Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 113
DOI: 10.1055/s-2003-816516

Dynamische zerebrale Autoregulationsfähigkeit und Kollateralversorgungsmuster bei hochgradiger Stenose oder Verschluss der A. carotis interna

M Reinhard 1, T Müller 1, B Guschlbauer 1, J Timmer 1, A Hetzel 1
  • 1Freiburg

Die Güte der Kollateralversorgung bei hochgradiger Stenose der A. carotis interna ist von eminenter Bedeutung für die resultierende hämodynamische Beeinträchtigung im nachgeschalteten Stromgebiet. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Kollateralversorgungsmustern und der tatsächlichen Einschränkung der zerebralen Autoregulationsfähigkeit wurde bislang noch nicht untersucht. Die dynamische zerebrale Autoregulationsfähigkeit wurde nicht-invasiv mittels Phasenverschiebung (Parameter der Kreuzspektralanalyse) zwischen ateminduzierten 0,1Hz Oszillationen des arteriellen Blutdruckes und der dopplersonographisch erfassten Blutflussgeschwindigkeit in der A. cerebri media beidseits bei 101 Patienten mit >75%iger Stenose oder Verschluss der A. carotis interna erfasst. Zusätzlich wurde die CO2-Reaktivität durch Inhalation eines 7%igen CO2-Gemisches erfasst. Die Kollateralversorung wurde mittels transkranieller Doppler-/Duplexsonographie erfasst. Als Kollateralfluss Typ I wurde die spontane Aktivierung primärer Kollateralwege (=A. communicans anterior/posterior, n=65) definiert, als Typ II die Aktivierung sekundärer Kollateralwege (retrograde A. ophthalmica, leptomeningeale Anastomosen, n=24) mit oder ohne primäre Wege. Typ III (n=12) umfasste Patienten mit dopplersonographischen Zeichen einer funktionellen Stenose im Bereich des vorderen primären Kollateralweges. Eine nahezu normale Phasenverschiebung ipsilateral zur stenosierten Seite fand sich bei Typ I, eine deutliche Verminderung bei Typ II, nahezu aufgehobene Werte bei Typ III. Die CO2-Reaktivität unterschied sich hauptsächlich zwischen Typ I und den beiden anderen Typen. Eine weniger klare Abstufung der autoregulatorischen Einschränkung fand sich bei Gruppierung der Patienten nach dem Stenosegrad. Patienten mit symptomatischer Stenose hatten signifikant seltener ein Kollateralmuster Typ I und wiesen eine niedrigere Phasenverschiebung und CO2-Reaktivität auf. Die dynamische zerebrale Autoregulationsfähigkeit ist bei Aktivierung sekundärer Kollateralwege oder bei Zeichen einer funktionellen Stenose in primären Kollateralwegen deutlich eingeschränkt. Diese hämodynamische Konstellation ist zudem mit einer höheren Frequenz symptomatischer Patienten assoziiert. Die Erfassung der dynamischen zerebralen Autoregulationsfähigkeit mittels Kreuzspektralanalyse stellt eine sensitive Methode zur Erfassung der hämodynamischen Beeinträchtigung bei Stenose oder Verschluss der A. carotis interna dar.