Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 100
DOI: 10.1055/s-2003-816503

Modulation des akustischen Startle Reflexes bei Frauen durch Tryptophandepletion

C Norra 1, S Becker 1, A Bröcheler 1, S Vreemann 1, S Herpertz 1, W Kawohl 1, H Saß 1
  • 1Aachen

Bisherige Studien belegen zunehmend eine Rolle der serotonergen Modulation des Startle Reflexes und, wenn der Startle Stimulus einem schwächeren vorangehenden Stimulus folgt, der Prepuls Inhibition. Die Einnahme einer tryptophanarmen Diät im Tryptophandepletionstest stellt mittlerweile ein im Humanexperiment etabliertes nicht-invasives Untersuchungsinstrument dar, mit dem kurzfristig ein passagerer Mangel der Tryptophan-Konzentration und nachfolgend des zentralnervösen Metaboliten Serotonin erzeugt werden kann. In einem doppelblinden Cross-over-Studiendesign wurden 15 gesunde Frauen (25,04±2,03 Jahre) untersucht, die ein hoch konzentriertes Aminosäurengemisch einmal mit Tryptophan (Kontrolle) bzw. einmal ohne Tryptophan (Verum) tranken. Über einen Kopfhörer wurden eingangs ausschließlich Einzelpulse (100 dB, 40 ms) dargeboten, gefolgt von randomisierten Einzelpuls- oder Prepuls- (70 dB, 30 ms; 120 ms Intervall) Durchgängen. Elektromyographisch registriert wurde das Reizantwortpotenzial des M. orbicularis oculi. Die Plasmatryptophan-Konzentrationen nahmen in der (-)Tryptophan-Bedingung bis auf 18,69% (±5,32) im Verhältnis zu dem individuellen Ausgangswert ab. Gleichzeitig waren die mittleren EMG-Amplituden der Einzelstimuli – im Gegensatz zu der (+)Tryptophan-Bedingung – signifikant reduziert (p<0,01), wohingegen die Prepuls-Inhibition unter Tryptophandepletion keine ausgeprägten Gruppenunterschiede in den Antwortamplituden aufwies, sich jedoch eine Tendenz zur Suppression der Prepuls-Inhibition finden ließ. Die Daten stützen die Hypothese eines serotonergen Einflusses auf die Reizverarbeitung im sensorimotorischen „gating“ anhand von Startle-Antwort und Prepuls-Inhibition bei weiblichen Probanden. Bisherige tierexperimentelle Ergebnisse müssen bezüglich der komplexen Neuroanatomie und Pharmakologie der 5-HT-Rezeptoren diskutiert werden, wobei infolge des Tryptophandepletionstests eine eher generelle Manipulation des serotonergen Systems anzunehmen ist.