Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 39
DOI: 10.1055/s-2003-816442

Lesen emotionaler Wörter und ERP-Mikrozustände: Drei Informations-Verarbeitungsschritte der ERP-Kartenserien unterscheiden positive von negativen Emotionen

LRR Gianotti 1, PL Faber 1, RD Pascual-Marqui 1, K Kochi 1, D Lehmann 1
  • 1Zürich

Die Verarbeitung des emotionalen Gehalts visuell angebotener Wörter wurde untersucht. 27 emotional positive und 27 negative Wörter wurden in randomisierter Folge während je 450 ms 21 Versuchspersonen zum Lesen angeboten; ereigniskorrelierte Potenziale wurden mit 35 Kanälen registiert. Mikrozustands-Analyse unterteilte die Grand-Grand-Mean der ereigniskorrelierten Potenziale (gemittelt über Versuchsbedingungen und -personen) in einzelne Informationsverarbeitungsschritte. Dreizehn Mikrozustände wurden während der 450-ms-Angebotszeit identifiziert. Die topographischen Karten der Skalp-Felder ereigniskorrelierter Potenziale von drei dieser Mikrozustände unterschieden sich für positive vs. negative Wörter: Mikrozustand #4 (106–122 ms); #6 (138–166 ms) und #7 (166–198 ms) nach Angebotsbeginn. Im Vergleich zu negativen zeigte sich bei positiven Wörtern eine Rotation der Feldachse der ereigniskorrelierten Potenziale in Mikrozustand #4 und #6 im Gegenuhrzeigersinn, in Mikrozustand #7 dagegen im Uhrzeigersinn. Die Skalp-Amplituden der ereigniskorrelierten Potenziale zeigten folgende erhöhte Aktivitäten: im Mikrozustand #4 für positive Emotionen rechts posterior, für negative Emotionen links zentral; im Mikrozustand #6 für positive Emotionen links anterior, für negative Emotionen bilateral posterior; in Mikrozustand #7 für positive Emotionen bilateral anterior, für negative Emotionen bilateral posterior. Verschiedene Skalp-Lokalisationen beweisen die Existenz verschiedener Neuronen-Populationen als Generatoren. Die Resultate führen zu folgenden Schlüssen über die emotionale Verarbeitung von Wörtern: (1) die Extraktion emotionalen Gehalts beginnt bereits 106 ms nach Angebotsbeginn, (2) umfasst repetitiv drei separate, kurze Verarbeitungsschritte (Mikrozustände), und (3) erfolgt innerhalb dieser Schritte auf unterschiedliche Weisen, d.h. involviert unterschiedliche Mechanismen im Gehirn um die Unterscheidung positiv-negativ zu inkorporieren. Die Befunde unterstreichen, dass Wortverarbeitung im Hirn ein dynamischer Prozess ist, der aus einer raschen Folge identifizierbarer Schritte besteht. Obzwar die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Emotion in dreien dieser Schritte geschieht, ist ihre Signatur als Hirnaktivität jeweils verschieden. Wir schlagen vor, dass die repetitiven Verarbeitungsschritte, die Wörter nach emotionaler Valenz unterscheiden, als primäre Kategorisierung dienen, gefolgt von sekundären anderen Kategorisierungen in den drei Mikrozuständen. Diese hypothetisierten Kategorisierungen müssen in zukünftigen Untersuchungen geklärt werden.