Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 155
DOI: 10.1055/s-2003-816558

Visuell-räumliche Aufmerksamkeit in der vertikalen Dimension

M Wienemann 1, N Dambeck 1, J Weidemann 1, I Meister 1, R Töpper 1, B Boroojerdi 1
  • 1Aachen

Aus Läsionsstudien an Patienten mit visuellem Neglect entwickelte sich die Vorstellung von einem multidirektionalen Aufmerksamkeitssystem beim Menschen mit Repräsentation des unteren und nahen Raumbereichs im posterioren parietalen Kortex und des oberen und fernen Raumes im temporo-okzipitalen Kortex. Eine PET-Studie zeigte eine solche Dissoziation für den nahen und fernen Raum bei gesunden Probanden. Bei einer horizontalen Linienhalbierungsaufgabe konnten Bjoertomt und Mitarb. mit rTMS über dem parietalen und ventralen okzipitalen Kortex einen selektiven, temporären Neglect für den Nah- bzw. Fernbereich erzeugen. Das Ziel unserer Studie war es, die Rolle des linken und rechten posterioren parietalen Kortex sowie des ventro-okzipitalen Kortex für die visuell-räumliche Aufmerksamkeit in der vertikalen Dimension zu untersuchen. Zehn gesunde Rechtshänder sollten beurteilen, ob die Segmente einer für 150 ms präsentierten, vorgeteilten vertikalen Linie gleich lang oder ob das obere bzw. untere Segment länger sei. rTMS-Salven (10Hz, 5 Pulse, Intensität 60%, Magstim-Stimulator), die mit dem Beginn der Linienpräsentation einsetzten, wurden über P3, P4 bzw. dem ventralen okzipitalen Kortex mit einer fokalen Spule appliziert. Gemessen wurden die Fehlerraten und Reaktionszeiten bei kortikaler und sham-Stimulation. Zum Ausschluss motorischer und primär-sensorischer Effekte der TMS wurden in Kontrollexperimenten die einfache Reaktionszeit (ohne Linienbeurteilung) und die Detektion der Verlängerungsstücke der Linien untersucht. Während die Stimulation über P3 zu einer Verlängerung der Reaktionszeit um 8,97% (±2,11% SE; p=0,0009) führte, hatte die Stimulation über P4 eine Beschleunigung um 7,84% (±1,86% SE; p=0,0002) zur Folge. Die TMS über P3 und P4 führte jedoch nicht zu gerichteten Effekten, da sich die Reaktionszeiten sowohl bei nach unten, als auch bei nach oben verlängerten Linien veränderten. Die Reaktionszeit bei ventro-okzipitaler Stimulation und die Fehlerraten bei allen drei Orten waren unverändert. Unsere Ergebnisse sprechen für eine Rolle des linken posterioren parietalen Kortex bei der visuell-räumlichen Aufmerksamkeit in der vertikalen Dimension. Die bei P4 beobachtete Beschleunigung ist vereinbar mit der Hemispheric-rivalry-Theorie im Sinne einer Disinhibition.