkrete Verantwortlichkeiten entstanden, die nunmehr von den Arbeitnehmervertretern mehr als eine bloße „politische Zustimmung” fordern. So werden z. B. im § 84 Abs. 2 SGB IX konkrete Maßnahmen und Verantwortlichkeiten definiert.

„… Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessensvertretung … wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).”

Diese gesetzliche Formulierung fordert die Interessensvertreter über die Betreuung der Schwerbehinderten hinaus auf, Interventionsmaßnahmen für alle Mitarbeiter des Unternehmens treffen zu können. Die Durchführung der so genannten „Krankenrückkehrgespräche”, die viel zu oft mehr als eine versteckte Drohung zur Vermeidung weiterer Krankheitstage war, haben sich für diese Anforderungen als unwirksam erwiesen.

Es gilt hier zeitnah Fort- und Weiterbildungen der Gewerkschaften für die Interessensvertreter aufzubauen und anzubieten, die den Wissensstand und die Kompetenz der Akteure deutlich verbessert.

Eine aktive Einflussnahme und die kompetente Prozessbegleitung des betrieblichen Gesundheitsmanagements durch die Interessensvertreter werden auch unter dem Gesichtspunkt des neuen Präventionsgesetzes mehr als notwendig.

Ausblick und Tendenzen

Die Notwendigkeit, funktionierende betriebliche Gesundheitsmanagementsysteme zu entwickeln, hat an Dringlichkeit nicht verloren. Die Voraussetzungen sind denkbar günstig. Es ergeben sich u. a. folgende Schwerpunkte:

  • Schaffung der politischen Rahmenbedingungen,

  • Positionierung und weiterer Ausbau vorhandener Netzwerke,

  • Stärkung der unternehmerischen Initiativen,

  • Schaffung finanzieller Anreize (Bonussysteme),

  • Integration der unternehmerischen Gesundheitspolitik in die Ausbildung der zukünftigen Führungskräfte (Fachhochschulen, Hochschulen),

  • Erweiterung der Fort- und Weiterbildungsangebote auf allen relevanten Ebenen,

  • Aufbau, Nutzung und Erweiterung von Kooperationen der Kostenträger,

  • Unterstützung von wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungsvorhaben.

In der Umsetzung der Ideen und Erkenntnisse des betrieblichen Gesundheitsmanagements liegen große gesellschaftliche Potenziale. Einige wichtige Fragen der Zukunft können hier aufgegriffen werden und mit entsprechenden Konzepten beantwortet werden. Das betriebliche Gesundheitsmanagement wird eine interessante und spannende Aufgabenstellung für alle Beteiligten bleiben.

Klaus Weiß

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