Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 135
DOI: 10.1055/s-2003-816538

Durch Worte evozierte Hirnaktivität: Unterschiede zwischen Sprachen

W Skrandies 1, MJ Chiu 1, YR Lin 1
  • 1Gießen, Taipei

Wir untersuchten, ob und wie sich die Bedeutung von Worten in der evozierten Hirnaktivität widerspiegelt, und ob es sprachspezifische Unterschiede von Wortbedeutung und ereigniskorrelierten Potenzialen gibt. Die affektive Bedeutung von einzelnen Worten wurde bei 52 gesunden deutschen und 55 chinesischen Probanden mithilfe des „Semantischen Differenzials“ quantifiziert. Diese Methode erlaubt, einzelne Worte auf den Skalen „Evaluation“, „Stärke“ und „Aktivität“ eindeutig zu lokalisieren. Sowohl in der deutschen als auch in der chinesischen Gruppe fanden wir sehr ähnliche Faktoren (Korrelationen zwischen 0,83 und 0,92). Dies zeigt, dass das „Semantische Differenzial“ allgemeingültig und von der Sprache unabhängig ist. In elektrophysiologischen Experimenten wurde das EEG in 32 Kanälen registriert (22 deutsche, 23 chinesische Probanden), während einzelne Worte mit eindeutiger Ausprägung in jeweils einer der Bedeutungsdimensionen in zufälliger Reihenfolge auf einem Bildschirm dargeboten wurden. Physikalische Eigenschaften (Größe, Leuchtdichte, Kontrast, Wortlänge) und die Auftretenswahrscheinlichkeit von Worten verschiedener Klassen waren vergleichbar. Die Aufgabe der Versuchsperson war, das Wort zu lesen, es sich vorzustellen und im Gedächtnis zu behalten. Anschließend wurde das EEG für die verschiedenen semantischen Klassen gemittelt. Komponenten dieser Potenziale wurden bestimmt und zwischen Bedeutungsdimensionen und Probandengruppen verglichen. In beiden Gruppen fanden wir zwischen den semantischen Klassen signifikante Unterschiede in Hinsicht auf Latenz, Feldstärke und Topographie. Die Effekte waren nicht auf späte, „kognitive“ Komponenten beschränkt, sondern traten bei beiden Gruppen bereits 100 ms nach der Darbietung der Worte auf. Trotz Ähnlichkeiten von frühen und späten sprachspezifischen Effekten waren diese nicht identisch, sondern bei den deutschen und chinesischen Probanden unterschiedlich. Das Auftreten von sehr frühen hirnelektrischen Korrelaten von Wortbedeutung deutet zwar auf allgemeingültige neurophysiologische Prozesse hin, die individuellen kortikalen Aktivierungsmuster sind jedoch offenbar von Sprache und Kultur abhängig.