Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 59
DOI: 10.1055/s-2003-816462

Brauchen wir das Beckenboden-EMG wirklich?

WH Jost 1
  • 1Wiesbaden

Prinzipiell gelten für den M. sphincter ani externus die gleichen elektrophysiologischen Regeln wie für alle anderen quergestreiften Muskeln. Dementsprechend ist der Titel fast eine Grundsatzfrage das EMG betreffend. Unterschiedlich ist aber, dass wir von anderen Muskeln ein EMG meist ableiten um eine diagnostische oder differenzialdiagnostische Frage zu beantworten, die wir uns selbst gestellt haben. Dies ist beim Beckenboden-EMG anders. Der Anforderer der Untersuchung und Adressat des Befundes ist häufig kein Neurologe. Dies ist eine grundsätzlich differente Herangehensweise, die überhaupt die obige Frage aufwirft. Seit der intensiven Durchführung des EMG quergestreifter Sphinkteren, haben sich etliche Vorstellungen und Erwartungen leider nicht bestätigt. Insbesondere die Erwartung der Zuweiser, dass man eine (!) „neurogene“ Schädigung des Beckenbodens nachweisen oder ausschließen kann, wurde enttäuscht. Eine Beziehung zwischen somatomotorischen und vegetativen Nerven besteht zumeist nicht. Der Stellenwert der Untersuchung darf bei der erektilen Dysfunktion und der neurogenen Blasenstörung als gering angesehen werden. Einzig bei neuroproktologischen Fragestellungen kann in vielen Fällen eine Aussage getroffen werden, da dort nach einer neurogenen Schädigung der quergestreiften Sphinkteren gefragt wird. Herbei erweist sich lediglich als nachteilig, dass die Kommunikation zwischen den beteiligten Fachdisziplinen zu wünschen übrig lässt. D.h. der Proktologe kennt nicht die Grenzen und Möglichkeiten der Untersuchung, der Neurophysiologe weiß zu wenig vom Kontinenzapparat. Eine wichtige Rolle spielt das EMG zum Nachweis oder Ausschluss eines „outlet“-Obstipation. Hier besteht sicherlich noch Aufklärungsbedarf. Die Möglichkeiten bei funktionellen Störungen werden bisher noch nicht ausgeschöpft. Zusammenfassend wird das Beckenboden-EMG auch weiterhin keine weite Verbreitung finden. Einerseits weil die diagnostischen Aussagen begrenzt sind, andererseits weil sich die Fachdisziplinen zu wenig damit auseinandersetzen.