Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 171
DOI: 10.1055/s-2004-829376

Postnatales HIV-Screening in der Neonatologie: Ein Muss bei bekannterweise hohem Risiko?

S Hien 1, B Buchholz 1, N Steiner 1
  • 1Universitätskinderklinik Mannheim, Kinderklinik Speyer (Mannheim, Speyer, Deutschland)

Einleitung:

Bei bekanntem HIV-Status der Schwangeren ermöglichen Maßnahmen zur Reduktion des vertikalen Transmissionsrisikos gemäß dem seit 1994 empfohlenen Vorgehen (Leitlinien – w3.hivinfo.de) eine Abnahme der perinatalen HIV-1 Infektionsrate von 30% auf <2%.

Bei fehlender praenataler HIV-Testung besteht bei Zugehörigkeit eines Elternteiles zu einer HIV-Risikogruppe wie Herkunft (Subsahara-Afrika, Asien, Osteuropa – Prävalenzdaten der WHO) oder i.v.-Drogen die Möglichkeit durch Neonatologen oder geburtshilfliches Team direkt postnatal eine HIV-1 Testung durchzuführen und gegebenenfalls ≤72h eine Transmissionsprophylaxe zu beginnen.

Seit 1994 kamen in der HIV-Ambulanz der Kinderklinik Mannheim 8 HIV-1 positive Kinder hinzu, deren Infektionsrisiko durch pränatales Screening bei Eltern aus Risikogruppen hätte gesenkt werden können.

Kasuistik:

Nach Sectio aus mütterlicher Indikation und unauffälliger Neonatalperiode, wurde ein 7 Wochen alter männlicher Säugling in reduziertem AZ mit febriler Pneumonie stationär aufgenommen. Bei i.v. Therapieresistenz und Zugehörigkeit der Eltern zu einer Risikogruppe mit hoher HIV-1 Praevalenz wurde ein HIV-1 Screening durchgeführt, welches positiv ausfiel (laut betreuendem Gynäkologe wurde bei nachweislich bestehenden Verständigungsschwierigkeiten ein HIV-Test abgelehnt?).

Daraufhin erfolgte die Übernahme in Unikinderklinik Mannheim zur Betreuung durch die HIV-Ambulanz. Klinisch fielen Pneumonie mit zusätzlichem Sauerstoffbedarf, GÖR mit Sondierpflicht bei Trinkschwäche sowie ausgeprägte muskuläre Hypotonie v.a. der unteren Extremität und path. NG-Reflexe im Sinne einer beginnenden HIV-Encephalopathie auf. Die Diagnostik ergab 5×106/ ml HIV-1 Copies im Serum, 3,2×105/ ml im Liquor, CD4-Helferzellen 750/µl. Aufgrund der akuten HIV-1 Infektion Stadium B2 mit CMV-Co-Infektion erfolgte initial eine Retrovir-Hochdosis-i.v.-Therapie, erweitert zur antiretroviralen 3-fach-Therapie. Zusätzlich 3 Wochen Ganciclovir i.v. bei CMV-Ösophagitis/Gastritis und positiver CMV-PCR im Liquor. 2 Monate nach Therapiebeginn konnte HIV-1 mittels PCR nicht mehr nachgewiesen werden, die CD4-Helferzellen waren 1300/µl. Der Patient entwickelt sich seither unter Therapie normal, es bestehen noch leichte neurologische Defizite.

Resüme:

Das perinatale HIV-1 Transmissionsrisiko kann bei rechtzeitiger Prophylaxe auf <2% gesenkt werden, so dass es nicht vertretbar ist, aufgrund fehlendem HIV-1 Screening neuinfizierte Kinder zu riskieren. Bei entsprechender Aufklärung kommt es fast nie zu einer Ablehnung des HIV-Tests durch Schwangere pränatal. Bei Risiken wie i.v. Drogen oder Herkunft aus Land mit hoher HIV-Prävalenz (Ostasien, Subsahara-Afrika, Osteuropa) ist ein Test spätestens postnatal durch den Neonatologen möglich und ein Prophylaxebeginn ≤72 Stunden erfolgversprechend (ohne Prophylaxe Transmissionsrisiko 30%). Abgesehen von der Vermeidung eines chronisch kranken Patienten kostet eine 3-fach Therapie über 10000 € im 1. Lebensjahr.