Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 164
DOI: 10.1055/s-2004-829369

Die Vielfalt des vom Kind gebildeten IgG nimmt bei Frühgeborenen langsamer zu als bei Reifgeborenen

M Zemlin 1, C Zemlin 1, J Karstädt 1, K Bauer 1
  • 1Klinik für Neonatologie und Neuropädiatrie, Gynäkologie, Gyn. Onkologie & Endokrinologie, Kinderklinik Charité Campus BF, Abteilung für Neonatologie (Marburg, Berlin, Frankfurt, Deutschland)

Hintergrund: Die Vielfalt des von naiven B-Lymphozyten gebildeten primären Antikörper-Repertoires nimmt während der intrauterinen Entwicklung exponentiell zu. Durch eine Frühgeburt wird das Immunsystem vorzeitig mit extrauterinen alimentären und mikrobiellen Antigenen konfrontiert. Schon bei extrem Frühgeborenen kann ein class-switch zu IgG stattfinden, und es können innerhalb des Genabschnittes der schweren Immunglobulinkette, der für die Antigen-Bindungsstelle kodiert, somatische Mutationen als Zeichen der Antigen-induzierten B-Zell-Selektion auftreten.

Fragestellung: Wie entwickelt sich nach der Geburt die Vielfalt der IgG-Antikörper und die Anzahl der somatischen Mutationen in der schweren Immunglobulinkette im peripheren Blut von Frühgeborenen und Reifgeborenen?

Methodik: Es wurden Nabelschnurblutproben und Verlaufsblutproben von Frühgeborenen (FG, 25–27 SSW, 16 Blutproben) und Reifgeborenen (RG, 37–42 SSW, 14 Proben) bis zum postnatalen Alter von 16 Wochen untersucht. Der für die Antigenbindungsstelle der schweren Immunglobulinkette kodierende Gen-Abschnitt (CDR-H3) wurde aus RNA mit einer IgG-spezifischen RT-PCR amplifiziert und kloniert. Ca. 20–30 zufällig ausgewählte Amplifikate von jeder Blutprobe wurden sequenziert, um die somatischen Mutationen zu zählen. Als Maß fur die globale IgG-Vielfalt wurde der Anteil unterschiedlicher Sequenzen an allen Sequenzen einer Probe in Prozent berechnet. Zusätzlich wurden die Amplifikate mit hochauflösender Gel-Elektrophorese aufgetrennt (GeneScan), um sicherzustellen, dass die Stichprobe der sequenzierten Amplifikate in Länge und Vielfalt das Gesamtamplifikat repräsentiert.

Ergebnisse: RNA-Sequenzierung und geneScan- Analyse zeigten übereinstimmend, dass die IgG-Vielfalt und die Anzahl der somatischen Mutationen in den Antigen-Bindungsstellen bei FG und RG postnatal zunimmt. Die Rate an somatischen Mutationen nahm während der ersten 16 postnatalen Wochen bei FG schwächer als bei RG zu (Pearson's r2=0,32 versus 0,90). Die IgG-Vielfalt war in allen 10 postnatalen Proben von RG im postnatalen Alter von 1 bis 16 Wochen über 80%, wohingegen bei FG die Vielfalt linear zunahm (Pearson's r2=0,55) und erstmalig im Alter von 8 Wochen 80% erreichte.

Schlussfolgerungen: Die Bildung des IgG-Repertoires kann durch die vorzeitige Antigen-Exposition beim Frühgeborenen stimuliert werden. Bei Frühgeborenen nimmt die IgG-Vielfalt und die Anzahl der somatischen Mutationen im postnatalen Verlauf deutlich langsamer zu als bei Reifgeborenen gleichen postnatalen Alters. In Verbindung mit dem geringeren Nestschutz und dem deutlich eingeschränkten Repertoire an naiven B-Zellen, aus denen das IgG-Repertoire rekrutiert wird, könnte die langsamere Diversifikation des IgG-Repertoires zur „physiologischen Immunschwäche des Frühgeborenen“ beitragen.

Förderung: DFG BA1187, Humboldt-Stiftung: FLF1071857.