ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2004; 113(10): 421
DOI: 10.1055/s-2004-835690
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Teufel und Beelzebub

Cornelia Gins
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Publication Date:
27 October 2004 (online)

Und wieder hat es ein Medikament erwischt: Vioxx®, seit 1999 als das Super-Rheumamittel auf dem Markt, erleidet dasselbe Schicksal wie der Cholesterinsenker Lipobay® vor 3 Jahren. Das neue schmerz- und entzündungsstillende Mittel sollte viel besser sein als alle bereits auf dem Markt befindlichen Produkte, wie beispielsweise der Jahrhundertklassiker Aspirin mit seiner bekannten Schädigung der Magen- und Darmschleimhaut. Doch nun hat Ernüchterung eingesetzt. Zwar schont das Mittel die Magenschleimhäute, doch hat sich der Verdacht bestätigt, dass das Risiko für Herzkreislauferkrankung wie Infarkt oder Schlaganfall steigt. Das Medikament ist jetzt vom Markt genommen.

Diese Vorfälle werden wohl leider keine Einzelfälle bleiben. Der Traum der Forschung ist es natürlich, Medikamente mit maximaler Wirkung am Therapieort und ohne Begleiterscheinungen zu entwickeln. Doch dieser Traum ist ein Wunschtraum. Zu komplex ist der menschliche Körper, als dass so eine Vorstellung je Realität werden könnte. Von der Gentechnologie wird sich zwar viel versprochen, doch auch hier wird es Nebenwirkungen geben, vielleicht aber erst in der nächsten Generation.

Gottlob gehört der Einsatz von Medikamenten in der Zahnheilkunde nicht zur Standardtherapie. Noch nicht, muss vielleicht gesagt werden, denn auch in unserem Fach häufen sich vermehrt Schmerz- oder Entzündungssituationen, die mit unseren bekannten diagnostischen Mitteln nur unzureichend geklärt werden können. Der Griff zu einem Antibiotikum oder Antiphlogistikum ist da schnell getan.

Eher haben wir es da mit den Nebenwirkungen der bereits zur Therapie anderer Erkrankungen eingesetzten Medikamente zu tun. Parodontale Veränderungen nach Langzeiteinnahme von Blutdruckmitteln beispielsweise oder Xerostomie mit den bekannte Folgen nach Einnahme von Psychopharmaka und Asthmasprays. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen mit Erscheinungen, die wir noch gar nicht zuordnen können.

Die Kosten im Gesundheitssystem werden vor allem durch den steigenden Bedarf an Medikamenten verursacht. Ein Grundproblem der modernen Medizin. Der Griff zur Pille ist sowohl für Patient als auch Arzt bequem, schnelle Wirkung - kaum Aufwand. Der Hinweis auf die Risiken und Nebenwirkungen übernimmt hier eher eine Alibifunktion. Kaum ein Arzt oder Apotheker sieht sich heute noch in der Lage, diese zu überblicken. Und die Verantwortung der Pharmaindustrie? Diese steht unter Zeitdruck, die Konkurrenz schläft schließlich nicht. So bleibt also nur der „Feldversuch Patient” wie bei Vioxx® oder Lipobay®.

Da bin ich wirklich froh, Zahnarzt zu sein. Auch bei uns kommen und gehen allzu euphorisch angepriesene Produkte, aber die Nebenwirkungen verursachen im schlimmsten Fall den Zahnverlust. Die Aufgabe der Medizin sollte ja eigentlich sein, zu heilen und Schaden von den Patienten abzuwehren. Leider wird aber allzu oft der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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