Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 23
DOI: 10.1055/s-2003-816426

Zeitverlauf und Hemisphärenrivalität im Parietalkortex bei einer Aufgabe zur visuell-räumlichen Aufmerksamkeit: eine TMS-Studie

N Dambeck 1, J Weidemann 1, M Wienemann 1, IG Meister 1, R Töpper 1, B Boroojerdi 1
  • 1Aachen, Hamburg

Der parietale Kortex spielt für die visuell-räumliche Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle. Der Zeitverlauf der parietalen Aktivierung bei diesem Prozess ist jedoch nicht ausreichend geklärt. Darüber hinaus wurden in früheren Untersuchungen uneinheitliche Ergebnisse bezüglich einer rechtshemisphärischen Dominanz berichtet. Das Modell der Hemisphärenrivalität postuliert eine reziproke interhemisphärische Inhibition beider Parietalkortizes. Daraus lässt sich ableiten, dass ein durch eine einseitige Läsion ausgelöstes Aufmerksamkeitsdefizit durch eine zweite, kontralaterale Läsion gebessert werden kann. Im folgenden Experiment führten Probanden eine visuelle Detektionsaufgabe von kleinen, unilateral links, rechts oder bilateral präsentierten Punkten durch. Währenddessen wurde Einzelpuls-TMS über dem linken (P3) oder rechten (P4) posterioren parietalen Kortex einzeln oder simultan biparietal zu zwei Zeiten (150 ms, 250 ms) appliziert. Fehlerraten und Reaktionszeiten während der TMS-Stimulation wurden mittels gepaarter t-Tests mit einer Kontrollstimulation (sham) verglichen. TMS über dem rechten parietalen Kortex nach 150 ms führte verglichen mit der sham-Stimulation zu einer signifikant verschlechterten Detektion von unilateral linksseitigen visuellen Stimuli (–8%; p=0,017) wie bei einem Hemineglekt. Bei Präsentation bilateraler visueller Stimuli wurden signifikant häufiger fälschlicherweise rechtsseitige Stimuli berichtet, d.h. die linken Stimuli wurden im Sinne einer kontralateralen Extinktion nicht wahrgenommen (p=0,02). Bei TMS über dem linken parietalen Kortex waren die Effekte deutlich schwächer; TMS nach 250 ms hatte keinen Effekt. Bei simultaner biparietaler Stimulation kam es zu einer Aufhebung der bei einseitiger Stimulation beobachteten Effekte (p<0,01 für linksseitige visuelle Stimuli). Die Reaktionszeiten wurden in keiner Bedingung durch TMS beeinflusst. Unsere Ergebnisse zeigen die Bedeutung des posterior parietalen Kortex sowohl für die Auslösung eines Neglekts als auch für das Phänomen der Extinktion. Der kritische Zeitpunkt von 150 ms deutet auf eine entscheidende Rolle dieses Hirnareals bei der räumlichen Aufmerksamkeit bereits zu frühen Stadien der visuellen Verarbeitung hin. Die gefundene rechtshemisphärische Dominanz steht im Einklang mit der klinischen Erfahrung. Die Aufhebung der durch unilaterale TMS ausgelösten Defizite bei biparietaler Stimulation unterstützt die aus dem Hemisphärenrivalitätsmodell abgeleitete Voraussage.