Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 34
DOI: 10.1055/s-2004-829239

Diagnose einer Mucolipidose II (i-cell disease) im Neugeborenenalter

P Weißgerber 1, H Berendonk 1, J Spranger 1, M Vochem 1
  • 1Olgahospital, Abt. Neonatologie, Olgahospital, Radiologisches Institut, Klinikum der Universität Mainz, Kinderklinik (Stuttgart, Mainz, Deutschland)

Einleitung: Mucolipidose II ist eine autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung, die meist bis zum 6. Lebensmonat manifest wird, progredient verläuft und in der Regel im Alter von 5–8 Jahren letal endet. Selten wird diese schwerwiegende Diagnose bereits im Neugeborenenalter gestellt.

Fallbericht: Zur Aufnahme kam ein reifes, eutrophes, männliches Neugeborenes türkischer Eltern mit pulmonaler Adaptationsstörung. Das Kind war auffällig durch ein generalisiertes feinfleckiges Exanthem, eine Hepatosplenomegalie, eine Thrombozytopenie, die Varisierung beider Unterschenkel, Cutis laxa mit verstärkter Hautfaltenbildung und leichte muskuläre Hypotonie. Die klinischen Veränderungen und die radiologischen Befunde (Becherung der Metaphysen und periostale Veränderungen der langen Röhrenknochen, punktförmige Verkalkungen im Calcaneus bds.) legten die Verdachtsdiagnose einer pränatalen Infektion (z.B. Lues) nahe, die serologisch jedoch nicht bestätigt werden konnte. Als sehr seltene Differentialdiagnose kam aufgrund der radiologischen Knochenveränderungen auch die Mucolipidose II (i-cell-disease) in Betracht, die durch die Bestimmung lysosomaler Enzyme im Serum gesichert werden konnte. Im weiteren Verlauf traten Leistenhernien bds. und rezidivierende Pneumonien auf, es entwickelten sich vergröberte Gesichtszüge, eine Gingivahyperplasie und eine ausgeprägte Kyphoskoliose.

Bei der Mucolipidose II führt eine defekte Phosphotransferase zu einer Störung in der Adressierung lysosomaler Enzyme, die nicht in Lysosomen gelangen, sondern in hoher Konzentration extrazellulär nachweisbar sind. Gleichzeitig finden sich nicht abgebaute Makromoleküle in intrazytoplasmatischen Vakuolen, die der Erkrankung auch den Namen „i(nclusion)-cell-disease“ gegeben haben. Diese Ablagerungen führen zu Veränderungen und Funktionseinschränkungen v. a. der Knochen, der Skelettmuskulatur, der Herzklappen, der Leber und der Nieren. Es kommt zu Gedeihstörungen, Wachstumsverzögerung und psychomotorischer Retardierung, zusätzlich treten Gelenkimmobilitäten, Hepato(spleno)megalie, Nabel- und Leistenhernien sowie rezidivierende (Atemwegs-)Infekte auf, die mit kardiovaskulären Komplikationen einhergehen und den Tod im Alter von fünf bis acht Jahren verursachen. Die Therapie ist symptomatisch, wenig erfolgreiche kurative Ansätze mit einer Knochenmarkstransplantation wurden versucht. Eine Enzymersatztherapie steht nicht zur Verfügung, eine Pränataldiagnostik ist etabliert.

Schlussfolgerung: Bei der Abklärung typischer Röntgenveränderungen ist neben einer pränatalen Infektion (z.B. Lues) auch eine Speichererkrankung mit Knochenbeteilgung differentialdiagnostisch zu berücksichtigen. Eine frühe Diagnosestellung ermöglichte in unserem Fall die frühzeitige Beratung der Eltern durch die Humangenetik, die Weiterbetreuung in einem spezialisierten Zentrum und eine frühzeitige Therapie von Begleiterkrankungen.

1 Olgahospital, Abt. Neonatologie, 70176 Stuttgart

2 Olgahospital, Radiologisches Intitut, 70176 Stuttgart

3 Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Kinderklinik, 55131 Mainz