Pneumologie 2004; 58 - 0
DOI: 10.1055/s-2004-831087

Nicht-invasive Beatmung: Evidenz-basiert auf dem Vormarsch

K Rasche 1
  • 1Kliniken St. Antonius Akad. Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Zentrum für Innere Medizin, Schwerpunkt Pneumologie, Wuppertal

Eine respiratorische Insuffizienz liegt vor, wenn Gasaustausch, Ventilation oder beide in Kombination gestört sind. Entsprechend ist es – zumindest aus didaktischen Gründen – sinnvoll, zwischen einem hypoxischen (früher: sog. respiratorische Partialinsuffizienz) und einem ventilatorischen Versagen (früher: sog. respiratorische Globalinsuffizienz) des respiratorischen Systems zu unterscheiden. Das ventilatorische Versagen ist Folge einer Störung der Atmungspumpe. Diese Störung kann zentral (z.B. Hirnstamm) oder peripher (z.B. Atmungsmuskulatur) lokalisiert sein (2). Das adäquate Therapieprinzip einer Störung der Atmungspumpe ist die (künstliche) mechanische Ventilation (Beatmung) bzw. Atmungsunterstützung (engl: mechanical ventilatory support).

Das wissenschaftliche, klinische und technologische Interesse an der Pathophysiologie von Atmungsstörungen und der Durchführung verschiedener Beatmungsverfahren hat in den letzten Jahren eine beachtliche Entwicklung erfahren (8, 14). Hierzu hat insbesondere die zunehmend breite Anwendung nicht-invasiver Beatmungstechniken, d.h. Beatmungsverfahren ohne tracheale Intubation, beigetragen (10).

Zur Zeit der Poliomyelitis-Epidemie in den 50er-Jahren standen zur nicht-invasiven Ventilation (NIV) im wesentlichen nur Negativ-Druck-Beatmungsvefahren zur Verfügung (sog. Eiserne Lunge). Durch die zur Behandlung des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms Anfang der 80er-Jahre benutzten nasalen Überdruck(be)atmung waren dann zunehmend verschiedenste Nasen- und Gesichtsmasken verfügbar, die auch für die NIV benutzt werden konnten (16). Dieses führte dann in den 90er-Jahren zu ersten Anwendungen im Rahmen größerer Untersuchungsserien an Patienten mit respiratorischer Insuffizienz unterschiedlicher Genese (1, 9).

Durch die Entwicklung einer Fülle von Beatmungsgeräten, die auch außerhalb von Intensivstationen und sogar außerhalb des Krankenhauses betrieben werden können, hat die Zahl derjenigen Patienten mit respiratorischer Insuffizienz, die im häuslichen Bereich im Sinne einer Heimbeatmung (engl.: home mechanical ventilation) beatmet werden, im letzten Jahrzehnt weltweit stetig zugenommen. Nach einer Schätzung der European Respiratory Society wurden in Europa im Jahre 2001 ca. 20.000 Patienten zu Hause beatmet (15). Neben der nicht-invasiven Beatmung ist hier je nach Atmungsstörung und Grunderkrankung u. U. auch eine chronische invasive Beatmung über Tracheostoma erforderlich.

Die technische Entwicklung geeigneter Beatmungszugänge und -geräte ermöglichte eine konsequente wissenschaftliche Analyse von Nutzen und Risiken insbesondere der NIV im Hinblick auf verschiedene Krankheitsbilder. Mittlerweile konnten drei wesentliche Indikationszeitpunkte für die NIV herausgearbeitet werden:

– Akute respiratorische Insuffizienz (vor trachealer Intubation)

– Entwöhnungsphase nach bereits erfolgter trachealer Intubation

– Chronische respiratorische Insuffizienz (sog. Heimbeatmung)

Gerade im Falle der akuten Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (AECOPD) zeigte eine kürzlich erschienene Cochrane-Analyse u.a. ein gegenüber den nur konventiell behandelten Kontrollen vermindertes Risiko für eine Intubation (Rel. Risiko: 0.42) und ebenso für die Mortalität (Rel. Risiko: 0.41) (6). Eine weitere multizentrische Studie zur Frage der Kosten der NIV belegte ebenso eine hohe Kosteneffektivität im Falle einer AECOPD, da diese Beatmungsmethode auch außerhalb von Intensivstationen durchgeführt werden kann (13). Das Paradoxon dieser Studie: pro verhindertem Sterbefall wurden fast € 1.000,- Kosten eingespart! Auch beim kardiogenen Lungenödem belegte eine kürzlich erschienene prospektive, randomisierte Studie eine geringere Intubationsrate und Mortalität unter Anwendung der NIV (12).

Die Studienlage in Bezug auf den Nutzen der NIV bei der Respiratorentwöhnung zeigt ebenso grundsätzlich positive Ergebnisse (5, 11). Dennoch sollte der endgültigen Publikation einer bisher nur in vorläufiger Form publizierten multizentrischen Studie zu dieser Thematik besonderes Augenmerk geschenkt werden: Hiernach steigt die Mortalität von Weaning-Patienten, wenn die Intubation durch zu ausgedehnte Anwendung der NIV zu sehr hinausgezögert wird (4).

Auch bei der chronischen respiratorischen Insuffizienz kann die NIV von Nutzen sein. Insbesondere profitieren hiervon Patienten mit nicht broncho-pulmonal bedingter respiratorischer Insuffizienz wie Post-Polio-Syndrom, Muskeldystrophie oder amyotropher Lateralsklerose im Hinblick auf Lebensqualität und Prognose quoad vitam (7, 17, 18). Eine differenziertere Betrachtungsweise ist allerdings bei der Indikationsstellung zur NIV im Hinblick auf die stabile COPD erforderlich. Ein Überlebensvorteil der hiermit behandelten Patienten ist bisher nicht bewiesen. Derzeitig kann bei chronischer respiratorischer Insuffizienz in Folge COPD die NIV nur bei ausgeprägter Symptomatik aufgrund einer schlafbezogenen Hypoventilation, bei Entwicklung einer schweren Hyperkapnie unter Sauerstofftherapie und bei häufiger stationär behandlungsbedüftiger AECOPD empfohlen werden. Zukünftige Studien sollten sich beschränken auf Patienten mit schwerer Hyperkapnie mit den primären Studienendpunkten Überlebensrate, Lebensqualität und ökonomische Evaluation (3).

Auch in Deutschland beschäftigt sich die Arbeitsgemeinschaft Heimbeatmung und Respiratorentwöhnung e.V., die 1992 in Bovenden-Lenglern (Göttingen) gegründet wurde, mit der Thematik der nicht-invasiven und Langzeitbeatmung (www.heimbeatmung.de). Sie stellt ein bundesweites Forum zum Gedankenaustausch für alle dar, die sich mit diesem interdisziplinären Fachgebiet wissenschaftlich und klinisch-praktisch auseinandersetzen. Das Besondere der Arbeitsgemeinschaft ist es, dass seit ihrer Gründung Patienten, Pflegekräfte, Medizintechniker und Ärzte gleichberechtigt vertreten sind und in ständigem Dialog stehen. Darüber hinaus kommen in der Arbeitsgemeinschaft die verschiedenen medizinische Fachgebiete, besonders Pneumologie, Neurologie, Pädiatrie, Anästhesiologie, Intensiv- und Schlafmedizin in einer selten breiten interdisziplinären Vielfalt zusammen. Die Jahrestagungen der Arbeitsgemeinschaft stellen im Rahmen dieses ganzjährig anhaltenden Dialogs sicherlich den Höhepunkt der Arbeit dar. Die diesjährige Jahrestagung fand in Wuppertal statt. Die nachfolgenden Beiträge reflektieren das breite thematische Spektrum und die wesentlichen Inhalte der sehr interessanten Referate dieser Tagung. Sie mögen einen besonderen Anreiz zur noch intensiveren Beschäftigung mit der Thematik der nicht-invasiven und Langzeitbeatmung geben.

Literatur:

1Bach JR, Alba AS. Non invasive options for ventilatory support of the traumatic high level quadriplegic. Chest 1990; 98:613–619

2Criée C-P, Laier-Groeneveld G. Die Atempumpe. Stuttgart: Thieme, 1995

3Elliott MW. Noninvasive ventilation in chronic ventilatory failure due to chronic obstructive pulmonary disease. Eur Respir J 2002; 20:511–514

4Esteban A, Ferguson ND, Frutos-Vivar F, Arabi Y, Apezteguia C, Gonzalez M, Hill N, Alía I, Nava S, Epstein SK, Anzueto A. Non-invasive positive pressure ventilation does not prevent reintubation and may be harmful in patients with post-extubation respiratory distress: results of a randomized-controlled trial (abstract). Am J Respir Crit Care Med 2003; 167:A301

5Ferrer M, Esquinas A, Arancibia F, Bauer TT, Gonzalez G, Carrilo A, Rodriguez-Roissin R, Torres A. Noninvasive ventilation during persistent weaning failure: a randomized controlled trial. Am J Respir Crit Care Med 2003; 168:70–76

6Lightowler JV, Wedzicha JA, Elliott MW, Ramm FS: Non-invasive pressure ventilation to treat respiratory failure resulting from exacerbations of chronic pulmonary diesease: Cochrane systematic review and meta-analysis. Brit Med J 2003; 326:185–187

7Lyall RA, Donaldson N, Fleming T: A prospective study of quality of life in ALS patients treated with noninvasive ventilation. Neurology 2001; 57:153–156

8Marini JJ, Slutsky SS (eds.). Physiological Basis of Ventilatory Support. New York: Marcel Dekker, 1998

9Meduri GU, Fox RC, Abou-Shala N, Leeper KV, Wunderink RG. Noninvasive mechanical ventilation via face mask in patients with acute respiratory failure who refused endotracheal intubation. Crit Care Med 1994; 22:1584–1590

10Mehta S, Hill NS. Noninvsive Ventilation: State of the Art. Am J Respir Crit Care Med 2001; 163:540–577

11Nava S, Ambrosino N, Clini E, Prato M, Orlando G, Vitacca M, Brigada P, Fracchia C, Rubini F. Noninvasive mechanical ventilation in the weaning of patients with respiratory failure due to chronic obstructive pulmonary disease: a randomized controlled trial. Ann Int Med 1998; 128:721–728

12Nava S, Carbone G, Di Battista N, Bellone A, Baiardi P, Consentini R, Mareco M, Giostra F, Borasi G, Groff P. Noninvasive ventilation in cardigenic pulmonary edema. Am J Respir Crit Care Med 2003; 168:1432–1437

13Plant PK, Owen JL, Parrott S, Elliott MW. Cost effectiveness of ward based non-invasive ventilation for acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary diesease: economic analysis of randomised controlled trial. BMJ 2003; 326:956–960

14Roussos C (ed.). Mechanical Ventilation from Intensive Care to Home Care. The European Respiratory Monograph no. 8. Sheffield, European Respiratory Society Journals Ltd, 1998

15Schönhofer B. pers. Mitteilung

16Sullivan CE, Issa FG, Berthon-Jones M, Eves L. Reversal of obstructive sleep apnoea by continuous positive airway pressure through the nares. Lancet 1981 ; 862–865

17Simonds AK, Elliot MW: Outcome of domiciliary nasal intermittent positive pressure ventilation in restrictive and obstructive disorders. Thorax 1995; 50:604–609

18Simonds AK, Muntoni F, Heather S, Fielding S. Impact of nasal ventilation on survival in hypercapnic Duchenne muscular dystrophy. Thorax 1998;53:949–952

Prof. Dr. Kurt Rasche

Kliniken St. Antonius Akad. Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Zentrum für Innere Medizin – Schwerpunkt Pneumologie Hardtstr. 46 42107 Wuppertal E-mail: rasche@antonius.de