Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 72
DOI: 10.1055/s-2003-816475

Vergleich morphologischer Befunde mit ereigniskorrelierten Potenzialen bei apallischen und minimal bewussten Patienten

S Lang 1, B Kotchoubey 1, N Birbaumer 1
  • 1Lübeck, Tübingen

Das apallische Syndrom und der minimally conscious state werden oft als globale, diffuse und undifferenzierte Hirnschädigungen bezeichnet, die infolge von Traumata, Hirnblutungen oder Sauerstoffmangel auftreten können. Apallische Patienten zeigen keinerlei Wahrnehmungsfunktionen bei gleichzeitig erhaltenem Schlaf-Wach-Rhythmus, während Patienten im minimally conscious state als teilweise bewusst eingeordnet werden. In unserer Studie wurden ereigniskorrelierte Potenziale bei 49 Patienten (apallische Syndrom=24, minimally conscious state=25; EEG-Rhythmus von mindestens 4Hz) unterschiedlicher Ätiologien abgeleitet, während den Patienten eine Testbatterie mit unterschiedlich komplexen Stimuli per Kopfhörer präsentiert wurden. Zum einen sollte die Diskriminationsfähigkeit zweier verschiedener Reize getestet werden (Oddball-P3), zum anderen die Sprachverarbeitung (Sätze, Wortpaare, semantisches Oddball-Paradigma). Die ereigniskorrelierten Potenziale wurden zunächst visuell eingeschätzt und anschließend mittels ANOVA ausgewertet. Die Komponenten der ereigniskorrelierten Potenziale wurden danach mit den kortikalen Hirnschädigungen anhand von CT oder strukturellen MRI-Bildern verglichen. Folgende Gruppen von Läsionsarten wurden unterteilt: 1. Linke vs. rechte Hemisphäre; 2. Frontale vs. nicht frontale Läsionen (d.h. temporal-parietale oder Hirnstammläsionen); 3. Schweregrad der Läsionen (leicht, mäßig und massiv). Die Ergebnisse boten einen signifikanten Unterschied bei der Sprachverarbeitung zwischen Patienten mit vorwiegend links- vs. rechtshemisphärischen kortikalen Läsionen, wobei Patienten mit linkshemisphärischen Läsionen signifikant seltener eine intakte Sprachverarbeitung aufwiesen (p=0,045) als Patienten mit rechtshemisphärischen Verletzungen. Zum anderen hatten Patienten mit frontalen Läsionen signifikant seltener eine intakte Spracheverarbeitung (p=0,009) als Patienten ohne frontale Läsionen. Drittens korrelierte die P3 signifikant mit dem Schweregrad der Hirnschädigung, wobei Patienten mit einer massiven Hirnschädigung signifikant seltener eine P3 aufwiesen (p=0,023) als Patienten mit leichten oder mäßigen Hirnschädigungen. Die Ergebnisse zeigen somit, dass es sich nicht um eine globale oder diffuse Hirnschädigung handelt, sondern um einen Defekt, der, wie bei allen anderen neurologischen Patienten, von der Lokalisation der Läsionen abhängig ist. Die Ergebnisse haben damit eine große praktische Bedeutung für die weiteren Rehabilitationsmaßnahmen, wobei diese zukünftig in Abhängigkeit der Lokalisation der Läsionen erfolgen sollten.