Einleitung:
Patienten, die ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) erleiden, weisen sehr häufig begleitende Frakturen an der Schädelbasis auf. Insbesondere bei Verletzungen, die von latero-basal nach zentral ausstrahlen, zeigt sich im hochauflösenden CT der Schädelbasis nicht selten eine Beteiligung des knöchernen Karotiskanals [3]. Das Ausmaß einer tatsächlichen Gefäßverletzung lässt sich allerdings nur durch eine digitale Subtraktions-Angiographie (DSA) beurteilen [1,4,6].
Wir wurden auf diese Problematik durch einen Patienten aufmerksam, der sich aufgrund eines Sturzes ein leichtes SHT und eine Fraktur der Schädelbasis zuzog, die den Karotiskanal beteiligte. Diese Verletzung wurde zwar unmittelbar nach dem Unfallereignis mittels Computertomographie dokumentiert, blieb jedoch in Anbetracht weiterer schwerer Verletzungen und fehlender klinischer Symptomatik zunächst unbehandelt. Erst als der Patient 8 Wochen später mit massiver, lebensbedrohender Epistaxis erneut in unsere Behandlung kam, fand sich in der daraufhin veranlassten DSA ein großes Aneurysma spurium der Arteria carotis interna (ACI) in der Keilbeinhöhle [2]. Seither wird in unserer Klinik jeder Patient mit einer derartigen Verletzung einer DSA zugeführt.
Material und Methoden:
Zwischen 1995 und 2002 behandelten wir 684 Patienten mit einem mittelschweren oder schweren SHT. Bei allen Patienten wurde ein Schädel-CT (CCT) durchgeführt, um das Ausmaß der cerebralen Verletzungen beurteilen zu können. Fielen dabei direkte oder indirekte Frakturzeichen auf wurde ein hochauflösendes CT der knöchernen Schädelbasis je nach klinischer Situation entweder sofort oder nach Stabilisierung der oft schwerverletzten Patienten veranlasst. Wenn sich in der Bildgebung eine Beteiligung der knöchernen Begrenzung des Canalis caroticus zeigte wurde bei fehlender Kontraindikation eine DSA durchgeführt, die, als Goldstandard für die Beurteilung von Gefäßverletzungen, eine Läsion der ACI ausschließen sollte [1,4,6].
Ergebnisse:
Im Zeitraum zwischen 1995 und 2002 behandelten wir 684 Patienten mit einem SHT, von denen 4,82% (n=33, davon 25 männlich, 8 weiblich, Durchschnittsalter 35,3 Jahre) eine Fraktur der Schädelbasis aufwiesen, die den knöchernen Karotiskanal beteiligte. Alle 33 Patienten wurden einer cerebralen DSA unterzogen. Bei 61% (n=20) fand sich keine Gefäßverletzung. 21% (n=7) zeigten in der Angiographie eine traumatische Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel (TCCF). In 18% (n=6) fielen entweder Pseudoaneurysmata (PA) und/oder Gefäßdissektionen (GD) auf.
Auf die Gesamtzahl der an einem SHT behandelten Patienten bedeutet dies eine Gefäßbeteiligung bei insgesamt 1,90% (n=13), eine TCCF trat in 1,02% (n=7) auf und ein PA oder eine GD in 0,88% (n=6).
Therapeutische Konsequenzen ergaben sich aus der Angiographie zufällig auch in 6 Fällen, also ebenso bei 0,88% aller Patienten.
Schlussfolgerungen:
Im Bereich ihrer Durchtrittsstelle an der knöchernen Schädelbasis hat die ACI enge topographische Beziehungen zur Felsenbeinspitze, lateralen Kelbeinhöhlenwand und somit zum Sinus cavernosus. Bei Verletzungen der ACI durch Beteiligung des ihres knöchernen Kanals bei Frakturen der zentro-lateralen Schädelbasis besteht die Gefahr, dass Aneurysmata entstehen, die in die Keilbeinhöhle rupturieren oder sich in Form einer TCCF in den Sinus cavernosus entwickeln [4,5]. Ein weiteres Risiko ist eine Gefäßdissektion durch eine Intimaläsion, die bis zum Gefäßverschluss führen kann. Diese Verletzungsmöglichkeiten bergen ein hohes Risiko für den Patienten (Blutung, Ischämie, Visusverlust) und rechtfertigen eine subtile Diagnostik [2].
In unserem Patientengut liegt der Anteil der schweren Gefäßverletzungen, die im Rahmen einer DSA festgestellt wurden, bei 39% der angiographierten Patienten bzw. bei 1,90% aller Patienten mit einem SHT. Besonders auffällig ist die Anzahl der TCCF in unserer Studie: mit 1,02% (n=684, entspr. 18% bei n=33) entspricht dies ca. dem 5-fachen der Literaturangaben (0,2%) [1].
Die Therapiemöglichkeiten sind je nach Ausmaß der Verletzung vielfältig und erstrecken sich von der Antikoagulation über die minimal invasiven Möglichkeiten der modernen Neuroradiologie (Embolisierung, Coiling, permanenter Gefäßverschluss mit Ballons) bis hin zu operativen Maßnahmen [5,6]. Wichtig ist die rechtzeitige Einleitung einer entsprechenden Therapie zur Vermeidung von Notfallsituationen [2].
Wir führen deshalb unter Beachtung der Kontraindikationen und der klinischen Situation der meist Schwerverletzten bei allen Patienten mit einer Schädelbasisfraktur, die den knöchernen Karotiskanals beteiligt, eine zerebrale DSA durch, um gravierende Gefäßverletzungen rechtzeitig zu erkennen und zu versorgen.
Literatur:
1. Van Dellen JR. Intracavernous traumatic aneurysms. Surg Neurol. 1980 Mar; 13(3): 203–7.
2. Millman B, Giddings NA. Traumatic carotid-cavernous sinus fistula with delayed epistaxis. Ear Nose Throat J. 1994 Jun; 73(6): 408–11.
3. Nocini P, Lo Muzio L, Cortelazzi R, Barbaglio A. Cavernous sinus-carotid fistula: a complication of maxillofacial injury. Int J Oral Maxillofac Surg. 1995 Aug; 24(4): 276–8.
4. Bavinzski G, Killer M, Knosp E, Ferraz-Leite H, Gruber A, Richling B. False aneurysms of the intracavernous carotid artery-report of 7 cases. Acta Neurochir (Wien) 1997; 139(1): 37–43.
5. Huang J, Gong X, Huang Y. Carotid cavernous fistula (report of 14 cases). Lin Chuang Er Bi Yan Hou Ke Za Zhi 1997 Aug; 11(8): 343–5.
6. Hmamouchi B, Rakaa A, Alhyene I, Bouderka MA, Abassi O. Post-traumatic carotid-cavernous fistula. Ann Fr Anesth Reanim 2001 May; 20(5): 494–7.