Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 161
DOI: 10.1055/s-2003-816564

Beteiligung von Langzeitpotenzierungs-ähnlicher neuronaler Plastizität beim motorischen Lernen des Menschen: eine TMS-Studie

M Wycislo 1, J Claßen 1
  • 1Würzburg

In der vorliegenden Studie wandten wir ein TMS-gestütztes Modell menschlicher assoziativer Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression an und untersuchten damit die Modifizierbarkeit der Exzitabilität des Motorkortex nach einer motorischen Lernaufgabe. Die Probanden wurden aufgefordert, nach einem Metronomtakt brüske, isometrische Abduktionsbewegungen des rechten Daumens mit einer Kraft innerhalb eines individuell angepassten Ziel-Kraftfensters durchzuführen. Eine sogenannte assoziative Paarstimulation (PAS) wurde durchgeführt, indem repetitiv (0,1Hz, 90 Doppelimpulse) eine elektrische Reizung des rechten N. medianus mit einer nachfolgenden transkraniellen Magnetstimulation über dem linken Motorkortex kombiniert wurde. Als Interstimulusintervall zwischen elektrischem Reiz und Magnetreiz wurden 25 ms (PAS25) oder 10 ms (PAS10) gewählt. Langzeitpotenzierungs- bzw. Langzeitdepressions-artige Plastizität (induziert durch PAS25 bzw. PAS10) wurden bei jedem Probanden vor dem motorischen Lernen evaluiert, indem die Veränderbarkeit der Exzitabilität des Motorkortex durch beide PAS-Paradigmen getrennt untersucht wurde. Einzelne TMS-Reize wurden eingesetzt, um motorisch evozierte Potenziale im rechten M. abductor pollicis brevis zu erhalten. Die mittlere Amplitude von 20 motorisch evozierten Potenzialen wurde vor und nach der PAS-Doppelstimulation an Tag 1 und Tag 2 in zwei Versuchsgruppen A (n=5) und B (n=6) gemessen. Im naiven Zustand (Tag 1 und 2) zeigten sich Langzeitpotenzierungs- und Langzeitdepressions-artige Plastizität ähnlich in beiden Gruppen (A: PAS10: -20,3±3,8%; PAS25: 21,1±6,9%, B: PAS10: -16,0±3,3%; PAS25: 24,5±11,1%.). Analog unterschieden sich weder der motorische Lernerfolg noch die Amplitudenvergrößerung der durch Einzel-TMS-Reize induzierten motorisch evozierten Potenziale (A: 32,1±19,2%; B: 39,0±17,2%) signifikant zwischen beiden Gruppen. Im Anschluss an das motorische Lernen am Tag 3 konnte mit dem PAS25-Paradigma keine Langzeitpotenzierungs-artige Plastizität mehr induziert werden (A: Anstieg: –5,3±11,2%; p<0,05), während die Langzeitdepressionsartige Plastizität in ihrem Ausmaß ähnlich war wie vor dem Training (B: Abnahme –19,3±9,7%; n.s.). Diese Daten legen nahe, dass Langzeitpotenzierungs-artige Plastizität im Motorkortex durch motorisches Lernen gesättigt worden war. Da der Umfang der Langzeitdepressions-artigen Plastizität unverändert blieb, war die Effizienz des Langzeitdepressions-induzierenden PAS10-Paradigmas möglicherweise submaximal. Insgesamt sind diese Ergebnisse vereinbar mit einer bedeutenden Rolle von Langzeitpotenzierung beim motorischem Lernen des Menschen, während die Möglichkeit offen bleibt, dass andere Mechanismen beteiligt sind.