Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 93
DOI: 10.1055/s-2004-829298

Eine neue Frameshift-Mutation im Phox2b-Gen führt zu zentralem Hypoventilationssyndrom (Undine-Syndrom) mit totaler Aganglionose des Dünn- und Dickdarms

A Holzinger 1, W Kachel 1, H Priesmann 1, S Ihrler 1, M Streiter 1, M Bauer 1, HG Münch 1
  • 1Dr. von Haunersches Kinderspital, Kinderklinik am Gesundbrunnen, Institut für Pathologie, LMU München (München, Heilbronn, Deutschland)

Fragestellung:

Das Syndrom der kongenitalen zentralen Hypoventilation (CCHS; Undine-Syndrom) geht auf eine Störung der Entwicklung des autonomen Nervensystems zurück. Heterozygote Genveränderungen im phox2b-Gen, vorwiegend Expansionen eines Polyalanin-Repeats, sind die häufigste molekulare Ursache der Erkrankung. CCHS ist in etwa 16% der Fälle von segmentaler Aganglionose des Dickdarms (Mb. Hirschsprung) begleitet (Haddad-Syndrom). Phox2b Genveränderungen sind jedoch bisher nicht mit totaler Aganglionose des Dünn- und Dickdarms assoziiert worden. Bei einem Neugeborenen mit CCHS und totaler Aganglionose des Dünn- und Dickdarms wurde die Frage gestellt, ob diese Symptomkonstellation ebenso auf einen phox2b Gendefekt zurückgeführt werden kann.

Methodik:

Bei einem FG von 32 SSW wurde durch den Hyperkapnietest unter Beatmung und das Fehlen jeglicher Atemtätigkeit im Schlaf die Diagnose des CCHS gestellt. Das Kind zeigte keinerlei Nahrungstoleranz. Die pathologisch-anatomische und immunhistochemische Diagnostik von Rectumbiopsien und in Laparotomie entnommenen transmuralen Biopsien von oberem Jejunum bis Rectum zeigten das Fehlen von Ganglienzellen. In der Biopsie des Magens waren Ganglienzellen nachweisbar.

Molekularbiologische Diagnostik:

Die kodierende Region des phox2b Gens (3 Exons) wurde sequenziert. Zudem wurde die Region des Polyalanin-Repeats amplifiziert und die Produkte durch Agarosegelektrophorese bzw. Polyacrylamidelektrophorese nach Fluoreszenzmarkierung aufgetrennt. PCR-Produkte des Polyalanin-Repeats wurden zudem subkloniert und getrennt sequenziert.

Ergebnisse:

Es zeigte sich ein in der Region des Polyalanin-Repeats um 17 bp verkürztes Allel, das durch Sequenzierung nach Subklonierung der Produkte der einzelnen Allele und Restriktionsanalyse (NotI) als Deletion der Basenpaare 722–738 der cDNA (722–738del17; A des ATG Startcodons=1) definiert werden konnte. Diese Mutation führt zur Verschiebung des Leserahmens (frameshift). Das betroffene Allel muss daher als Null-Allel betrachtet werden.

Schlussfolgerung:

Die neue Mutation im phox2b Gen muss als ursächlich für CCHS und Aganglionose der Darms gelten. In den bisher berichteten Fällen mit Veränderungen im phox2b Gen war keine Mutation mit totaler Aganglionose des Dünn- und Dickdarms vergesellschaftet, wobei bisher weltweit nur 3 Null-Allele (2 Mutationen mit einer Verschiebung des Leserahmens und ein vorzeitiger Abbruch) beobachtet worden sind. Alle diese Patienten hatten eine segmentale Aganglionose des Dickdarms und 2 dieser 3 Patienten ein Neuroblastom. Es kann postuliert werden, dass ein phox2b Null-Allel zur Maximalvariante der Erkrankung führt, die aus CCHS, obligatem Mb. Hirschsprung (fakulatitv mit Beteiligung des Dünndarms) und hohem Risiko für ein Neuroblastom besteht.

Genetische Analysen sind bei klinisch diagnostiziertem CCHS von großer Bedeutung, da bei der überwiegenden Mehrheit der CCHS Patienten Mutationen im phox2b-Gen zu erwarten sind.