Pneumologie 2005; 59(3): 213-217
DOI: 10.1055/s-2004-830085
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Athanasius Kirchers Pestschrift von 1658 und seine Einstellung zur Lungenpest

Athanasius Kircher's Plague Treatise of 1658 and His Views of the Pulmonary PlagueG.  F.  Strasser1
  • 1Dept. of Germanic & Slavic Languages & Literatures
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. März 2005 (online)

Athanasius Kircher, ein Universalgelehrter des 17. Jahrhunderts

Als viertes von sieben Kindern wurde Athanasius 1602 in Geisa/Rhön in eine gebildete Familie hinein geboren und erhielt neben frühzeitigem Unterricht durch seinen Vater in den Fächern Musik, Mathematik und Geographie auf dessen Veranlassung hin Unterweisung im Hebräischen, die 1612 bis 1618 während des Studiums des jungen Athanasius am Fuldaer Jesuitengymnasium fortgesetzt wurde. An den Kollegien in Paderborn, Köln und Mainz erwarb er in den kommenden zehn Jahren eine weit gefächerte Ausbildung, die es ihm ermöglichte, nach der Priesterweihe in Mainz 1628 und dem dritten Probejahr in der Gesellschaft Jesu schon 1629 die Professur für die Fächer Moralphilosophie, Mathematik und orientalische Sprachen an der Universität Würzburg zu übernehmen. Durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges vertrieben, gelangte er 1631 nach Avignon, wo er am Jesuitenkolleg wiederum diese Disziplinen lehrte und - angeregt durch wichtige Kontakte mit bedeutenden Gelehrten in dieser Universitätsstadt - insbesondere naturwissenschaftlichen Fragen nachging. Obwohl Kaiser Ferdinand II. ihn 1633 als Hofmathematiker nach Wien berief, wurde er nach Rom beordert und zum Professor der Mathematik, Physik und der orientalischen Sprachen am Collegium Romanum, der Jesuiten-Universität, ernannt.

In den fast 50 Jahren, die ihm dort verblieben, ehe er 1682 starb, veröffentlichte der bald von Unterrichtsverpflichtungen befreite Jesuitenpater über dreißig teilweise prachtvoll ausgestattete Werke, die jedoch über seine drei universitären Fachgebiete weit hinaus gingen. Dabei ist hier von besonderem Interesse, dass er 1646 erstmals neu erfundene Mikroskope in seiner Ars magna Lvcis et Vmbræ beschrieb, unter ihnen das einfache Kügelchenmikroskop, das er kurz zuvor von einem seiner Gönner, Kardinal Carlo de' Medici, erhalten hatte. [1]

Anmerkungen

  • 1 Die folgenden Ausführungen beziehen zum Teil Material des Verfassers ein: Ein Polyhistor als Pathologe. Athanasius Kirchers Durchgründung der laidigen ansteckenden (...) Pestilentz, in: ars medica. Verlorene Einheit der Medizin? Festschrift für Richard Toellner. Hrsg. von Peter Kröner u. a. Stuttgart: Fischer 1995, S. 55 - 64, sowie ders.: Science and Pseudoscience. Athanasius Kircher's Mundus Subterraneus and His Scrvtinivm ... Pestis, in: Knowledge, Science, and Literature in Early Modern Germany. Hrsg. von Gerhild Scholz Williams und Stephan K. Schindler. Chapel Hill, London: Univ. of North Carolina Press 1996 (Studies in the Germanic Languages and Literatures, Bd. 116), S. 219 - 240, insbesondere Teil III, „Kircher's Notion of a contagium animatum in His Scrvtinivm (...) Pestis”. 229-236
  • 2 Rom: Scheus 1641. Weitere Auflagen Köln 1643, Rom 1654 sowie eine holländische Übersetzung 1681 und nochmals 1697. Zum Folgenden siehe den Überblick von Werner E. Gerabek: Athanasius Kircher und die Medizin, in: Magie des Wissens. Athanasius Kircher 1602 - 1680. Hrsg. von Horst Beinlich u. a., Dettelbach: Röll 2002 (Ausstellungskatalog Würzburg und Fulda). 176-182
  • 3 Rom: de Lazaris;. Amsterdam: Jansson & Weyerstraet 1667
  • 4 Dazu Verf.: Der ‚Schlangenstein’ - eine umstrittene Therapie gegen Vipernbisse vom 17. Jahrhundert bis in unsere Tage, in: Geschichte der Pharmazie. 54 (2003). 6-9
  • 5 China Monumentis: Qva Sacris qua Profanis, Nec non Variis Naturæ & Artis Spectaculis, Aliarumque rerum memorabilium Argumentis Illustrata (...). Amsterdam: Jansson & Weyerstraet 1667. Kap. V im zweiten Werk ist betitelt: „De Magnete venenorum noviter detecto”. 58-71
  • 6 Siehe Anm. 2, S. 840 - 891. Kircher diskutierte zunächst die Macht der Musik bei der Behandlung affektiver Störungen und demonstrierte dies dann am Beispiel der musiktherapeutischen Behandlung von Tarantelbissen. Dazu Verf.: ‚Wie von der Tarantel gebissen’: Tarantismus und Musiktherapie im Barock, in: Barocker Lust-Spiegel. Festschrift für Blake Lee Spahr. Chloe (Beihefte zum Daphnis), Bd. 3. Hrsg. von Martin Bircher, Jörg-Ulrich Fechner und Gerd Hillen. Amsterdam: Rodopi 1984, S. 245 - 264, sowie ders.: Sankt Vitus oder Der heilige Veit, der Veitstanz und ‚die von der Tarantel Gebissenen’, in: Herrscher, Helden, Heilige: Mittelalter-Mythen, Bd. 1. Hrsg. von Ulrich Müller and Werner Wunderlich. Konstanz/St. Gallen: Universitätsverlag 1996: 577-587
  • 7 Rom: Band I: Corbelletti; Band II: Grignani. Teile daraus wurden schon 1662 ins Deutsche übersetzt; Kircher selbst verwendete 1673 in seiner Phonurgia nova Material daraus. 
  • 8 Rom: Mascardi. Schon ein Jahr darauf erschien in Leipzig eine von Christian Lange besorgte Ausgabe, die 1671 erneut heraus kam. Eine deutsche Übersetzung erschien 1680 in Augsburg bei Brandan: Natürliche und Medicinalische Durchgründung der laidigen ansteckenden Sucht / und so genanten Pestilentz. Die folgenden Zitate verweisen auf diese Übertragung. 
  • 9 Die Versuche dürfen natürlich nicht nach modernen Gesichtspunkten beurteilt werden; Francesco Redi, ein jüngerer Zeitgenosse, verfuhr 1668 in Florenz viel „wissenschaftlicher” und widerlegte in Esperienze Intorno alla Generazione degl'Insetti die Theorie des spontanen Entstehens von Insekten, wobei er replizierbare Versuche unternahm. 
  • 10 Der ärztliche Pestbegriff in historischer Sicht, in: Gesnerus 36 (1979), S. 127 - 139, hier S. 135 - 136. Vgl. auch Charles-Edward Amory Winslow: The Conquest of Epidemic Disease: A Chapter in the History of Ideas, Princeton 1943; Nachdruck New York, London: Univ. of Wisconsin Press 1967, Kap. VIII: „The Conception of A Contagium Animatum”, S. 144 - 160, besonders. 146-152
  • 11 Abgesandt aus Dresden. Kircher-Korrespondenz, Pontificia Università Gregoriana ( = PUG), Fondo Gesuitico 557, Bl. 13. Im gleichen Brief empfiehlt Hauptmann dem Jesuiten ein Traktat von Petrus à Castro (Febris maligna puncticularis aphorismis delineata. Nürnberg 1652). Lobeshymne auf Kircher am 30. Dezember 1658 aus Dresden; PUG 557, Bl. 11. Dieses und die folgenden Beispiele sind entnommen John F. Fletcher: Medical Men and Medicine in the Correspondence of Athanasius Kircher (1602 - 1680), in: Janus 56 (1969), S. 259 - 271, hier. 265 ff
  • 12 Brief vom 19. August 1658 aus Frankfurt; PUG 557, Bl. 99. 
  • 13 26. Dezember 1657 aus Prag; PUG 562, Bl. 87. Zweiter Brief 12. Oktober 1658 aus Wien; PUG 561, Bl. 160. 
  • 14 Liber de purgantibus vegetabilibus. Jena 1667. Brief vom 17. März 1664 aus Jena; PUG 563, Bl. 190. 
  • 15 11. Oktober 1675 aus München; PUG 565, Bl. 246. 
  • 16 L. Fabian Hirst: The Conquest of Plague: A Study of the Evolution of Epidemiology. Oxford 1953: 83 ff
  • 17 De Peste Neomagensi libri quatuor. Arnheim 1646. 2., überarbeitete Aufl.: Tractatus de Peste, in quatuor libros distinctus. Amsterdam 1665, S. 57 - 69. Obwohl der Autor Dutzende von Quellen angibt, wird Kirchers Name nie zitiert. Zu weiteren Reaktionen auf Kirchers Lehre s. Jean-Noël Biraben: Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens. 2 Bde. Bd. II: Les hommes face à la peste. Paris, Den Haag 1975 - 1976 (Civilisations et Sociétés, Bd. 35 - 36). 18
  • 18 Kurtze und grundliche Beschreibung der ansteckenden Seuche der Pest. Zürich 1721. Zitiert in Georg Sticker: Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre. I. Band: Die Pest; Zweiter Teil: Die Pest als Seuche und als Plage. Gießen 1910: 14-17
  • 19 London 1744; Nachdruck New York 1978, S. 58 - 59. Hervorhebungen im Original. 
  • 20 Luigi Belloni: Athanasius Kircher: Seine Mikroskopie, die Animalcula und die Pestwürmer, in: Medizinhistorisches Journal 20 (1985), S. 58 - 65, sowie ders.: Micrografia illusoria e ‚Animalcula’. in: Physis 4, 1962: 65-73
  • 21 Vgl. dazu Martha R. Baldwin: Toads and Plague: Amulet Therapy in Seventeenth-Century Medicine, in: Bulletin of the History of Medicine 67 (1993), S. 227 - 247, hier. 236-238

Gerhard F. Strasser

Dept. of Germanic & Slavic Languages & Literatures · The Pennsylvania State University

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