Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 172
DOI: 10.1055/s-2004-829377

Akute Otitis media bei einem hospitalisierten Frühgeborenen

S Blüher 1, L Vogler 1, D Hückel 1, C Vogtmann 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig (Leipzig, Deutschland)

Einleitung: Die akute Otitis media (AOM) zählt zu den häufigsten pädiatrischen Krankheitsbildern, an der 75–95% der Kinder in den ersten 3 Lebensjahren mindestens einmal erkranken. Der Altersgipfel liegt zwischen 6 Monaten und 6 Jahren. Die häufigsten Erreger der AOM sind Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, und Staphylokokken. Bei jüngeren Kindern scheinen auch gramnegative Bakterien von Bedeutung zu sein. Eine AOM bei noch hospitalisierten Neu- oder Frühgeborenen ist sehr selten, und es ist wenig bekannt über mögliche Ursachen sowie das Erregerspektrum.

Kasuistik: Wir berichten über ein extrem unreifes Frühgeborenes (Geburt in der 26.2 SSW, GG 850g). Die Geburt erfolgte aufgrund eines feto-fetalen Transfusionssyndroms durch Sectio caesarea als 1. Zwilling. Fehlbildungen waren nicht vorhanden. Das Kind wurde intensivmedizinisch versorgt und war bis zum 23. Lebenstag beatmet. Die Verlegung auf die Frühgeborenen-Station konnte am 35. Lebenstag erfolgen. Am 60. Lebenstag (=34.5 SSW p.c., Gewicht 1770g) fiel eine eitrig-gelbiche Sekretion aus dem linken Ohr auf. Aufgrund wiederholter Sättigungsabfälle war die erneute Sauerstoffgabe (ca 25%) notwendig. Die Herzfrequenz lag zwischen 160 und 170 bpm bei sonst stabilen Vitalparametern; das Kind war afebril. Weitere klinische sowie laborchemische Hinweise auf eine Allgemeininfektion bestanden nicht (CRP <5mg/l, Leukozyten 8.5 Gpt/l, unauffälliges Differentialblutbild). Zu diesem Zeitpunkt wurde das Kind komplett mit Muttermilch ernährt. Mikrobiologisch konnte im Ohrabstrich Staphylococcus aureus nachgewiesen werden, was die Verdachtsdiagnose einer AOM bestätigte. Die antibiotische Therapie erfolgte systemisch mit Cefuroxim über insgesamt 10 Tage. Zusätzlich wurden mehrere Spülungen mit Hydroxychinolin-Lösung durchgeführt. Die Symptomatik war innerhalb weniger Tage vollständig regredient. Bei Entlassung waren die otoakustischen Emissionen beidseits nachweisbar.

Zusammenfassung: Die hier beschriebene Kasuistik ist der erste an unserer Klinik beobachtete Fall einer AOM in so einem frühen postkonzeptionellen Alter. Da eine AOM somit bereits sehr früh bei noch hospitalisierten Früh- oder Neugeborenen auftreten kann, sollte die Otoskopie zum routinemäßigen Untersuchungsprogramm dieser Kinder gehören.

Ein wesentlicher prädisponierender Faktor bei Kindern dieser Altersgruppe ist möglicherweise eine Belüftungsstörung des Mittelohres mit Behinderung des Sekretabflusses. Während bei größeren Kindern oft Virusinfekte vorausgehen bzw. eine adenoide Vegetation die AOM bahnt, könnten bei Neugeborenen hydrostatische Faktoren von Bedeutung sein, die die Belüftung der Tubae Eustachii behindern. Die Ernährung der Kinder sollte deshalb nicht liegend im Bett, sondern in Schräglage auf dem Arm der betreuenden Person erfolgen.