Gesundheitswesen 2004; 66(12): 821-826
DOI: 10.1055/s-2004-813843
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfassung von Risikogruppen durch den ÖGD und Umsetzung der Prävention[*]

Assessment of Health-Risk Groups by the German Public Health Service and Realisation of Preventive MeasuresR. H. Hennighausen1
  • 1Gesundheitsamt des Landkreises Goslar
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Publication Date:
17 December 2004 (online)

Zusammenfassung

Das Erkennen von versteckten gesundheitlichen Risiken und der dazu gehörigen Risikogruppen ist eine Kernaufgabe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Nach Erkennung, Bewertung und Gewichtung des Risikos und Abgrenzung der Risikogruppe muss der ÖGD zusammen mit den zuständigen Behörden und der Gesellschaft das Problembewusstsein schärfen sowie Hilfs-, Schutz- und Fürsorgekonzepte erarbeiten. Für die umweltmedizinisch relevanten Schadstoffbelastungen heißt dies, dass ein Schutz von Risikogruppen auf der Grundlage der Bewertung der Durchschnittsbelastung und auch der 90er-Perzentile nicht ausreichend ist, sondern Konzepte und Handlungsstrategien gefunden werden müssen, die auch den Schutz der am höchsten belasteten 10 % der Bevölkerung mit einschließen.

Die Bewertung von montangeschichtlich entstandenen Schwermetallbelastungen in der ehemaligen Bergwerks- und Hüttenregion Harz ist eine sehr wichtige Aufgabe der Gesundheitsämter in der Harzregion. Während früher der Schutz der hüttennahwohnenden Bevölkerung vor luftbürtigen Blei- und Kadmium-Immissionen im Vordergrund stand, ist heute das Risiko durch die großflächigen Schwermetallbelastungen des Bodens abzuschätzen. Die Gruppe der Kleinkinder mit ihrem „Pica-Verhalten”, dem Hand zum Mundkontakt, stellt dabei die gefährdete Gruppe dar. Es war deshalb die erste Aufgabe bei der Umsetzung der Bodenschutzverordnung, Richt- und Grenzwerte für Schwermetalle und Arsen im Boden von Kinderspielplätzen festzulegen und diese Vorgaben dann konsequent zu verwirklichen. Über die dabei in Goslar gemachten Erfahrungen wird berichtet.

Abstract

Recognising concealed health risks and pertaining high-risk groups is a cardianl task of the Public Health Services. As far as relevant environmental pollutions concerned protection of high-risk groups on the basis of appreciation of the average load and also of the 90th-percentile is insufficient. Public health strategies must be found which also include protection of the most highly exposed 10 % of the population.

More than thousand years of mining and metallurgical engineering in the Harz mountains is the reason why heavy metal contamination in soil and air by arsenic, cadmium and lead is a problem in parts of the Harz region. Small children playing in soil with their “Pica-behaviour”, hand to mouth contact, to the most endangered group. Therefore it was the duty of the District Community Physician to declare limit values for heavy metals and arsenic in the soil of child playgrounds. Experiences in Goslar/Harz region are reported.

01 Herrn Ltd. Medizinaldirektor i. R. Dr. Robert Schneider, Schwalmstadt-Ziegenhain, zum 80. Geburtstag gewidmet.

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01 Herrn Ltd. Medizinaldirektor i. R. Dr. Robert Schneider, Schwalmstadt-Ziegenhain, zum 80. Geburtstag gewidmet.

Dr. Rolf H. Hennighausen

Ltd. Medizinaldirektor, Gesundheitsamt des Landkreises Goslar

Heinrich-Pieper-Str. 9

38640 Goslar

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