Das Marchiafava-Bignami-Syndrom (MBS) ist eine seltene Variante der extrapontinen
Myelinolyse mit vorwiegender Beteiligung des Balkens. An klinischen Symptomen können
subakut Bewusstseinsstörungen, Aphasien, Pyramidenbahnzeichen und Diskonnektions-syndrome
auftreten, auch cerebrale Anfälle sind möglich. Die Pathogenese des MBS ist noch weitgehend
unbekannt; prädisponierende Faktoren sind Malnutrition und Alkoholabusus.
Wir berichten über einen 57-jährigen obdachlosen Patienten, der in einem stark verwahrlosten
Zustand stuporös aufgefunden wurde. Fokal-neurlogische Ausfälle sind initial nicht
zu verzeichnen, das Aufnahme-CCT ist unauffällig. Als Ursache des Psychosyndroms lässt
sich eine ausgeprägte Hyperglykämie (729mg/dl, HbA1c 14,6%) feststellen, die unter
intensivmedizinischen Bedingungen langsam korrigiert wird; Elektrolytstörungen liegen
nicht vor. Bis zum zweiten Tag entwickelt sich eine stuporöse Bewusstseinstrübung,
und das Kontroll-CCT zeigt diffuse Hypodensitäten im Bereich des Balkens. Das anschließende
kraniale MRT bestätigt die Verdachtsdiagnose MBS: In den Diffusions- und Flairsequenzen
sind multiple fleckförmige hyperintense Herde im Balken und vereinzelt auch subkortikal
nachweisbar; nach Gadolinium-Gabe ist kein Enhancement zu verzeichnen. Nach hochdosierter
parenteraler Gabe von Vitamin B1 und B12 ist der Patient am Folgetag wieder wach,
jedoch psychomotorisch verlangsamt und verwirrt; neben einer leichten Broca-Aphasie
findet sich jetzt eine mäßiggradige Hemiparese rechts. Nach weiteren 14 Tagen bessern
sich die Herdsymptome deutlich, es persistiert jedoch ein hirnorganisches Psychosyndrom
mit Antriebsminderung und partieller Desorientierung. Das Kontroll-MRT zeigt jetzt
eine Größenzunahme der Balkenherde mit inhomogenem Enhancement nach Gadolinium-Gabe.
Als mögliche Pathomechanismen des MBS werden kombinierte metabolische, vaskuläre und
toxische Prozesse diskutiert. Im vorliegenden Fall könnten bei entsprechender Prädisposition
(Alkoholabusus und Fehlernährung) die hyperglykämische Stoffwechselentgleisung und
die damit verbundene Hyperosmolarität eine auslösende Rolle gespielt haben. Die Bedeutung
der hochdosierten Vitamin B-Gabe für den relativ günstigen Verlauf bleibt offen. Die
klinische Besserung bei gleichzeitiger bildmorphologischer Dynamik lässt darauf schließen,
dass die MR-Befunde einen gliösen Parenchymumbau im Sinne einer beginnenden Narbenbildung
widerspiegeln.