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DOI: 10.1055/s-2004-828391
Aktuelle Entwicklungen in der Rehabilitation
Current Developments in RehabilitationPublication History
Publication Date:
07 October 2004 (online)

In den letzten 15 Jahren unterlag die Rehabilitation in Deutschland enormen Entwicklungen. Diese lassen sich als Prozesse der Spezialisierung, Professionalisierung und Ausdifferenzierung kennzeichnen. Motor dieser Entwicklungen waren neben den Initiativen der Rehabilitationsträger (vgl. z. B. die Kommission zur Weiterentwicklung in der medizinischen Rehabilitation des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger zu Beginn der 90er-Jahre, den Rehabilitationswissenschaftlichen Förderschwerpunkt von Rentenversicherung und Bundesforschungsministerium sowie die Qualitätssicherungsprogramme von Renten-, Kranken- und Unfallversicherung seit Mitte der 90er-Jahre) die zunehmende wissenschaftliche Fundierung der rehabilitativen Praxis durch Forschung und Leitlinienentwicklung. Nach der durch das Beschäftigungs- und Wachstumsförderungsgesetz von 1996 ausgelösten Strukturkrise ist die Rehabilitation spätestens mit dem In-Kraft-Treten des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) am 1. Juli 2001 auch im politischen Raum unumstritten. Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat die Entwicklung ebenfalls gewürdigt und den Behandlungsansatz der medizinischen Rehabilitation mit seiner Ausrichtung am Konzept der funktionalen Gesundheit der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) als paradigmatisch für das Gesundheitswesen insgesamt bezeichnet, um chronischen Erkrankungen adäquat zu begegnen. Er sieht hierin zugleich - neben der Prävention - einen geeigneten Ansatz, Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zu begegnen bzw. diese zumindest in Grenzen zu halten.
Trotz dieser unzweifelhaften Erfolge der Rehabilitation bestehen weiterhin große Herausforderungen, die zukünftig zu bewältigen sind. Zunächst einmal steht der mit dem SGB IX eingeleitete Paradigmenwechsel vor allem bezogen auf die Rolle des Betroffenen noch am Anfang der Umsetzung. Nicht nur die Verwaltungspraxis und die beteiligten Professionen in der Rehabilitation sind aufgefordert, den Paradigmenwechsel durch eine noch stärkere Dienstleistungsorientierung auszubauen. Auch für die Rehabilitationswissenschaften ergeben sich daraus neue Fragestellungen und Forschungsfelder, insbesondere zur Selbstbestimmung von Patienten und behinderten Menschen. Des Weiteren entstehen besondere Herausforderungen durch die Dynamik im Gesundheitswesen im Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, die ebenfalls durch die Gesetzgebung der letzten Jahren angestoßen wurde. Dazu gehören insbesondere die Einführung der Diagnosis Related Groups (Fallpauschalen) als Grundlage der Finanzierung und Abrechnung von Krankenhausleistungen sowie die Einführung von Disease-Management-Programmen (sog. Chronikerprogramme) und die neuen Möglichkeiten zur integrierten Versorgung unabhängig vom Sicherstellungsauftrag der kassenärztlichen Vereinigungen. Die dadurch ausgelösten Entwicklungen im Gesundheitswesen bedeuten auch für die Rehabilitation große Herausforderungen und die Notwendigkeit zu neuen Positionierungen.
Vor diesem Hintergrund werden in diesem Schwerpunktheft sieben Beiträge zu aktuellen Entwicklungen vorgestellt, die einerseits die Dynamik, andererseits die Herausforderungen widerspiegeln. Wegen deren grundlegender Bedeutung für weitere Entwicklungen werden von Zwingmann et al. [1] zunächst erste Ergebnisse des gemeinsamen Forschungsprogramms von Rentenversicherung und Bundesforschungsministerium und daraus sich ergebende Perspektiven diskutiert. Anfangs stellen sie fest, dass sich durch die acht eingerichteten Forschungsverbünde und die mit ihnen verbundenen Projekte und Kooperationen die strukturellen Voraussetzungen für die Rehabilitationsforschung entscheidend verbessert haben. Aber auch die inhaltlichen Ergebnisse können sich sehen lassen und werden nach dem derzeitigen Erkenntnisstand die Rehabilitationspraxis weiter optimieren. Unter anderem ist zu erwarten, dass die berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation sowie vor allem auch die Nachsorge intensiviert werden. Als besonders effektiv haben sich Patientenschulungsprogramme erwiesen.
Im Anschluss daran beschreiben Jäckel u. Farin [2] den Stand der Qualitätssicherungsprogramme von Renten- und Krankenversicherung und zeigen auf, in welchen Bereichen eine weitere Optimierung der externen Qualitätssicherung möglich erscheint. Sie setzen sich insbesondere dafür ein, den Aufwand weiter zu reduzieren sowie die bestehenden Programme zu harmonisieren, und schließlich plädieren sie dafür, dass die Rehabilitationsträger die Ergebnisse stärker für die Belegungssteuerung nutzen. Auch den internen Qualitätssicherungsprogrammen in der Verantwortung der Leistungserbringer kommt eine zunehmende Bedeutung zu.
Der Beitrag von Koch u. Morfeld [3] setzt sich vor allem mit der Entwicklung der ambulanten Rehabilitation in Deutschland auseinander, bei der nicht zuletzt die Ergebnisse der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung eine bedeutsame Rolle gespielt haben. Danach kann die ambulante Rehabilitation, die sich weitgehend an den konzeptionellen Vorbildern in der stationären Rehabilitation orientiert, zunehmend - eine entsprechende Qualität vorausgesetzt - als eine Ergänzung der wohnortnahen Versorgung verstanden werden. Allerdings sind offenbar einem flächendeckenden Ausbau nicht zuletzt aus Wirtschaftlichkeitsgründen Grenzen gesetzt. Die Autoren wollen eine Diskussion zu mehr Flexibilität der Konzepte und damit zur Entwicklung von individuell nutzbaren Behandlungsmodulen anstoßen, um dadurch die Effektivität weiter zu steigern.
Einen wichtigen Entwicklungsbereich stellt auch die geriatrische Rehabilitation dar, für die vor allem die gesetzliche Krankenversicherung Verantwortung trägt. Leistner u. Bublitz [4] konstatieren in ihrem Beitrag zunächst einen zunehmenden Bedarf aufgrund der demografischen Entwicklung. Sie grenzen die geriatrische Rehabilitation, bei der die „geriatrietypische” Multimorbidität eine besondere Rolle spiele, von der „indikationsspezifischen Rehabilitation” ab. Für die Steuerung dieses Versorgungssektors stellen die Begutachtungshilfen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung eine wichtige Grundlage dar. Zugleich erfordere gerade die geriatrische Rehabilitation, deren wichtiges Ziel in der Vermeidung von Pflegebedürftigkeit liege, zu einem bedarfsgerechten Ausbau der ambulanten geriatrischen Rehabilitation und zu einer Abkehr von einem „reduktionistischen biomedizinischen Modell der Schulmedizin” heraus.
In der Rehabilitation wurde mittlerweile auch die Diskussion um eine evidenzbasierte Medizin aufgenommen. Leitlinien in der Rehabilitation stellen quasi eine integrierende Strategie verschiedener konzeptioneller und wissenschaftlicher Entwicklungen dar. Brüggemann u. Korsukéwitz [5] erläutern nicht nur die Bedeutung und die Chancen von Leitlinien in der Rehabilitation, sondern setzen sich u. a. auch mit den methodischen Problemen der Leitlinienentwicklung und der praktischen Anwendung auseinander. Zugleich bieten sie einen informativen Überblick über den Stand der Leitlinienentwicklung und die sich daraus ergebenden Perspektiven. Die derzeitige Rehabilitationspraxis ist durch erhebliche konzeptionelle Unterschiede gekennzeichnet, sodass von einer Implementierung von Leitlinien in der Rehabilitation, insbesondere im Zusammenhang mit den bereits bestehenden Qualitätssicherungsprogrammen, eine weitere Optimierung des Rehabilitationssystems erwartet werden kann.
Im Anschluss daran setzen sich Haaf et al. [6] mit den neuen Vergütungs- und Versorgungsformen und ihren potenziellen Auswirkungen auf die Rehabilitation auseinander. Einerseits zeigen die Autoren die Wirkungsrichtung auf, die von der Einführung der Fallpauschalen im Krankenhaus einschließlich der Frührehabilitation ausgehen. Andererseits machen sie deutlich, dass eine einfache Übernahme des Fallpauschalensystems in der Akutversorgung aus grundsätzlichen Erwägungen nicht infrage kommt bzw. problematisch ist. Die Grundthese besteht darin, dass Vergütungssysteme in der Rehabilitation keinen Anreiz zur Verkürzung der Behandlungszeiten in der Rehabilitation bieten sollten. Vor diesem Hintergrund zeigen sie alternative Möglichkeiten der Entwicklung von Vergütungssystemen auf, die zugleich weniger aufwändig erscheinen. Besondere Herausforderungen für die Rehabilitation gehen von den verschiedenen Ansätzen der integrierten Versorgung aus. Während bei den Disease-Management-Programmen der Hausarzt in besonderem Maße im Mittelpunkt steht, bestehen bei der integrierten Versorgung Tendenzen, wonach sich die Krankenhäuser als zukünftige Zentren der integrierten Versorgung entwickeln. Eine besondere Herausforderung würde dann entstehen, wenn sich durch die integrierte Versorgung der Trend zu Komplexpauschalen, die verschiedene Versorgungsbereiche umfassen, verstärkt.
Im abschließenden Beitrag setzt sich Fuchs [7] ausführlich mit der integrierten Versorgung und ihrem Verhältnis zur Rehabilitation auseinander. Er macht zunächst deutlich, dass die integrierte Versorgung, die sich auf den Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung begrenzt, vor allem auf die Integration der verschiedenen Versorgungsbereiche innerhalb der Akutmedizin und die dort bestehenden Strukturmängel gerichtet ist. Er verdeutlicht weiterhin, dass integrierte Versorgung nicht die „Inkorporation” der Rehabilitation in die Akutversorgung bedeuten kann. Deshalb wird im Verhältnis von Akutmedizin und Rehabilitation von Kooperation und Vernetzung gesprochen. Entsprechend erläutert er mit Bezugnahme auf das SGB IX auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Versorgungsbereiche und betont besonders die Notwendigkeit, dass die Rehabilitationsträger zukünftig noch stärker trägerübergreifend kooperieren. Darin sieht er zugleich eine Voraussetzung zur Überwindung von Schnittstellen zwischen Krankenbehandlung und Rehabilitation.
Die Koordinatoren des Schwerpunktheftes erhoffen sich von den Beiträgen eine Intensivierung der Diskussion über die Weiterentwicklung der Rehabilitation mit dem Ziel der weiteren Verbesserung der Versorgung von chronisch kranken und behinderten Menschen.
Literatur
- 1 Zwingmann C, Buschmann-Steinhage R, Gerwinn H, Klosterhuis H. Förderschwerpunkt „Rehabilitationswissenschaften”: Ergebnisse - Umsetzung - Erfolge und Perspektiven. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 260-270
- 2 Jäckel W H, Farin E. Qualitätssicherung in der Rehabilitation: Wo stehen wir heute?. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 271-283
- 3 Koch U, Morfeld M. Weiterentwicklungsmöglichkeiten der ambulanten Rehabilitation in Deutschland. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 284-295
- 4 Leistner K, Bublitz T. Geriatrische Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland: Versorgungspolitische und strukturelle Aspekte aus Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Rehabilitation. 2004; 43 (5) 296-303
- 5 Brüggemann S, Korsukéwitz C. Leitlinien in der Rehabilitation: Einschränkung der Therapiefreiheit oder Grundlage für bessere Ergebnisse?. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 304-311
- 6 Haaf H-G, Volke E, Schliehe F. Neue Vergütungs- und Versorgungsformen und ihre Auswirkungen auf die Rehabilitation. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 312-324
- 7 Fuchs H. Medizinische Leistungen zur Rehabilitation und integrierte Versorgung. Rehabilitation. 2004; 43 (5) 325-334
Dr. Ferdinand Schliehe
An der Blankenburg 18
49078 Osnabrück
Email: fam.schliehe@t-online.de
Prof. Dr. Wilfried H. Jäckel
Universitätsklinikum Freiburg · Abt. Qualitätsmanagement und Sozialmedizin
Breisacher Straße 62/Haus 4
79706 Freiburg
Email: wilfried.jaeckel@uniklinik-freiburg.de