Zentralbl Gynakol 2004; 126 - V14
DOI: 10.1055/s-2004-822058

Einflussgrößen und Dimensionen in Bezug auf Zufriedenheit und Erleben in der Geburtshilfe – Eine empirische Zusammenhangsanalyse an Hand einer erweiterten Perinatalerhebung

W Lütje 1, KTM Schneider 2
  • 1AKH Viersen, Viersen
  • 2Abteilung für Perinatalmedizin an der Frauenklinik und Poliklinik Rechts der Isar der Techn. Universität München, München

Im Rahmen einer retrospektiven Befragung einer mittelgroßen Münchner Frauenklinik wurden 251 Frauen im Sinne einer erweiterten Perinatalerhebung zu ihrer Zufriedenheit mit der Geburtshilfe und zu ihrem Geburtserleben befragt. Ziel war es, Dimension (Einflussgrößen) und Faktoren (Bezugsgrößen) für Zufriedenheit und Erleben bei der Geburt zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Im Rahmen einer empirischen Zusammenhangsanalyse sollte herausgefiltert werden, welche Faktoren im Rahmen der klinischen Geburtshilfe für das Geburtserleben bedeutsam sind.

Methode: In der Wochenbettzeit wurde an 251 Frauen im Jahr 2001 ein selbst strukturierter Fragenbogen zur Geburtszufriedenheit sowie die Salmon Item List zur Erfassung des Geburtserlebens in vier Dimensionen (Erfülltheit, Enttäuschtheit, emotionale Adaptation, Schmerz/Erschöpfung) verteilt.

Nach Festlegung von Kriterien für positives und negatives Geburtserleben, wurde dieses mit einzelnen Daten der Perinatalerhebung sowie den Aspekten der Zufriedenheit korreliert und vor dem Hintergrund der Literatur diskutiert.

Ergebnisse: International werden Geburtszufriedenheit und Geburtserleben seit Längerem erforscht. Bei dieser Untersuchung konnten die Ergebnisse von Waldenström und Salmon bestätigt werden, die zunächst herausfanden, dass Zufriedenheit und Erleben multidimensional und multifaktoriell sind. Geburtserleben korreliert sehr stark mit dem Geburtsmodus, der Parität, den Interventionen, dem Ausmaß an Betreuung, Kommunikation und Beteiligung. Trotz höherer Angstlevel haben Mehrgebärende signifikant besseres Geburtserleben. Dies betrifft auch Frauen, die sich von der Hebamme gut betreut fühlten, die eine lange Bondingzeit post partum hatten und die volles Rooming In praktizierten und ihr Kind voll stillten.

Erstaunlicherweise haben der Partner, die Ärzte, die Geburtsvorbereitung und die Periduralanästhesie keinen Einfluss auf das Geburtserleben. Interventionen wirken sich negativ auf das Erleben aus, wobei davon auszugehen ist, dass es eher die Rahmenbedingung, denn der Eingriff selbst ist, der dafür verantwortlich ist.

Schlussfolgerung: Die Arbeit bestätigt im Wesentlichen die Ergebnisse, die in der Literatur beschrieben werden. Bei zunehmenden Interventionen (Wunscheinleitung, Wunschsectio, PDA) ist zu bedenken, dass Frauen sich hierbei umfassende Information und Beteiligung wünschen. Die Bedeutung der PDA wurde bis jetzt überschätzt. Soziale Faktoren, vor allem die Betreuung durch die Hebamme erscheinen wesentliche Voraussetzung für positive Geburtsbewältigung und gutes Geburtserleben zu sein. Die Forderungen der psychosomatisch – orientierten Geburtshilfe wie postpartales Bonding, 24 Std Rooming In sowie die Unterstützung des Stillens werden durch die Ergebnisse dieser Arbeit untermauert

Wünschenswert wäre eine individuelle und psychosomatisch orientierte Betreuung von Frauen schon in der Schwangerschaft durch Arzt, Hebamme und Geburtszentrum. Geburtsvorbereitung in Elternschulen könnte dazu beitragen, die steigende Inzidenz an Geburtstraumatisierungen, Wochenbettdepressionen und Bindungsstörungen zu reduzieren. Möglicherweise hätte ein solches Modell auch Auswirkungen auf die Rate an Frühgeburten. Geburtserleben ist ein entscheidender Faktor für die Persönlichkeitsentwicklung und die Eltern-Kind-Beziehung und sollte vor dem Hintergrund der aktuellen Wunschsectiodiskussion weiter wissenschaftlich erfasst werden. Vor allem deswegen, weil im Kommunikationszeitalter die Anzahl unseriöser und manipulativer Informationsquellen zunimmt.