Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 62
DOI: 10.1055/s-2004-829267

Schmerztherapie bei frühgeborenen Kindern in Deutschland, Österreich und der Schweiz

B Gharavi 1, C Schott 1, M Nelle 1, G Reiter 1, O Linderkamp 1
  • 1Universitätskinderklinik Heidelberg, Inselspital, Abt. Neonatologie, Universitätskinderklinik Innsbruck (Heidelberg, Deutschland; Bern, Schweiz; Innsbruck, Österreich)

Einleitung: Schmerz bzw. Stress spielt eine wichtige ätiologische Rolle bei der multifaktoriellen Entstehung früher neurologischer Schäden. Mit der vorliegenden Umfrage an Kinderkliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde die Praxis der Diagnostik von Schmerzen, die Indikationsstellung zur Schmerztherapie und deren Durchführung bei Frühgeborenen (FG) untersucht.

Methoden: Im Jahre 2002 wurde eine Umfrage an 415 Kinderkliniken in Deutschland (n=356), Österreich (n=41) und der Schweiz (n=18) versendet. Folgende Parameter wurden erfragt: Zahl der behandelten FG <32 SSW pro Jahr, die apparative Überwachung, Erfassung und Dokumentation von Schmerzen FG, Vorliegen klinikinterner, schriftlicher Richtlinien zur Schmerztherapie und Indikationsstellung zur Schmerztherapie bei verschiedenen schmerzhaften Eingriffen.

Ergebnisse: 216 (52%) Kinderkliniken beteiligten sich an der Umfrage. 35% der Kliniken behandelten mehr als 50 FG <32 SSW pro Jahr. Die Überwachung der Patienten erfolgte mittels Pulsoxymetrie (99%), EKG (100%), Transkapnode (84%), Blutdruck (94%). Eine analgetische Therapie im Rahmen schmerzhafter Eingriffe wurde in 37% der Kliniken generell, in 57% gelegentlich und in 6% nicht durchgeführt. Gründe hierfür waren: Fehlen einer systematischen Schmerzerfassung, mangelnde Erfahrung in der Schmerztherapie und das Nebenwirkungsspektrum der Analgetika. 32% der Kliniken führten keine systematisierte Schmerzmessung durch. Die Schmerzmessung erfolgte anhand des klinischen Eindrucks (50%), physiologischer Parameter (42%) und mittels Schmerz-Scores (13%). Eine Dokumentation von Schmerzen fand in 33% der Kliniken statt (Patientenkurve oder Schmerzerfassungsbogen). Schriftliche Richtlinien zur Schmerztherapie lagen in 44% der Kliniken vor (42% für Ärzte, 23% für Pflegepersonal). Die Indikationsstellung zur Gabe von Analgetika bei schmerzhaften Eingriffen wie z.B. Blutentnahmen, Intubation, tracheales Absaugen, Lumbalpunktion, Pneumothoraxdrainagenanlage usw. erfolgte sehr uneinheitlich und reichte von 14% bis 88%. Für alle erfragten Parameter zeigten sich deutlich höhere Prozentwerte in Kliniken mit mehr als 50 FG <32 SSW pro Jahr und in Kliniken mit internen Leitlinien zur Schmerztherapie.

Diskussion: Nur wenige Umfragen haben sich weltweit mit der Schmerztherapie frühgeborener Kinder beschäftigt und zeigen einen bemerkenswerten Mangel an Schmerzerfassung und -therapie bei FG auf. Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen vergleichbare Ergebnisse, wobei sich höhere Prozentwerte für alle erfragten Parameter der Schmerzerfassung und -therapie in Kliniken mit mehr als 50 FG <32 SSW pro Jahr und in Kinderkliniken mit klinikinternen Leitlinien zur Schmerztherapie zeigten. Die Schmerzerfassung und analgetische Therapie bei FG ist weiter verbesserungsfähig und in der Tat sehen 96% der befragten Kliniken einen Bedarf an evidenzbasierten Empfehlungen zur Schmerztherapie bei frühgeborenen Kindern, wie sie bereits 2001 in den USA publiziert wurden.