Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2004; 30(6): B 283
DOI: 10.1055/s-2004-830977
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rückenschmerzen - ein weites Feld

Michael Schirmer
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Publikationsdatum:
29. Juli 2004 (online)

Rückenschmerzen werden gerne als Tribut des Menschen an den aufrechten Gang aufgefasst. Beliebt und verständlich ist auch, dass Rückenschmerzen auf schwere Arbeit zurückgeführt werden - merkwürdigerweise nie auf Müßiggang. Wie für alle Schmerzen gilt auch für Rückenschmerzen, dass sie organische Ursachen haben; ihr Erleben, ihre Intensität, ihre Ausprägung unterliegt jedoch individueller psychischer Verarbeitung und damit einem extrem weiten Spannungsfeld.

Rückenschmerzen können beim komplexen Aufbau der Wirbelsäule aus ihr selbst bedingt sein, aber auch entfernt liegende Ursachen haben: Nierenprozesse, gynäkologische Erkrankungen, ein Pankreaskarzinom oder ein vor der Ruptur stehendes Bauchaortenaneurysma machen sich oft zunächst durch Rückenschmerzen bemerkbar - und werden verkannt!

Rückenschmerzen wurden früher als Schicksal aufgefasst, ihre Beziehung zum älter werdenden Menschen akzeptiert. Durch unsere diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ist diese Akzeptanz verloren gegangen: Patienten erwarten die Sichtbarmachung des Schmerzes mit bildgebenden Verfahren; Ärzte vergessen über der Schnittbilddiagnostik logisches Denken, klinische Untersuchung und klare Aussagen.

Rückenschmerzen machen 20 % der geklagten Befindlichkeitsstörungen in den hausärztlichen Praxen aus - vom nichtigen Krankschreibungsgrund bis zum bedrohlichen Vorzeichen.

Rückenschmerzen stellen in den modernen Industriestaaten ein wirtschaftliches Problem durch zahlreiche Krankheitsausfälle dar; der leichtfertige Umgang mit Gewährung von Vergünstigungen oder Behindertenausweisen wird zum Problem des Sozialstaates.

Rückenschmerzen müssen vom Arzt aus den vorgenannten Gründen ernst genommen werden, die Weite des differentialdiagnostischen Feldes und der Therapieoptionen muss bekannt sein, um Behandelbares zu heilen, nicht Behandlungsbedürftiges guten Gewissens unbehandelt zu lassen.

Prof. Dr. med. habil. Michael Schirmer

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