Autodestruktive Syndrome sowie delegierte Selbstschädigung finden in den gängigen
diagnostischen Klassifikationssystemen (ICD-10, DSM-IV TR) Berücksichtigung als eigenständige
Kategorie („artifizielle Störung“), als diagnostisches Kriterium einer anderen Störung
(v.a. „emotional instabile Persönlichkeitsstörung“) oder als Zusatzkodierung (Z-Kodierungen
für vorsätzliche Selbstschädigung in der ICD). Die empirischen Erkenntnisse zum Vorkommen
der einzelnen Typen des Störungsspektrums sind bislang recht begrenzt. Ausgewertet
wurde eine Recherche einschlägiger Datenbanken und eine Sichtung der Primärliteratur.
Insgesamt ergab sich eine Fundmenge von 18 empirische Studien. Die Studien wurden
systematisiert nach: Thema, Art des Settings und der Stichprobe, diagnostische Einheit,
Vorliegen von Verlaufs- und soziodemographischen Daten, Art der Selbstschädigung bzw.
der Behandlungsmanipulation, psychosoziale Komorbidität und Angaben zur Prävalenz.
Sämtliche Studien rekurrieren auf ein klinisches Setting. Es finden sich keine Bevölkerungsstichproben.
Im gewichteten Mittelwert über alle Studien ergibt sich eine Prävalenzrate von 0,9%.
Frauen überwiegen in einem Verhältnis von 2:1; das durchschnittliche Alter liegt bei
31,5 Jahren; anders beim Münchhausen-Syndrom: hier findet sich ein umgekehrtes Geschlechterverhältnis
bei einem Durchschnittsalter von 37 Jahren. Verlaufsdaten finden sich nur beschränkt
auf die Anzahl autodestruktiver Handlungen. Es findet sich eine Vielzahl von Co-Diagnosen,
wobei Persönlichkeitsstörungen (65,1%) und Abhängigkeiten bzw. Substanzmissbrauch
(33,8%) für direkt wie indirekt autodestruktives Verhalten charakteristisch zu sein
scheinen. Diskutiert werden klassifikatorische und diagnostische Probleme, die empirische
Untersuchungen erschweren, sowie neueste Ansätze zu Funktionen und therapeutischen
Ansätzen autodestruktiver Syndrome.