Pneumologie 2005; 59(1): 9-11
DOI: 10.1055/s-2004-830144
Brennpunkt
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Off-Label = Off-Legal = Illegal?

Off-Label = Off-Legal = Illegal?S.  Rosenkranz1 , A.  Koch1 , K.  Wassermann1
  • 1Klinik III für Innere Medizin der Universität zu Köln
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Publication Date:
01 February 2005 (online)

Die Pulmonal-Arterielle Hypertonie (PAH) rückt in jüngster Zeit immer deutlicher ins Zentrum des internistisch-pneumologischen und -kardiologischen Interesses. Ein Grund ist sicher der, dass wir dieses Krankheitsbild, durch eine Unzahl von Publikationen aufmerksam geworden, mit Hilfe neuer Screening-Verfahren häufiger diagnostizieren können. Diese Anstrengungen erhielten aber durch die Entwicklung neuer medikamentöser Therapieansätze wie der inhalativen Behandlung mit Prostaglandin-Analoga (z. B. Ventavis®), den Endothelin-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Tracleer®) oder den Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (z. B. Viagra®) einen ganz entscheidenden Ansporn (Aktuelle Übersichten unter [1] [2] [3]).

Bisher aber erlangte nur eines der vorgenannten Medikamente, nämlich Bosentan (Tracleer®), die Kassenzulassung (den „Label”) für alle Formen der PAH, während das inhalativ verabreichte Prostanoid Ilomedin (Ventavis®) trotz einer gleichwertigen und hochrangigen Phase-III Studie [4] in Deutschland nur für primäre Formen zugelassen wurde [5]. Das äußerst wirksame aber lediglich für die erektile Dysfunktion gelabelte Sildenafil (Viagra®) ist trotz vielversprechender Fallberichte und einer wachsenden Zahl offener, nicht randomisierter Studien über alle Entitäten der PAH (Aktualisierte Publikationsliste bei [6] [7]) für diese Indikation noch nicht zugelassen. Wie zu hören ist, steht die Auswertung einer weltweit durchgeführten Phase-III-Studie mit der Substanz kurz bevor [8].

Unser therapeutischer Enthusiasmus und die verständliche Erleichterung auf Seiten der Patienten wird nun aber durch den Umstand gedämpft, dass wir die neuen Behandlungsformen oft genug gegenüber den Kassen und - wenn sie hartnäckig bleiben - auch gegenüber den Sozialgerichten erstreiten müssen.

Mit anderen Worten: Wir können diese Medikamente nicht uneingeschränkt (also nicht ohne juristische und ökonomische Vorbehalte) einsetzen. Gar nicht zu reden von den längst noch nicht ausgeschöpften Kombinationsmöglichkeiten untereinander. Sollte sich Bosentan bei einem Patienten mit - sagen wir - Sklerodermie-assoziierter PAH nicht bewähren oder sollte es wegen seiner bekannten Nebenwirkungen abgesetzt werden müssen, so dürfen wir zwar Ilomedin oder Sildenafil alternativ verwenden - denn für diese wie für jede andere Therapie haben wir allein die alleinige ärztliche Verantwortung - aber: die Kasse kann die Kostenerstattung einer lebenslang (oder zumindest bis zu einer eventuellen [Herz-]Lungentransplantation) notwendigen Behandlung ablehnen: wir therapieren also „off-label”, in eigener Verantwortung, zum Wohle, aber, da liegt der Haken, u. U. auf Kosten des Patienten: Die Therapiekosten für Prostazyklinanaloga betragen zwischen 150 000 und 500 000 Euro und für Sildenafil 4500 bis 9000 Euro pro Jahr und Patient. (Zum Vergleich: Bosentan kostet ca. 45 000 Euro pro Jahr und Patient.) Therapieren wir mithin auch „off-legal”? So hat es bisweilen den Anschein.

An der Universität Köln haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, vor Beginn einer nicht für eine spezielle Indikation zugelassenen Therapie in einem Schreiben an die Kasse des Patienten unseren Behandlungsplan offenzulegen und um Kostenerstattung zu bitten[1]. Anfangs erhielten wir dann postwendend die Mitteilung, das besagte Medikament sei nicht in der Liste der zugelassenen Therapeutika enthalten. Deshalb werde die Kostenübernahme abgelehnt. Klar: „off-label” geht nicht, keine Diskussion!

Nun, dieser Eindruck täuscht. Auch die Off-Label-Therapie ist juristisch so verregelt, dass Umstände formuliert werden können, unter denen die Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet ist [9] [10].

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) stellte bereits 1990 klar, dass eine indikationsfremde Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung dann erfolgen kann, wenn es sich

um einen gravierenden Erkrankungsfall handelt, für den eine (zugelassene) Therapiealternative nicht verfügbar ist (Urteil vom 30. September 1990. Az.: B 8 KN 9/98 KR R). Die genannten zwei Bedingungen erfuhren vor 2 Jahren eine weitere einschränkende Ergänzung, mit der man sich bewusst an wissenschaftliche Evidenzstandards anlehnte: Es muss aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem Präparat ein Behandlungserfolg - entweder kurativer oder palliativer Natur - zu erzielen ist (Pressemitteilung des Bundessozialgerichts vom 19. 3. 02; Az.: B 1 KR 37/00 R).

In der praktischen Argumentation gegenüber den Kassen wird, weist man auf diese drei Punkte hin, oft der dritte und letzte zum Zankapfel, und zwar nicht so sehr wegen der als Vorgabe formulierten „Aussicht auf einen Behandlungserfolg” - die ja als Leitlinie ärztlichen Handelns kaum zu bestreiten ist -, sondern weil „Forschungsergebnisse vorliegen müssen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann” (Pressemitteilung des BSG). Eine gewissermaßen zulassungsrelevante Evidenz dürfte hiernach Ergebnissen aus Phase-III-Studien zukommen. Diese liegen jedoch für die Mehrzahl der beantragten off-label-Verordnungen nicht vor.

Neuerdings findet man in den ablehnenden Bescheiden der Krankenkassen oder der von ihnen für die Erstbeurteilung beratend eingeschalteten Medizinischen Dienste (MDK) die oben genannten drei Kriterien zitiert, wobei unter Hervorhebung des dritten kategorisch festgestellt wird, „dass die Datenlage für ....(XYZ)... bisher nicht ausreicht, um einen Einsatz des Medikaments außer in klinischen Studien zu rechtfertigen.”

Was aber ist eine ausreichende Datenlage unterhalb der Zulassungsschwelle? Wie viele Patienten müssen erfolgreich behandelt, in welcher Zeitschrift und in welcher Form (Abstract, Fallbericht, retro-/prospektive Studie) muss darüber berichtet worden sein? Was heißt Erfolg? Reicht der Nachweis eines Akuteffekts aus oder sind Langzeiterfahrungen notwendig? Muss bei prognostisch quoad vitam ungünstigen Erkrankungen ein Überlebensvorteil gegenüber Standard nachgewiesen werden oder genügt die Verbesserung der Lebensqualität? Das Schadenspotenzial der betreffenden Substanz ist in der Regel aufgeklärt, denn die Nebenwirkungen wurden im Rahmen des Zulassungsverfahrens für die bereits etablierte Indikation schon früher erfasst. Tierversuche erübrigen sich aus dem gleichen Grund.

Einen unabgeschlossenen und vorläufigen Erkenntnisstand, wie er zum Beispiel für Sildenafil bei PAH derzeit noch besteht, würdigt das BSG, indem es erklärt, dass „eine Verordnung zu Lasten der Krankenkassen auch dort möglich ist, wo außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gestatten und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen” besteht (Pressemitteilung Nr. 16/02 BSG).

Das definitive Votum über die kritische dritte Bedingung zur Frage der neuen/angestrebten Indikation wird mithin einem Expertenkonsens überantwortet. Das heißt aber auch, dass mit dem erschwerten off-label-use das Urteil über seine Erstattungsfähigkeit (nicht primär über seinen medizinischen Wert, denn der liegt nicht in der Zuständigkeit der Krankenkassen) eine Sachkunde voraussetzt, die naturgemäß über die allgemeine ärztliche Qualifikation des MDK hinausgeht. Es ist offensichtlich für den nicht direkt klinisch oder wissenschaftlich Involvierten schwierig, sich in jedem Einzelfall kurzfristig in die diffizile medizinische Problematik einzuarbeiten. Da für die betroffenen meist schwerkranken Patienten eine schnelle, sachgerechte Entscheidung lebenswichtig ist, muss über entsprechende Anträge zur „off-label” Therapie rasch geurteilt werden. Deshalb sollte man erwarten - und das impliziert der Kommentar des BSG - dass sich der MDK unmittelbar von den „einschlägigen Fachkreisen” beraten lässt und sich seinem Konsens anschließt, statt eine generell ablehnende - und damit aufschiebende - Haltung zu vertreten. Alternativ könnten Expertengremien eingerichtet werden, die direkt - unter Umgehung des MDK - über den zu erwartenden Nutzen und die Erstattungsfähigkeit der „off-label”-Therapie zu befinden hätten.

Fassen wir zusammen:

An die Wirksamkeitsbelege von Off-Label-Medikamenten sind geringere Anforderungen - nämlich im Allgemeinen solche unterhalb der Zulassungsschwelle - zu stellen. Dabei ist es relativ schwierig, allgemeine Kriterien für die erforderliche Datenqualität festzulegen. Aus diesem Grunde sollte die Beurteilung der Kostenerstattungsfrage in jedem Einzelfall durch ein Gremium von ausgewiesenen Fachleuten erfolgen, das eine zusätzliche oder vorangehende Stellungnahme des MDK ersetzt und in Zukunft überflüssig macht.

Literatur

  • 1 Humbert M, Sitbon O, Simonneau G. Review Article. Drug therapy: Treatment of pulmonary arterial hypertension.  New Engl J Med. 2004;  351 1425-1436
  • 2 Galiè N, Rubin L J. et al . Pulmonary arterial hypertension. Epidemiology, pathobiology, assessment and therapy.  JACC. 2004;  43 (Suppl. S) 1S-90S
  • 3 Rubin L, Abman S A, Ahearn G S. et al . Diagnosis and management of pulmonary arterial hypertension: ACCP Evidence based clinical practice guidelines.  Chest. 2004;  126/ Number 1 (Suppl.) 4S-92S
  • 4 Wassermann K. Editorial. Out of Asthma. AIR und BREATHE.  Atemw Lungenkrkh. 2002;  28 423-425
  • 5 Ventavis®-Produktbroschüre .Berlin: Schering 2004: S. 5. Inhalatives Ilomedin (Ventavis®) erhielt im Januar 2004 von der australischen Arzneimittelbehörde die Zulassung sowohl für die primäre Form als auch für die kollagenose-assoziierte und medikamentös induzierte PAH sowie für die Behandlung der nicht-operablen chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertonie.-S. 5
  • 6 Rosenkranz S, Diet F, Karasch T. et al . Sildenalfil improved pulmonary hypertension and peripheral blood flow in a patient with scleroderma-associated lung fibrosis and the Raynaud phenomenon.  Ann Intern Med. 2003;  139 871-873
  • 7 Rosenkranz S, Caglayan E, Diet F. et al . Langzeiteffekte von Sildenafil bei Sklerodermie-assoziierter pulmonaler Hypertonie und Raynaud-Syndrom.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 1736-1740
  • 8 Winkler J. Pulmonale Hypertonie - neue Klassifikation und Behandlungsformen.  Atemw Lungenkrankh. 2004;  30 510-518
  • 9 Wassermann K. Editorial. Die „off-label”-Therapie der pulmonalarteriellen Hypertonie, zum Beispiel. Ein Vorschlag zur Güte.  Atemw- Lungenkrkh. 2003;  29 1-4
  • 10 Dierks C, Nitz G. Aktuelle Fragen des Off-Label-Use.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 2138-2142

1 Interessanterweise ist eine eventuelle (auch schriftliche) formlose Zusage der Krankenkasse für diese keinesfalls verpflichtend! Hält man aber ein derartiges Dokument in den Händen, so wird es in einem späteren Sozialgerichtsprozess für den Patienten verwendet werden können. (Mitteilung von Herrn Priv. Doz. Dr. Dierks; siehe auch Ref. 10.)

Prof. Dr. med. K. Wassermann

Klinik III für Innere Medizin des Klinikums der Universität zu Köln

Joseph-Stelzmann-Str. 9

50924 Köln

Email: klaus.wassermann@uni-koeln.de

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