Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 60
DOI: 10.1055/s-2003-816463

Aktivierung des Blasensphinkters durch den Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin

WH Jost 1, P Marsalek 1
  • 1Wiesbaden, Bad Homburg

Duloxetin ist ein kombinierter Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und wird zurzeit für die Behandlung von Frauen mit Belastungsinkontinenz klinisch erprobt. Duloxetin hat eine gleichwertige Wiederaufnahmehemmung von 5HT und NE In vivo und zeigt keine nennenswerte Bindungsaffinität für Rezeptoren von Neurotransmittern. Die Wirkung von Duloxetin in der Behandlung von Belastungsinkontinenz wird mit der Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin am präsynaptischen Neuron im Onuf-Nukleus des sakralen Rückenmarks in Verbindung gebracht. Der Effekt von Duloxetin am unteren Harntrakt wurde im Rahmen von tierexperimentellen Studien untersucht: Duloxetin bewirkte in einer Studie eine signifikante Erhöhung der Blasenkapazität und Sphinkter-EMG-Aktivität. Katzen, bei denen initial eine Vorbehandlung der Blase mit Essigsäure erfolgt war, zeigten eine dosisabhängige Verbesserung der Blasenkapazität (5fach) und periurethralen EMG-Aktivität (8fach) der quergestreiften Sphinktermuskulatur. Bei den Effekten auf die Blasenkapazität ist von einer zentralen afferenten Modulation auszugehen, denn eine Blasenkontraktion, die durch direkte Stimulation von efferenten Fasern ausgelöst wurde, wurde nicht beeinflusst. Die Duloxetin-Effekte auf die Blasenkapazität wurden von Methiothepin, einem nichtselektiven 5HT Rezeptor-Antagonisten, umgekehrt, jedoch nicht durch andere Substanzen: LV53857, einem spezifischen 5HT2 Antagonisten, Prazosin, einem alpha-1 Rezeptorantagonisten, Idazoxan, einem alpha-2-adrenergen Rezeptorantagonisten oder Propranolol, einem beta-adrenergen Rezeptorantagonisten. Die Wirkung auf das periurethrale Sphinkter-EMG wurde signifikant antagonisiert durch Methiothepin, LY53857, und Prazosin, aber nicht durch Idazoxin oder Propanolol. Bei belastungsinkontinenten Frauen wird angenommen, dass eine stärkere urethrale Kontraktion und ein anhaltender Sphinktertonus während der Speicherungsphase die klinische Wirksamkeit einer Duloxetinbehandlung bei Frauen mit Belastungsinkontinenz erklären. Somit könnte durch direkte Stimulation des Onuf-Nukleus eine gezielte Therapie der Belastungsinkontinenz erfolgen. Weiterhin werden neue Erkenntnisse über die Bedeutung des Onuf-Nukleus erarbeitet. Neurophysiologische Studien sind in diesem Zusammenhang dringend erforderlich.