Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73(2): 83-90
DOI: 10.1055/s-2004-830055
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Traumawiederholung und Reviktimisierung nach körperlicher und sexueller Traumatisierung

Trauma Repetition and Revictimization Following Physical and Sexual AbuseW.  Wöller1
  • 1Rhein-Klinik Bad Honnef, Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Ärztlicher Leiter: Dr. med. R. Vandieken)
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Oktober 2004 (online)

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Zusammenfassung

Die Neigung von Opfern körperlicher und sexueller Traumatisierung in Kindheit und Jugend zur Wiederholung traumatischer Erfahrungen im späteren Leben ist empirisch gut belegt. Darüber hinaus findet sich eine hohe Stabilität missbräuchlicher Bindungen. Die Arbeit verfolgt das Ziel, das Phänomen der Reviktimisierung aus der Perspektive der psychodynamischen Theorie, der Bindungstheorie und aus der Sicht der Forschung zu posttraumatischen Belastungsstörungen zusammenfassend darzustellen. Der Begriff „Wiederholungszwang” hat ohne zusätzliche theoretische Annahmen wenig erklärenden Wert. Innerhalb des psychoanalytischen Bezugsrahmens fasst eine ich-psychologische Sichtweise die Traumawiederholung als einen Versuch auf, die traumatische Erfahrung zu meistern, während in objektbeziehungstheoretischer Perspektive Reviktimisierung durch den Einfluss traumatischer Introjekte erklärt wird. Die negativen Kognitionen, als Person wertlos, moralisch minderwertig und schuldig zu sein, können mit der Überzeugung verbunden sein, Misshandlung und Strafe zu verdienen, wodurch Reviktimisierungen wahrscheinlich werden. Negative Lernerfahrungen aufgrund traumatischer Hilflosigkeit und Ohnmacht bedingen eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung und beeinträchtigen die Ausbildung der Selbstgrenzen. Traumawiederholung kann ferner als Verhaltensinszenierung verstanden werden, die der Affektregulation dient. Bindungstheoretische Forschungen haben Bindungsstile identifiziert, die zur Reviktimisierung prädisponieren. Die Forschungen zu posttraumatischen Belastungsstörungen betonen die Bedeutung traumatischer Affekte im Alltagsleben und die Neigung traumatisierter Patienten, zur Emotionsregulierung aktiv gefährliche Situationen herbeizuführen, ferner die Rolle von Dissoziationen in dem Sinne, dass aufgrund dissoziativer Aufmerksamkeitsdefizite Warnsignale drohender Reviktimisierungen nicht wahrgenommen werden können. Für einen therapeutischen Zugang zum Phänomen der Reviktimisierung ist eine detaillierte Analyse der zugrundeliegenden Phänomene notwendig.

Abstract

The tendency of victims of physical or sexual childhood abuse to become revictimized in later life has well been documented empirically. Moreover, there is a high stability of violent and abusive relationships. The aim of this paper was to summarize perspectives from psychodynamic theory, attachment theory, and posttraumatic stress research to explain revictimization phenomena. The term repetition compulsion has little explanatory value without additional theoretical assumptions. Within the psychodynamic framework, an ego-psychological view conceives trauma repetition as an attempt to master traumatic experience, while in the object relations perspective, revictimization is explained by the influence of traumatic introjects. Negative cognitions of being worthless, bad and guilty can endorse the conviction that abuse is justified and reduce the capacity of self-care. Negative learning experiences from traumatic helplessness and powerlessness account for low self-efficacy expectations and prevent the establishment of self-boundaries. Trauma repetition can also be understood as an enactment in the service of affect regulation. Research in the field of attachment theory identified attachment styles predisposing to revictimization. Research dealing with posttraumatic stress disorder emphasizes the importance of traumatic affects recurring in daily life and, consequently, the tendency of abuse victims to actively produce dangerous situations in order to cope with these affects, furthermore, the role of dissociation in missing warning signals of impending traumatization. For therapeutically addressing revictimization, a detailed analysis of underlying phenomena is required.

Literatur

Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Wöller

Ärztlicher Leiter der Abt. II der Rhein-Klinik · Krankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Luisenstraße 3

53604 Bad Honnef

eMail: wolfgang.woeller@gmx.de