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DOI: 10.1055/s-2003-816410
Pathologische Mitbewegungen nach Schlaganfall: II. Therapieversuch durch bimanuelles Koordinationstraining
In einer epidemiologischen Studie an 765 konsekutiven Patienten der Tübinger Universitätsklinik für Neurologie hatten 15,8% der Patienten im chronischen Stadium (>1 Jahr) nach Schlaganfall persistierende, überwiegend subjektiv störende pathologische Mitbewegungen (pMB) der gesunden Hand bei Bewegungen der paretischen Hand. In der vorliegenden Untersuchung wurde getestet, ob intensives bimanuelles Koordinationstraining zu einer Reduktion von pathologischen Mitbewegungen führt. Grundlage dieses Therapieversuches war, (1) dass die Ursache von pathologischen Mitbewegungen möglicherweise eine pathologisch erhöhte (desinhibierte) interhemisphärische Kopplung ist und (2) dass die interhemisphärische Kopplung durch das hier angewandte Training reduziert werden kann. Letzteres wurde in Vorarbeiten an Gesunden ausführlich demonstriert. Das Training ähnelt dem traditionellen Erlernen eines Stückes auf dem Piano. Während einer Trainingseinheit erlernen die Probanden jeweils rechts und links eine unimanuelle Fingersequenz, müssen diese Sequenzen zu einer alternierenden bimanuellen Sequenz fusionieren und die bimanuelle Sequenz dann ausgiebig trainieren. Das Ausmass der pathologischen Mitbewegungen wurde mittels digitaler Videoaufzeichnung vor und nach dem Training registriert. Die Videosequenzen wurden bezüglich Trainingszustand verblindet und dann zwei unabhängigen Auswertern präsentiert, die für jede Sequenz das Ausmass der pathologische Mitbewegungen einschätzten. Es wurden Punkte vergeben nach den Kriterien 0–keine Mitbewegung, 1–minimal sichtbar, 2–deutlich sichtbar, 3–in nahezu vollem Bewegungsumfang. Hieraus errechnet sich ein Gesamtpunktwert der 5 Tasks von maximal 15 pro videodokumentiertem Trainingstag. Außerdem wurde eine Rangvergabe für die unterschiedlichen Zeitpunkte gefordert. Das Training wurde über 2 Wochen täglich ambulant durchgeführt. Videodokumentationen erfolgten an den Tagen 0, 1, 4, 7, 10 und 11. Bei beiden Patienten (P1, P2) nahmen die Spiegelbewegungen im Verlauf des Trainings ab mit einem Gesamtpunktwert von 13 (P1) und 7 (P2) zu Beginn auf 10,5 (P1) und 3 (P2) am Ende des 2-wöchigen Trainings. Unterstützend fand sich ein sinkender Gesamtrang von 17 (P1) und 13 (P2) an Tag 0 auf 6 (P1) und 7,5 (P2) an Tag 11 des Trainings. Der positive Effekt des Trainings unterstützt die Hypothese, dass pathologische Mitbewegungen nach Schlaganfall Folge einer gestörten (desinhibiterten) interhemisphärischen Kopplung sein können und dass eine kontrollierte Reduktion dieser Kopplung durch gezieltes Training therapeutisch nutzbar ist.