Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 196
DOI: 10.1055/s-2004-829401

Postnatale Entwicklung der Hirndurchblutung bei Frühgeborenen in den ersten 14 Lebenstagen

M Kehrer 1, S Ehehalt 1, R Goelz 1, C Poets 1, M Schöning 1
  • 1Abt. Neuropädiatrie/Abt. Neonatologie (Tübingen, Deutschland)

Fragestellung: Erste Daten über Messungen des cerebralen Blutflussvolumens (CBFV) bei Früh- und Neugeborenen zeigten einen deutlichen Anstieg von CBFV mit dem Konzeptionsalter (Kehrer et al., Lancet 2002). Konzeptionsaltersspezifische CBFV-Referenzwerte wurden inzwischen ermittelt. Ziel der vorliegenden Längsschnitt-Studie war die Untersuchung der Entwicklung der zerebralen Perfusion bei Frühgeborenen in Abhängigkeit vom postnatalen Alter durch serielle Messungen in den ersten 14 Lebenstagen.

Methodik: An 32 Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von 28–35 Wochen wurden CBFV-Verlaufsmessungen am 1., 2., 3., 7. und 14. Lebenstag durchgeführt. Die extrakraniellen hirnversorgenden Arterien (A. carotis interna und A. vertebralis beidseits) wurden mithilfe eines 10.0-MHz-Linearschallkopfs eines Computersonographiegerätes (Acuson 128XP/10) farbduplexsonographisch untersucht. Die winkelkorrigierte mittlere-gewichtete Flussgeschwindigkeit (TAV) und der Durchmesser jedes Gefäßes wurden gemessen. Die intravaskulären Flussvolumina wurden als Produkt von TAV und Gefäßquerschnittsfläche errechnet. Die Summe der Flussvolumina der vier untersuchten Gefäße ergibt CBFV.

Ergebnisse: CBFV steigt vom 1. zum 14. Lebenstag signifikant an (p<0,0001). Ein besonders ausgeprägter Anstieg von CBFV erfolgt vom 1. auf den 2. Lebenstag. Dieser Anstieg ist unabhängig vom Konzeptionsalter zu beobachten. Deutlich abhängig vom Konzeptionsalter ist dagegen das Niveau, auf dem der CBFV-Anstieg vom 1. auf den 2. Lebenstag stattfindet.

Schlussfolgerung: Bei Frühgeborenen steigt die Hirndurchblutung in den ersten Lebenstagen deutlich an. Der stärkste Anstieg erfolgt vom 1. auf den 2. Lebenstag, vermutlich als Ausdruck eines physiologischen postnatalen Adaptationsprozesses. In diesem Zeitraum treten bei Frühgeborenen am häufigsten Hirnblutungen auf.

Zwar hängt die absolute Höhe von CBFV in erster Linie vom Konzeptionsalter ab, die Dynamik der Veränderungen der Hirndurchblutung in den ersten zwei Lebenswochen ist jedoch reifeunabhängig. Die Daten zeigen erstmals die postnatale Entwicklung der Gesamthirndurchblutung bei Frühgeborenen in den ersten 14 Lebenstagen auf. Sie bilden die Grundlage für weitere Untersuchungen mit dem Ziel herauszufinden, ob bei Kindern mit Hirnblutungen dieser Anpassungsprozess verändert oder gestört ist.