Pneumologie 2005; 59(6): 419-420
DOI: 10.1055/s-2004-830314
Workshop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pneumokokkenpneumonie im Mausmodell

S.  Rosseau1
  • 1Medizinische Klinik m. S. Infektiologie, Internistische Intensivmedizin, Pneumologie&Asthma-Poliklinik, Charité - Universitätsmedizin Berlin
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Publication Date:
01 July 2005 (online)

Die Pneumonie ist die häufigste lebensbedrohliche Infektionskrankheit in den Industrieländern. Streptococcus (S.) pneumoniae ist der wichtigste Pneumonieerreger; epidemiologischen Erhebungen zufolge sind Pneumokokken für 30 bis 70 % aller Fälle von ambulant erworbener Pneumonie verantwortlich. Häufiger als bei anderen Pneumonieformen lässt sich bei der Pneumokokkenpneumonie eine Bakteriämie nachweisen. In diesen Fällen ist mit einem schweren Krankheitsverlauf zu rechnen, die Sterblichkeit beträgt in Abhängigkeit vom Alter zwischen 14 % und 50 %. Obwohl seit Jahrzehnten hochwirksame Antibiotika zur Verfügung stehen, hat sich die Letalität in der Frühphase der Erkrankung im Vergleich zur Prä-Antibiotikaära nicht vermindert. Diese Tatsache unterstreicht die herausragende Bedeutung der Erreger-Wirt-Interaktion und der durch sie hervorgerufenen Abwehrreaktion für den Krankheitsprozess der Pneumokokkenpneumonie. Das Verständnis dieser Mechanismen ist für die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte von herausragendem Interesse.

In den letzten Jahren konnten zahlreiche Virulenzfaktoren von S. pneumoniae identifiziert werden. Die Bedeutung dieser Faktoren für den Krankheitsverlauf der Pneumokokkenpneumonie ist jedoch noch weitgehend unbekannt. Einige zentrale Mechanismen der Interaktion zwischen S. pneumoniae mit verschiedenen Wirtszellen unterschiedlicher Organsysteme können zwar an isolierten Zellen untersucht werden, die Analyse der hochkomplexen und dynamischen Wechselwirkung zwischen Pneumokokken und Wirt macht jedoch Untersuchungen am Ganztiermodell unerlässlich. Insbesondere die Frage, welche Bedeutung die Immunreaktion des Wirtes für den Krankheitsverlauf spielt, kann nur mithilfe eines Ganztiermodells beantwortet werden.

Beim Menschen wird die Diagnose „Pneumonie” beim Auftreten klinischer Symptome wie Fieber, Husten und Luftnot zusammen mit dem radiologischen Nachweis eines Lungeninfiltrates gestellt. Das Lungeninfiltrat wird durch den Einstrom neutrophiler Granulozyten in den Alveolarraum und das begleitende, entzündliche Ödem hervorgerufen. Auf der einen Seite soll die Rekrutierung dieser hochpotenten Phagozyten die pulmonale Erregerelimination unterstützen, auf der anderen Seite kann die rasche Ansammlung dieser entzündlich aktivierten Zellen auch schädliche Effekte auf die Gasaustauschfunktion der Lunge haben und zu einem akuten Lungenversagen führen. Die Bedeutung des inflammatorischen Granulozyteneinstroms für den Krankheitsverlauf der Pneumokokkenpneumonie und die Abgrenzung zu direkten, toxischen Effekten bestimmter Pneumokokkenfaktoren lässt sich deshalb nur mithilfe komplexer Tiermodelle klären, in denen ein entzündlicher Neutrophileneinstrom in die Lunge induziert werden kann.

Bei der Untersuchung der Pathogenese menschlicher Infektionskrankheiten hat sich das Mausmodell vielfach bewährt. Trotz einiger Unterschiede hat das Immunsystem der Maus viele Gemeinsamkeiten mit dem menschlichen Immunsystem; häufig können Mäuse mit den gleichen Pathogenen wie der Mensch, oder aber mit sehr ähnlichen Krankheitserregern infiziert werden. Dieser Umstand ermöglicht die Analyse der Immunreaktion gegenüber einer Vielzahl menschlicher Krankheitserreger. Auf der anderen Seite hat der Befund einer angeborenen Immunität bestimmter Mausstämme gegenüber verschiedenen menschlichen Pathogenen zur Identifizierung genetischer Resistenzfaktoren z. B. gegenüber Mycobacterium tuberculosis oder Legionella pneumophila beigetragen. In gleicher Weise hat der Befund einer Hyporesponsivität des C3H/HeJ-Mausstammes gegenüber Lipopolysacchariden zur Identifizierung des „Endotoxin-Rezeptors” TLR-4 geführt. Viele Mausinzuchtstämme zeigen eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber menschlichen Pathogenen. Die geno- und phänotypische Analyse ihres Immundefektes hat die Bedeutung bestimmter Faktoren oder Immunzellen für den Verlauf dieser Erkrankungen ermitteln können. Die verschiedenen Mausinzuchtstämme können daher dazu genutzt werden, die Erreger-Wirt-Interaktion in einem Infektionsmodell zu charakterisieren. Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz gendefizienter und transgener Mäuse in einzigartiger Weise die gezielte Analyse bestimmter Faktoren oder Zellen im Hinblick auf ihre Funktion in der Pathogenese von Infektionskrankheiten.

Auch die Pathogenese der Pneumokokkenpneumonie lässt sich am Mausmodell untersuchen. Mäuse können durch transnasale Tröpfcheninfektion oder intratracheale Injektion von Pneumokokken infiziert werden. Nach der Infektion kann die Kinetik der entzündlichen Abwehrreaktion sowie ihre Auswirkung auf den klinischen Verlauf detailliert analysiert werden. Mithilfe von Microarray-Techniken lässt sich die entzündliche Abwehrreaktion gegenüber S. pneumoniae in der Lunge umfassend charakterisieren; durch den gezielten Vergleich mit anderen Pneumonieformen können die spezifischen Reaktionsmuster bei der Pneumokokkenpneumonie identifiziert werden. Die pro- und antiinflammatorische Zytokinantwort und die Produktion von Chemokinen in der Lunge kann mittels immunologischer Techniken quantifiziert werden. Mithilfe der Durchflusszytometrie lässt sich sowohl der Zeitpunkt als auch das Ausmaß der Rekrutierung unterschiedlicher Immunzellen in die Lunge nachweisen. Darüber hinaus kann mit dieser Technik der Aktivierungsstatus eingewanderter und ortsständiger Zellen beurteilt werden. Die histologische Analyse des Lungengewebes gibt Aufschluss über die räumliche Verteilung der eingewanderten Immunzellen bzw. die Umverteilung ortsständiger Zellen. Sie ermöglicht zudem eine Beurteilung der pulmonalen Gewebezerstörung. Schließlich gibt die Quantifizierung der Erregerdichte in der Lunge Aufschluss über die pulmonale Abwehrkompetenz. Parallel zur Analyse der inflammatorischen Abwehrreaktion lassen sich wichtige klinische Daten erheben. Neben dem Endpunkt „Letalität” und den für die prospektive Beurteilung des Krankeitsverlaufs wichtigen Messungen von Körpertemperatur und Körpergewicht, können die Folgen der Erreger-Wirt-Interaktion für die respiratorische Funktion im Detail analysiert werden. Mithilfe der Messung von Compliance und Resistance lässt sich die Lungenfunktion beurteilen, die Gasaustauschfunktion kann mittels Blutgasanalyse und Bestimmung des Oxygenierungsindex erfasst werden. Darüber hinaus lässt sich der Beginn und der Schweregrad des entzündlichen Permeabilitätsödems mittels immunologischer oder fluoreszenzbasierter Techniken nachweisen. Gleichzeitig kann durch die Analyse von Blutbild und C-reaktivem Protein der Beginn der systemischen Entzündungsreaktion bestimmt werden, die Analyse der Erregerlast im Blut detektiert den Beginn der Bakteriämie. Die Messung hämodynamischer Parameter und die Bestimmung der Blutlaktatspiegel erfassen die Ausbildung einer Pneumokokkensepsis. Die Analyse von Leberenzymen und Nierenretentionswerten gibt Aufschluss über die Ausbildung eines Multiorganversagens.

Der Kontakt mit Pneumokokken löst nicht in jedem Fall eine Erkrankung aus. Bei 40 % aller Kinder und 10 - 20 % aller Erwachsenen lässt sich eine symptomfreie Besiedelung des Nasenrachenraumes nachweisen. Es ist unklar ob, wann und wodurch es schließlich zur Ausbildung einer Erkrankung kommt, die sich entweder als Pneumonie, Otitis media, Meningitis oder direkt als Sepsis manifestiert. Mithilfe von Mausmodellen ist es möglich, die Erreger-Wirt-Interaktion auch im Rahmen der Besiedelung des oberen Respirationstraktes zu analysieren. Es konnte gezeigt werden, dass Wirtsfaktoren, wie z. B. die Expression von TLR-4, für die Ausprägung und Dauer der Besiedelung sowie für die Auslösung einer Erkrankung von Bedeutung sind. Die Anwendung fluoreszenzmarkierter Erreger hat darüber hinaus den Nachweis erbracht, dass verschiedene Serotypen von S. pneumoniae unterschiedliche Organpräferenzen aufweisen. Im Gegensatz zu Serotyp 3, der in der Maus eine Pneumonie mit Bakteriämie auslöst, lässt sich nach transnasaler Tröpfcheninfektion mit Serotyp 2 primär eine Sepsis mit Meningitis beobachten. Mittels umfangreicher Genom- und Proteomanalysen wird derzeit nach Stamm- bzw. Subtyp-spezifischen Pathogenitätsfaktoren gefahndet. Nach gezielter Herstellung gentechnisch veränderter Pneumokokken lässt sich dann am Tiermodell die Bedeutung bestimmter Virulenzfaktoren für die Auslösung einer invasiven Erkrankung und für die jeweilige Organspezifität analysieren.

Das Mausmodell eignet sich damit in idealer Weise zur Untersuchung der Pathogenese der Pneumokokkenpneumonie; es lassen sich hochkomplexe und dynamische Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt erfassen und gleichzeitig deren Bedeutung für den Krankheitsprozess ermitteln. Die Verfügbarkeit sowohl gentechnisch veränderter Tiere als auch gentechnisch veränderter Pneumokokken wird das Verständnis der Erreger-Wirt-Interaktion rasch erweitern und die Entwicklung neuer, spezifischer Therapiekonzepte und effizienter Prophylaxemaßnahmen ermöglichen.

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