Fortschr Neurol Psychiatr 2004; 72(9): 495-496
DOI: 10.1055/s-2004-830052
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychiatrische und psychotherapeutische Weiterbildung in Europa

Postgraduate Training in Psychiatry and Psychotherapy in EuropeF.  Hohagen1
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Lübeck
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Publication Date:
30 August 2004 (online)

Im „Treaty of Rom” wurde 1958 der freie Austausch von Ärzten in Europa z. B. in Form der Niederlassungsfreiheit festgelegt. Damit ergab sich die Notwendigkeit, die Weiterbildungsordnungen der einzelnen Fächer an einem gemeinsamen europäischen Standard anzugleichen. Diese Aufgabe hat die europäische Facharztgesellschaft „Union Européen des Medecins Spécialites” (UEMS) übernommen, die 1958 gegründet wurde. Erst 1990 etablierte sich die „Section of Psychiatry”. In diese Arbeitsgruppe wird jeweils ein Vertreter der wissenschaftlichen Fachgesellschaft sowie ein Vertreter des Berufsverbandes eines Landes entsandt. Die Section of Psychiatry erweiterte sich um das „European Board of Psychiatry”, eine Arbeitsgruppe zur Harmonisierung der Weiterbildungsstandards in Psychiatrie und Psychotherapie. Das „Board of Psychiatry” hatte das Ziel, einen einheitlichen Weiterbildungsstandard für das Fach Psychiatrie zu formulieren, um zum einen die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung psychisch Kranker in Europa auf ein vergleichbares hohes Niveau zu heben und zum anderen den freien Austausch von Psychiatern zu ermöglichen. Die intensive Diskussion über die Weiterbildungsinhalte in den einzelnen europäischen Ländern zeigte rasch, dass erhebliche Unterschiede in Qualität und Umfang der einzelnen Weiterbildungsordnungen bestehen. Dies wurde in einer umfassenden Erhebung der aktuellen Weiterbildungssituation in Europa bestätigt, die das „European Board” Mitte der 90er-Jahre durchführte. Auf der Grundlage dieser Erhebung wurden Empfehlungen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Weiterbildung erarbeitet, die 1997 publiziert wurden [1]. Vergleicht man die deutsche Weiterbildung zum Arzt für „Psychiatrie und Psychotherapie” mit den europäischen Empfehlungen, entspricht die deutsche theoretische und praktische Weiterbildung bis auf kleinere Abweichungen dem europäischen Standard. Insbesondere die Integration der Psychotherapie in die Psychiatrie wurde in den letzten 10 Jahren umfassend umgesetzt wie in den europäischen Empfehlungen vorgesehen. Abweichend von den europäischen Empfehlungen sieht die deutsche Weiterbildung weiterhin ein Jahr Neurologie, das in anderen europäischen Ländern durch ein Jahr innere Medizin ersetzt werden oder vollständig wegfallen kann, sowie die psychotherapeutische Selbsterfahrung und die Facharztprüfung vor.

Die Arbeit von Section und European Board of Psychiatry führte zur Publikation verschiedener UEMS-Dokumente, die neben den Weiterbildungsempfehlungen in Psychiatrie (1997) die kontinuierliche Fortbildung (CME 1994, CPD 2001) sowie Aspekte der Qualitätssicherung (1996) und der regelmäßigen Visitation von Weiterbildungszentren (1997), umfassen. (Siehe homepage UEMS www.UEMS.be)

Die Einflussnahme auf die europäische Gesetzgebung durch Section und Board im „Dschungel” der europäischen Kommissionen ist relativ kompliziert. Die Empfehlungen, die in beiden Arbeitsgruppen erarbeitet werden, werden jeweils mit den nationalen psychiatrischen wissenschaftlichen Gesellschaften und den Berufsverbänden abgestimmt und gehen dann nach einheitlicher Beschlussfassung an das „Management Councel” der EU, die die Dokumente über das „Advisery Commitee” an das europäische Parlament weiterleitet. Von dort erfolgt die europäische Gesetzgebung, die wiederum die nationale Gesetzgebung beeinflusst. Zumindest der intensive Diskussionsprozess zwischen dem „European Board” und den deutschen wissenschaftlichen Gesellschaften und Berufsverbänden für Psychiatrie und Psychotherapie hat die Weiterbildungsordnung, wie sie auf den deutschen Ärztetagen 1992 und 2003 beschlossen wurde, entscheidend geprägt und europäischen Standards angeglichen. Ein deutscher „Sonderweg”, der in Europa keine Entsprechung findet, stellt weiterhin der „Arzt für Psychotherapeutische Medizin” (jetzt Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) dar. Inwieweit die europäische Entwicklung die Zweiteilung in zwei „Psycho-Fachärzte” beeinflusst, bleibt abzuwarten.

Zukünftige Projekte des European Board der UEMS werden die Überarbeitung der Weiterbildungsempfehlungen, die Überarbeitung der CME-Empfehlungen sowie die Erarbeitung eines „Profils des Psychiaters und Psychotherapeuten” sein. Zur Zeit führt das European Board europaweit eine Umfrage durch, inwieweit die Weiterbildungsempfehlungen in den einzelnen Ländern umgesetzt wurden. Bei der Überarbeitung der Weiterbildungsempfehlungen steht u. a. die Schaffung von Schwerpunkten im Zentrum der Diskussionen, wobei die Schwerpunkte nach Altersgruppe (z. B. Gerontopsychiatrie), nach Diagnose (z. B. Sucht), nach Behandlungsmethode (z. B. Psychotherapie), nach Intelligenzgrad (z. B. geistige Behinderung) oder Setting (z. B. forensische Psychiatrie) erfolgen können. Die Aufreihung macht deutlich, wie schwierig ein Einigungsprozess auf europäischer Ebene sein wird, entsprechende Schwerpunkte innerhalb der Psychiatrie europaweit zu formulieren. Bei der Überarbeitung der kontinuierlichen Fortbildung (Continuing Medical Education CME) wird das CME-Konzept mit dem Konzept der Continuing Professional Development (CPD), das neben der Verbesserung von Wissen und Handlungskompetenz auf die persönlichen beruflichen Ziele sowie die Fortbildung innerhalb einer „Peer-group” vorsieht, verglichen. Die Arbeit am Profil des Psychiaters berücksichtigt die verschiedenen Funktionen und Rollen des psychiatrisch-psychotherapeutischen Arztes als medizinischer Experte, als Experte in Kommunikation und Kooperation, als Gesundheitsmanager, als Lernender und Lehrender sowie seine professional-ethische Einstellung und seine Rolle in der Gesundheitsfürsorge. Das Facharzt-Profil dient der Beschreibung und Definition des Faches in Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen.

In den letzten Jahren entstehen in zunehmenden Maße Querverbindungen und Kooperationen zwischen der Section und dem „European Board of Psychiatry” der UEMS und verschiedenen europäisch psychiatrischen wissenschaftlichen Gesellschaften wie der „Association of European Psychiatrist” (AEP), der „World Psychiatric Association” (WPA) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um die Aktivitäten auf dem Gebiet der Fort- und Weiterbildung zu koordinieren und durch Bündelung der Aktivitäten mehr Einheitlichkeit und Umsetzung zu erreichen.

In zunehmenden Maße werden europäische Vorgaben für die deutschen Weiterbildungs-Standards bedeutsam. Wie von der UEMS vorgesehen, werden beispielsweise in diesem Jahr als qualitätssichernde Maßnahme regelmäßige freiwillige Visitationen der einzelnen Weiterbildungsstätten durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) erfolgen, um die Umsetzung der Weiterbildungsrichtlinien auf hohem Niveau zu ermöglichen.

Zusammenfassend stellen die europäischen Weiterbildungsempfehlungen in Psychiatrie und Psychotherapie eine gute Grundlage dar, dass sich der Facharzt den Anforderungen eines sich ständig wandelnden Gesundheitssystems stellen kann, und dass sich in Europa ein einheitliches Qualitätsniveau konstituiert, das eine optimale Versorgung psychisch Kranker ermöglicht.

Literatur

  • 1 Hohagen F, Lindhardt A. Training in psychiatry: a European perspective.  Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 1997;  247 S1-S2

Prof. Dr. Fritz Hohagen

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie · Universitätsklinikum Schleswig-Holstein · Campus Lübeck

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

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