Laryngorhinootologie 2003; 82 - 11
DOI: 10.1055/s-2003-818887

Entzündliche Komplikationen des Spatium parapharyngeale

C Motsch 1, B Freigang 1
  • 1Univ.-HNO-Klinik, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg

Einleitung:

Obwohl die Inzidenz der tiefen Halsinfektionen seit der antibiotischen Ära deutlich abgenommen hat, werden parapharyngeale Abszesse und Phlegmonen auch heute noch diagnostiziert und stellen wegen ihrer vitalen Risiken stets Notfallsituationen dar. Aufgrund der topographischen Nähe der Tonsillen zum Parapharyngealraum sind deren entzündliche Erkrankungen als Ursache dieser lebensbedrohlichen Komplikationen prädestiniert. Der Parapharyngealraum breitet sich seitlich vom Pharynx aus. Kranial hat er Verbindung zur Fossa infratemporalis, medial zum retropharyngealen Spalt und kaudal zum Mediastinum. Die Blätter der Halsfaszie, die die Muskeln, Eingeweide und Gefäßnervenstraße umhüllen, stellen als Gleitspalten den natürlichen Weg für die Infektionsausbreitung per continuitatem dar. Bereits 1925 nahm Uffenorde in seiner Monographie „Die Verwicklungen der akuten Halsentzündung unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung des Spatium parapharyngeum“ ausführlich zu dieser Problematik Stellung (1).

Patientengut und Ergebnisse:

Von 1993 bis 2003 wurden an der Univ.-HNO-Klinik Magdeburg bei 80 Patienten parapharyngeale Abszesse oder Phlegmonen diagnostiziert und therapiert. Das mediane Alter betrug 46 Jahre. Es widerspiegelte in dieser Patientengruppe jedoch nur unzureichend die Altersverteilung. Während man in den übrigen Dekaden eine zahlenmäßige Gleichverteilung erkennen konnte, zeigten sich im 2. Lebensdezennium mit 17% und im 7. Lebensdezennium mit 24% deutliche Gipfel. Die älteren Patienten litten in der Regel an Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus). Bei 124 Patienten, die im gleichen Zeitraum wegen eines Peritonsillarabszesses abszesstonsillektomiert wurden, war das Maximum mit 37% eindeutig zwischen dem 11. und 20. Lebensjahr zu verzeichnen (Durchschnittsalter 31 Jahre). Eine geschlechtsspezifische Präferenz ließ sich in beiden Gruppen nicht erkennen. Das Spektrum der klinischen Symptome umfasste beim Parapharyngealabszess: starke Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens; hohes, oft septisches Fieber; Schonhaltung des Kopfes; Dysphagie bis Aphagie; Nahrungsverweigerung wegen Odynophagie; Kieferklemme; Schmerzen im gesamten Halsbereich; zunehmender inspiratorischer Stridor. Mindestens drei Symptome aus dieser Palette waren bei jedem Patienten nachweisbar. Paraklinisch fielen eine Leukozytose sowie eine CRP-Erhöhung auf das 60- bis 100-fache des Normalen auf. Zur Diagnosesicherung erfolgte neben der Ultraschalluntersuchung des Halses ein Computertomogramm des Pharynx, der Halsweichteile sowie des Thorax, um die Ausdehnung der Abszedierung festzustellen und eine Fortleitung der Infektion über die Faszienlogen ins Mediastinum auszuschließen bzw zu bestätigen.

Das computertomographische Bild war variantenreich, es reichte von umschriebenen hypodensen Arealen bis zur diffusen Weichgewebsvermehrung mit Gaseinschlüssen. Alle Patienten wurden operiert.

Die im Rahmen dieser Arbeit erfassten Patienten mit einem Peritonsillarabszess wurden abszesstonsillektomiert. Die chirurgische Therapie beim Parapharyngealabszess erfolgte über breite transorale Inzisionen mit Tonsillektomie sowie über breite Inzisionen über den externen zervikalen Zugang mit Einlage mehrerer dicklumiger Spül-Saug-Drainagen. Das Vollbild der Erkrankung zeigte sich in einer nekrotisierenden Faszitis der Halsweichteile. Alle Faszienlogen des Halses mussten dabei vom Parapharyngealraum bis zum Jugulum eröffnet werden. Bei im Computertomogramm nachweisbarer mediastinaler Beteiligung wurde das Mediastinum über eine kollare Mediastinotomie drainiert.

Da die Überzahl der Patienten sich in einem vital gefährdeten Zustand befand und polymikrobielle Infektionen sowohl mit aeroben als auch mit anaeroben Keimen vermutet wurden, wurden als empirische Anfangstherapie Antibiotika mit sehr breitem Spektrum bevorzugt (Imipenem bzw. Kombination von Cefotaxim und Metronidazol). Aus den intraoperativ entnommenen Wundabstrichen wurden folgende Keime isoliert: Staphylokokken (Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis), Streptokokken, Enterobacter cloacae, Anaerobier (Bacteroides oralis), Peptostreptokokken. Eine Initialantibiose mit Imipenem war gerechtfertigt, da der häufig auftretende Enterobacter gegen Breitband-Penicilline oder Drittgenerations-Cephalosporine als Monotherapie eine schlechte Empfindlichkeit zeigt. Bei fehlender Übereinstimmung von gewähltem Antibiotikum und Erregerempfindlichkeit wurde im weiteren Verlauf eine Korrektur entsprechend dem Resistogramm vorgenommen. Unter intensivmedizinischer Betreuung, z.T. prolongierte Beatmung und Tracheotomie, heilte die Erkrankung bei allen Patienten aus.

Schlussfolgerungen:

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die entzündlichen Komplikationen ausgehend von einer Angina tonsillaris in den vergangenen 10 Jahren zugenommen haben. Im eigenen Patientengut blieben die Patienten unberücksichtigt, bei denen der Peritonsillarabszess primär durch Inzision entlastet wurde. Es ist zu vermuten, dass die Abszesstonsillektomie auch aus Patientenkomfortgründen häufiger ausgeführt wird.

Metz und Mitarbeiter berichteten in einer aktuellen Studie innerhalb von 1991 bis 2001 über eine Verdreifachung der Peritonsillarabszesse (2). Unser zahlenmäßig umfangreiches Patientengut belegt, dass es das Krankheitsbild des Parapharyngealabszesses mit steigender Tendenz gibt. Eine regionale Resistenzentwicklung einiger als bisher streptokokken- und staphylokokkenwirksamer Antibiotika muss als Ursache in die Diskussion einbezogen werden. Fischer und Arweiler konnten bei 122 Patienten mit einem Peri- bzw. Retrotonsillarabszess das gehäufte Auftreten einer Mischflora bestätigen. Auch Sie konnten vorwiegend bei älteren Patienten eine bisher nicht bekannte Zunahme mit Enterobacteriaceae nachweisen (3). Eine adäquate systemische Antibiose muss die im Vordergrund stehende chirurgische Therapie ergänzen (4–6).

Literatur:

Uffenorde W. Die Verwicklungen der akuten Halsentzündung unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung des Spatium parapharyngeum. Curt Kabitzsch Leipzig 1925.

Metz T, Helms J, Hoppe F. Epidemiologie des Peritonsillarabszeß. HNO-Informationen 2/2003:155.

Fischer M, Arweiler D. Erregerspektrum und Antibiotikaresistenz bei Peritonsillarabszeß. HNO 1996; 44:68–72.

Briner HR. Verhindert eine antibiotische Therapie die Entstehung von Peritonsillarabszessen? Schweiz Med Wochenschr 2000; 130:14–16.

Constantinidis J, Steinhart H, Zenk J, Iro H. Die Problematik der Behandlung tiefer Halsinfektionen. Laryngo-Rhino-Otol 1998; 77:551–556.

Sethi DS, Stanley RE. Deep neck abscesses – changing trends. Journal of Laryngology and Otology 1994; 108:138–143.

Abb. 1: Häufigkeit von Peritonsillar- und Parapharyngealabszessen 1993–2003