DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2003; 1(04): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-831066
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

James McGovern

Anwalt der Osteopathie
Christoph Newiger
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Publication Date:
28 July 2004 (online)

Kirksville im US-Bundesstaat Missouri ist das Mekka der Osteopathen, wo alles seinen Anfang nahm. Denn hier gründete Andrew Taylor Still die “American School of Osteopathy” und legte damit den Grundstein für die wissenschaftliche Lehre und den Siegeszug der Osteopathie. Das war vor über 110 Jahren. Stills‘ Schule wurde später umbenannt in “Kirksville College of Osteopathic Medicine” (KCOM) und zählt heute zur “A.T. Still University of Health Sciences”. Seit sechs Jahren haben Universität und KCOM einen neuen Präsidenten. Sein Name: Dr. James McGovern. Einen osteopathischen Titel trägt er nicht, denn James McGovern ist weder Arzt noch Osteopath.

Der rote Faden

Gibt es Gegensätze im Leben eines Menschen oder sind sie nur Facetten eines großen Ganzen? Im Alter von 17 Jahren tritt James McGovern dem katholischen Klerus bei. Zehn Jahre lang arbeitet er als Vertreter der Kirche in New York, Detroit und Chicago. Doch zwischenzeitlich studiert er Physik, Mathematik und Naturwissenschaften. Seinen ersten Studienabschluss macht er in Physik und beginnt zeitgleich mit Informatik - Mitte der 1960er Jahre ein noch sehr exotisches Fach. 1973 erwirbt er seinen Doktor an der Universität von New York in administrativen und organisatorischen Studien.

1980 folgt der Schwenk in Richtung Gesundheit: James McGovern wird Direktor für Gesundheitskosten in Illinois und verfügt über drei Milliarden US-Dollars, die er für das Gesundheitswesen des Bundesstaates ausgeben kann. Fünf Jahre später wechselt er an die Virginia Commonwealth University als assistierender Vizepräsident für Gesundheitswissenschaften. Anfang der 1990er Jahre wird er außerordentlicher Vizepräsident für medizinische Angelegenheiten an der Case Western Reserve University. Sechs Jahre danach folgt er dem Ruf nach Kirksville. Nun endlich steht er im Dienst der Osteopathie.

Kein gewöhnlicher Lebenslauf soweit und dennoch sieht James McGovern einen roten Faden: Er sei immer dorthin gegangen, wo er glaubte, am meisten Gutes tun zu können. Es sei Aufgabe der Glücklichen, den weniger Glücklichen zu helfen. Seine Eltern hatten ihm das so gelehrt.

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Teamwork privat und beruflich:Rene McGovern und ihr EhemannJames McGovern.

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Die Anfänge

Ein Nicht-Osteopath als Präsident des ehrwürdigen KCOM? Als James McGovern sein Amt antritt, wird er kritisch beäugt. Mit Michael Kuchera setzt er einen neuen Dekan ein, verbietet der klinischen Fakultät, die Anzahl der Stunden für manuelle Techniken (OMT) zu reduzieren und gibt im Bereich der osteopathischen Forschung jährlich 250.000 Dollar frei, um weiteres Kapital anzuziehen. So kann er bald den Betrag der externen Finanzausstattung verdreifachen, auf jährlich zehn Mio. Dollar. Zudem gründet er die “Arizona School of Dentistry and Oral Health” sowie die “School of Health Management” für Fernstudiengänge, an der Studenten aus aller Welt über das Internet ihre Ausbildung absolvieren. Gemeinsam mit der “Arizona School of Health Sciences” und dem KCOM bilden diese Schulen die “A.T. Still University of Health Sciences”.

Diese Änderungen waren notwendig, sagt McGovern, damit dank der höheren Einkünfte das KCOM auch weiterhin zu den besten Schulen in den Staaten zählt.


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Angewandte Osteopathie

Doch James McGovern ist weit mehr als nur ein guter Verwalter seiner Schulen und ein Finanzgenie. Er beschäftigt sich inhaltlich mit der Osteopathie und geht der Frage nach, was sie alles leisten kann. So ist er unter anderem davon überzeugt, dass osteopathische Techniken ganz wesentlich dazu beitragen können, alten Menschen ihre Mobilität, Gesundheit und Lebensfreude zu erhalten. Ende der 1990er Jahre startet er deshalb ein gerontologisches Forschungsprojekt.

Die Früchte seiner Bemühungen können sich sehen lassen: Der Staat Missouri ernennt das KCOM zum staatlichen Forschungszentrum für Wohnen im Alter. Zudem erhält das College fünf Mio. Dollar, um den Bau einer 13 Mio. Dollar teueren Senioren-Wohnanlage zu unterstützen. In ihr werden auch zwei auf Gerontologie spezialisierte Osteopathen untergebracht sein.

McGovern sieht sich als Aufklärer, er will die Osteopathie bekannt machen und Menschen zur Gesundheitsvorsorge animieren. So entwickelt er gemeinsam mit den Studenten seiner Universität ein weiteres Projekt: Eine interaktive Wanderausstellung mit dem Namen “Der innere Heiler”. In diesem Sommer war “The Healer Within” im renommierten “Smithsonian Arts and Industries Building” in Washington DC zu sehen. Im Herbst zieht sie weiter nach West Virginia. Auf knapp 700 Quadratmetern lädt die Ausstellung zu einer virtuellen Reise durch das menschliche Immunsystem ein. Anhand von Organmodellen, interaktiven Exponaten und zahlreichen Computerdarstellungen lernen die Besucher spielerisch die Selbstheilungskräfte des Körpers in ihrem ganzheitlichen Zusammenwirken kennen. 1,5 Millionen Besucher haben so innerhalb von drei Jahren die Prinzipien der Osteopathie kennen gelernt.


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Still und Einstein

In Kirksville hat McGovern direkten Zugang zur der über hundertjährigen Geschichte der Osteopathie. Er studiert die alten Bücher und Artikel aus ihren Anfängen sowie die handschriftlichen Notizen von Still. Ihn fasziniert die Frage, wie Still als Landarzt im 19. Jahrhundert ein so umfassendes Behandlungssystem hat entwickeln können. Er beschäftigt sich mit der Geschichte der Medizin und Philosophie, spürt die Analogien auf zwischen den großen Denkern der Antike und den bedeutenden Medizinern späterer Tage und entdeckt, dass die Prinzipien, die Still für seine Osteopathie aufgestellt hat, den Lehren von Virchow, Pasteur und Darwin folgen. Prinzipien, die bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren haben, sondern vielmehr Herzstück einer modernen, ganzheitlichen Gesundheitspflege sein können.

So entwickelt McGovern das Konzept der Osteopathie fort, hin zu einer Medizin, die Physis, Psyche und Geist tatsächlich vereint und bezeichnet dieses neue Konzept zu Ehren Einsteins als vereinheitlichte Feldtheorie für die Gesundheitspflege. Bei dieser Arbeit steht ihm wie so oft seine Frau Rene zur Seite. Sie ist außerordentliche Professorin für Neuro-Verhaltenswissenschaften (Neurobehavioral Sciences) am KCOM. Als Autorin zahlreicher Veröffentlichungen über das Zusammenwirken von Körper, Psyche und Geist kann sie dieses Konzept mit den neuesten, wissenschaftlichen Studienergebnissen untermauern. Aus der Arbeit wird ein gemeinsames Buch und es trägt einen ähnlichen Titel wie die Ausstellung: “Dein innerer Heiler”. Mittlerweile ist es auch auf Deutsch erschienen.


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Kirksville

Seit sechs Jahren lebt James McGovern zusammen mit seiner Frau Rene im President’s House in Kirksville. Neben zwei Töchtern, von denen die ältere Danielle im zweiten Jahr Osteopathie studiert, zählt auch ein Golden Retriever namens Elektra zur Familie. Den ungewöhnlichen Namen der Hündin hat Rene - McGovern - Psychologin und Griechin - ausgesucht, in Anspielung auf den Elektra-Komplex, dem weiblichen Gegenstück zum männlichen Ödipuskomplex.

Sie fühlen sich daheim, hier im Herzen der Osteopathie, in dieser kleinen, unscheinbaren ländlichen Stadt mit ihren 17.000 Einwohnern, von denen viele für die Universität arbeiten oder an ihr studieren. Auch wenn James McGovern viel herumreist, um Geld für sein College zu beschaffen.

Sein Ziel ist es, dass alle Menschen, die weltweit im Gesundheitswesen tätig sind, die osteopathischen Prinzipien kennen lernen. Zudem würde er gern Osteopathieschulen in Ländern der Dritten Welt gründen.

Die Entwicklung der Osteopathie im Ausland verfolgt James McGovern mit Interesse. Die oft gestellte Frage, ob rein manuell arbeitende Osteopathen wie in Europa oder klinisch tätige Osteopathen wie in den USA die besseren seien, hält er für falsch. Der D.O.-Titel bedeutet eben nicht überall das Gleiche. Daher sei Ehrlichkeit in der Selbstdarstellung gefragt. Er selbst, sagt McGovern, sei kein Osteopath. Denn ein Osteopath müsse den D.O.-Titel haben. “Ich bin ein Anwalt der osteopathischen Prinzipien und Praxis.”


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