Handchir Mikrochir Plast Chir 2004; 36(1): 55-57
DOI: 10.1055/s-2004-817900
Kommentar

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar zur Arbeit von A. Falliner: Die Spalthand. Vorschlag einer Klassifikation auf der Basis von 279 Spalthänden

Handchir Mikrochir Plast Chir 2004; 36: 47 - 54Commentary on the Article of A. Falliner: The Cleft Hand. Proposal of a Classification Based on 279 Cleft HandsHandchir Mikrochir Plast Chir 2004; 36: 47 - 54D. Buck-Gramcko
Further Information

Publication History

Eingang des Manuskriptes: 11. Februar 2004

Angenommen: 11. Februar 2004

Publication Date:
13 April 2004 (online)

Preview

Der Vorschlag einer neuen Klassifikation setzt voraus, dass die Unzulänglichkeiten oder Schwachpunkte aller oder der am meisten gebrauchten bisherigen Einteilungen diskutiert werden. Der Autor der vorangehenden Arbeit hat dieses unterlassen mit der Begründung, dass als Grundlage für die früheren Klassifikationen immer nur eine geringe Anzahl von Spalthänden zur Verfügung gestanden hätten. Er selbst kann seinen Vorschlag auf die beachtliche Zahl von 54 Spalthänden des eigenen Krankengutes und von 225 aus der Literatur gesammelten Spalthänden stützen. An anderen Klassifikationen wird lediglich diejenige von Blauth und Schneider-Sickert (1976) [[6]] erwähnt, in der ein medianer und ein medioradialer Typ beschrieben und die anderen möglichen Formen in teratologischen Reihen aufgezeigt werden.

Die bekannteste frühere Einteilung in typische und atypische Spalthände geht auf Max Lange (1937) [[12]] zurück und wurde vor allem durch die Arbeiten von Birch-Jensen (1949) [[3]] und Barsky (1958 und 1964) [[1], [2]] verbreitet. Auch Temtamy und McKusick (1978) [[26]] halten noch daran fest, obwohl aufgrund der Veröffentlichungen von Pol (1921) [[22]], Müller (1937) [[18]] sowie Blauth und Gekeler (1971) [[5]] erkannt worden war, dass die atypische Spalthand der Symbrachydaktylie zuzuordnen ist. Es bedurfte vieler Jahre, bis diese Tatsache Eingang in das angloamerikanische Schrifttum fand (Miura 1976 und 1984, Buck-Gramcko 1985) [[7], [16], [17]]. Im deutschsprachigen Raum benutzten viele Autoren, wie Müller (1937) [[18]], Birch-Jensen (1949) [[3]], Werthemann (1952) [[29]], Grebe (1958) [[10]], bis hin zu Blauth und Schneider-Sickert (1976) [[6]] für die echte Spalthand die Einteilung in eine Form mit keilförmigem zentralen Defekt und in eine Form mit radialem Defekt. Eine weitere Klassifikation in Spalthände mit knöchernen Defekten, Spalthände mit Synostosen und solche mit beiden Veränderungen wurde 1986 von Blauth und Falliner [[4]] veröffentlicht. Darüber hinaus wurden in etlichen Arbeiten anstelle einer definitiven Einteilung Entwicklung und Fortschreiten der Deformität als teratologische Reihe dargestellt, obwohl dieser Ausdruck zunächst noch nicht gebräuchlich war; hierzu zählen bereits 1908 Lewis und Embleton [[13]] und später 1937 Müller [[18]], 1938 Ströer [[24]] sowie 1970 Maisels [[14]]. In allen derartigen Reihen wird übereinstimmend festgehalten, dass das Fortschreiten der Reduktion bei der Spalthand von radial nach ulnar erfolgt, so dass bei der monodaktylen Form der Kleinfinger und niemals der Daumen erhalten ist.

Die große Vielfalt der Spalthandformen lässt sich kaum in einer Klassifikation erschöpfend unterbringen. So weisen alle nachfolgend erwähnten Einteilungsversuche Unzulänglichkeiten und Unvollständigkeiten auf. Egawa und Mitarb. (1978) [[8]] machen die Einteilung nicht nur vom Fehlen der Fingerstrahlen und Verhalten der Mittelhandknochen, sondern auch von den Veränderungen der Sehnen abhängig; sie lässt sich daher nur bei operativ behandelten Händen anwenden. Saito und Mitarb. (1978, zitiert bei Ogino [[21]]) teilen die Spalthände je nach dem Fehlen von Fingern ein, ähnlich wie Watari und Tsuge (1979) [[28]] sowie Ogino (1990) [[20]]. Ebenso gehen Nutt und Flatt (1981) [[19]] vor, wobei sie jedoch noch Untergruppen je nach Vorhandensein der Knochen in der Längsrichtung des Fingerstrahles hinzufügen. Ähnlich gehen Tada und Mitarb. (1981) [[25]] sowie Glicenstein und Mitarb. (1985) [[11]] vor, die auch noch begleitende Syndaktylie und Polydaktylie berücksichtigen, während Sandzén (1985) [[23]] wieder die zur Symbrachydaktylie gehörende atypische Form einbezieht. Einen ganz anderen Weg beschreiten Manske und Halikis (1994) [[15]], indem sie fünf Typen in Abhängigkeit von der ersten Zwischenfingerfalte aufstellen, wobei die ulnaren Handanteile unberücksichtigt bleiben.

Die vielen unterschiedlichen Formen der Spalthand lassen bei keiner dieser Klassifikationen eine Zuordnung der einzelnen Gruppen zur erforderlichen operativen Behandlung mit allen notwendigen Maßnahmen zu. Dieses gilt um so mehr, als keine Einteilung die schwierig zu behandelnden Mittelgelenkdeformitäten berücksichtigt sowie zusätzliche Knochenveränderungen wie Transversal- und Delta-Knochen.

Die von Falliner jetzt vorgeschlagene Klassifikation basiert auf der Lokalisation des Spaltes und erweitert die relativ grobe Einteilung nur in mediane und medioradiale Spalthände, die seit Müllers Beschreibung im Jahre 1937 immer wieder benutzt wurde. Obwohl Blauth und Schneider-Sickert [[6]] sie noch 1976 auch verwenden, scheinen sie damit nicht zufrieden gewesen zu sein, da Blauth bereits zehn Jahre später eine andere, mehr auf der Morphologie aufbauende Einteilung veröffentlicht hat [[4]]. Der daran beteiligte Autor der jetzigen Arbeit erwähnt diesen umfangreichen Versuch einer weiteren Klassifikation überhaupt nicht, möglicherweise weil darin die Spaltlokalisation eine untergeordnete Rolle spielt. Dagegen bleibt jetzt die Morphologie (Synostosen) unberücksichtigt.

Alle diese Erwägungen lassen erkennen, dass es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich ist, alle Gesichtspunkte der Spalthand in einem Klassifikationsschema unterzubringen. Hinzu kommt noch, dass sich praktische Konsequenzen, nämlich eine jeder einzelnen Einteilungsgruppe zuzuordnende operative Behandlung, nicht ergeben.

Hätte der Autor sich mit den ersten vier Gruppen begnügt, wäre hiermit an Kommentar alles gesagt. Unverständlicherweise hat er jedoch noch einen fünften Typ aufgestellt, bei dem nur ein Daumen erhalten ist. Eine solche monodaktyle Deformität als Spalthand zu bezeichnen, widerspricht allen Ansichten und Erfahrungen. Diese Gruppe stützt sich auf eine einzige Hand, die von Ogino sowohl 1990 als auch 1994 [[20], [21]] veröffentlicht worden ist. Falliner erwähnt, dass weitere ulnare Spalthände im Schrifttum nicht publiziert seien. Dieses konnte von mir bei der Durchsicht einiger weiterer Dutzende von abgebildeten Spalthänden in der von Falliner nicht eingesehenen Literatur bestätigt werden. Er selbst schreibt, dass es sich dabei auch um eine Symbrachydaktylie handeln könnte und dass weitere Informationen über Veränderungen der anderen Hand oder der Füße hilfreich wären. Offenbar hat er nicht mit Ogino Kontakt aufgenommen, was ich jetzt nachgeholt habe. Ogino schrieb zurück, dass er die Einstufung als Spalthand vorgenommen habe, da die andere Hand, die in der Arbeit von 1994 [[21]] daneben dargestellt ist, eine Hummerscherenhand sei; er sei jetzt aber nicht mehr sicher, ob diese Monodaktylie wirklich eine schwere Form der Spalthand sei. Auch Blauth antwortete auf meine Anfrage, dass er Zweifel habe und dass selbst bei gleichzeitig bestehenden Spaltfüßen die Zuordnung sehr spekulativ sei.

Wenn auch letztlich die Einordnung dieser einzigen Hand ungeklärt bleiben mag, so besteht als entscheidendes Argument gegen eine Eingruppierung als Spalthand die Tatsache, dass ausgehend vom zunächst medianen Defekt das Fortschreiten der Reduktion (das heißt der Schwere der Fehlbildung) bei der Spalthand nach radial erfolgt. Beim monodaktylen Typ kann daher nur der Kleinfinger erhalten sein, während es bei der Symbrachydaktylie der Daumen ist, da hier die Reduktion nach ulnar erfolgt. Hierauf haben bereits 1908 Lewis und Embleton [[13]] hingewiesen; eindrucksvoll und einprägsam sind auch die zeichnerischen Darstellungen von Müller (1937) [[18]] und Maisels (1970) [[14]]. In allen Arbeiten, die sich mit diesem Aspekt beschäftigten, wird dieser Vorgang erwähnt; zusätzlich zu den bereits erwähnten Veröffentlichungen seien nur noch diejenigen von Walker und Clodius (1963) [[27]] sowie von Flatt (1994) [[9]] erwähnt.

Es ist auch eine Frage der wissenschaftlichen Korrektheit, ob es zulässig ist, eine Gruppe einer Klassifikation auf einer einzigen Beschreibung aufzubauen, die auch noch unsicher in ihrer Deutung ist und im Gegensatz zu allen anderen Veröffentlichungen steht. Es fehlen alle Argumente für einen derartigen Vorschlag, dessen Akzeptanz und Verbreitung dadurch unwahrscheinlich wird.

Literatur

Prof. Dr. med. Dieter Buck-Gramcko

Am Heesen 14 A

21033 Hamburg