Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 85
DOI: 10.1055/s-2003-816488

Vergleichende Chronometrie thalamo-kortikaler EKP

F Marzinzik 1, M Wahl 1, G Curio 1, F Klostermann 1
  • 1Berlin

In einer Go/NoGo-Aufgabe wurden prämotorische thalamische Aktivierungen charakterisiert und mit Ereignis-korrelierten Potenzialen des Skalp-EEG verglichen. Bei einem tiefenhirn-stimulierten Patienten (38 Jahre; essentieller Tremor) wurden simultan Skalp-EEG (20 Kanäle) und Thalamus-EEG (2 bipolare Kanäle von Elektroden in beiden Nucl. ventrales interna bei externen Schrittmacherkabeln) postoperativ abgeleitet. Während der Ableitung wurde eine visuelle Go/NoGo-Aufgabe bearbeitet. Ein Pfeil zeigte als Precue die Hand an, für die eine Antwort gefordert war. Nach 2000 ms sollte auf den Go-Cue hin (grünes Quadrat) ein Tastendruck (gemäß Precue) mit dem rechten oder linken Zeigefinger erfolgen, auf den NoGo-Cue (rotes Quadrat) die Antwort unterdrückt werden. Insgesamt wurden 520 Trials unter 4 Bedingungen (Go-links, Go-rechts, NoGo-links, NoGo-rechts) randomisiert präsentiert. Die kontinuierlich aufgenommenen EEG-Daten (Abtastrate 5 kHz, Bandpass 0,05–1 kHz) wurden pro Stimulusklasse Reiz-bezogen gemittelt. Precues evozierten kortikal eine maximale Positivierung an den parietalen Elektroden um 320 ms; thalamisch zeigte sich eine deutlich frühere Positivierung (260 ms). Für eine Dauer von 1120 ms zeigte sich thalamisch eine langsam ansteigende, nicht-lateralisierte Negativierung etwa 1000 ms nach dem Precue-Reiz ab, die mit einer kortikalen Negativierung parallel verläuft. Auf den Go-Cue und NoGo-Cue hin stellte sich kortikal eine maximale Positivierung um 380ms dar. Intrathalamisch zeigte sich auf den NoGo-Cue eine Positivierung nach 230ms, sowie auf den Go-Cue eine maximale Positivierung um 300ms, mit Einsetzen einer Lateralisierung ab 280ms (maximal bei 500ms; Reaktionszeit 478±158ms). Thalamisch zeigte sich nach Precues früher als kortikal eine P300-artige Positivierung. Zwischen Precue und Cue fanden sich parallel kortikal und intrathalamisch langsame Negativierungen, die als Cue-Antizipation und/oder Bewegungsvorbereitung interpretierbar sind. Die thalamische Aktivierung auf NoGo-Reize läuft früher ab als für Go-Reize, obwohl letztere durch den Pre-Cue kein Wahlelement mehr enthalten; beide Antworten erfolgen thalamisch früher als kortikal. Chronometrisch gehen somit thalamische den kortikal detektierten phasischen Bewegungs- oder Entscheidungs-korrelierten Ereignis-korrelierten Potenzialen voraus. Bei Skalp-Ableitungen kann aus Latenzen der Ereignis-korrelierten Potenziale folglich nicht zuverlässig auf ‘Minimal’-Latenzen kognitiver Prozesse geschlossen werden.