Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 180
DOI: 10.1055/s-2004-829385

Verweigerung der HIV-Testung und der HIV-Transmisionsprophylaxe während Schwangerschaft und Neonatalperiode: Ursachen, rechtliche und ethische Aspekte anhand von 7 Fallbeispielen

B Buchholz 1, S Hien 1, M Beichert 1, T Schaible 1, W Nützenadel 1
  • 1Universitätskinderklinik Mannheim, Gynäkologische Praxis (Mannheim, Deutschland)

Fragestellung: Durch Kombination von antiretroviraler Therapie der HIV1-positiven Schwangeren, primärer Sectio am wehenlosen Uterus sowie antiretroviraler Prophylaxe und Stillverzicht bei den Neugeborenen beträgt die Rate der vertikalen HIV1-Transmission bei bekannter HIV1-Infektion der Schwangeren in der BRD seit 1995 nur noch 1–2%. Jedes Jahr werden in der BRD jedoch deutlich mehr als die bei 200 Entbindungen von HIV1-positiven Schwangeren zu erwartenden 4 Kinder vertikal mit HIV1 infiziert. Ursachen dafür sind hauptsächlich die nicht erfolgte HIV-1-Testung in der Schwangerschaft und die nicht leitlinienkonforme Behandlung von HIV1-positiven Schwangeren und ihren Neugeborenen. Seltener ist die Verweigerung des HIV1-Screenings und/oder prophylaktischen Maßnahmen in Schwangerschaft/Neonatalzeit durch die Schwangere selbst.

Methodik: Von den in 2000–2003 registrierten 12 Fällen von Therapieverweigerung durch die HIV-positive Schwangere (2 Patienten der HIV-Ambulanz der Kinderklinik Mannheim + 10x Anrufe auf der Hotline „HIV in der Schwangerschaft“) konnten 7 mit anamnestischer Angabe von Beweggründen ausgewertet werden.

Ergebnisse: Bei den 7 Schwangeren waren 3x die Verneinung der Existenz von HIV (Duesberg-Theorie), 2x Drogengebrauch, 1x die Angst vor Diskriminierung (Schwangere aus Subsaharaafrika) und 1x extreme Religiosität Grund für die Verweigerung der HIV1-Testung/-Prophylaxe. Eine Mutter, deren Kind eine HIV-Enzephalopathie entwickelte, gab erst 13 Monate nach Geburt ihren HIV-Status bekannt. 5 Mütter konnten kurz nach Geburt ohne Widerstand von einer antiretroviralen Prophylaxe und Stillverzicht überzeugt werden. Die Mutter, die erst nach Androhung des richterlichen Entzuges der Sorge zur kindlichen Prophylaxe und Stillverzicht bereit war, entzog sich durch Umzug der Kontrolle von Kinderarzt und Jugendamt. Ihr Kind wurde HIV-positiv. Gemäß den aktuellen „Deutsch-Österreichischen Empfehlungen zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft“ von 2003 werden Neugeborene bei fehlender präpartaler HIV-Transmissionsprophylaxe wegen des sehr hohen Transmissionsrisiko sofort postnatal für 6 Wochen Zidovudin + Lamivudin und mit einer zweimalige Gabe von Nevirapin (sofort nach Geburt + am 3. Lebenstag) therapiert. Von den übrigen 5 Kindern ist eines HIV-negativ; der HIV-Status der 4 anderen ist unbekannt.

Fazit: Verweigert eine Schwangere die HIV-Testung oder eine HIV1-positive Schwangere die HIV-Transmissionsprophylaxe, so können weder HIV1-Testung noch die Maßnahmen zur Vermeidung einer HIV-Transmission (antiretrovirale Therapie der Schwangeren, primärer Kaiserschnitt) rechtlich erzwungen werden. Erst nach der Geburt kann die Prophylaxe des Kindes und der Stillverzicht auch gegen den Willen der Mutter (notfalls durch richterlichen Entzug der Sorge) eingeleitet werden. Um dann noch die HIV-Transmissionsrate bestmöglichst zu senken, sollte die kindliche Prophylaxe gemäß den Leitlinien mit 3 antiretroviralen Medikamenten erfolgen.