Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 6
DOI: 10.1055/s-2003-816409

Pathologische Mitbewegungen nach Schlaganfall: I. Epidemiologie

S Bachteler 1, F Andres 1, C Gerloff 1
  • 1Tübingen

In der Literatur findet sich bereits 1874 die Erwähnung von unwillkürlichen kontralateralen Mitbewegungen bei Patienten mit Hemiparese (Westphal, Arch. Psychiat. 1874; 4: 747–759). In der vorliegenden Studie wurden 765 stationär in unserer Klinik behandelte Schlaganfallpatienten (Zeitraum 1998–2001) evaluiert, um folgende Aspekte zu klären: (1) Häufigkeit pathologischer Mitbewegungen nach Schlaganfall, (2) Persistenz pathologischer Mitbewegungen nach Schlaganfall, (3) Assoziation mit bestimmten Schlaganfall-Lokalisationen, (4) Assoziation mit gutem oder schlechtem Ausgang (nach Rankin-Scale) und (5) klinische Relevanz von pathologischen Mitbewegungen aus subjektiver Sicht der Patienten. Die Daten wurden prospektiv per Fragebogen und retrospektiv nach Aktenlage erfasst. Bei einem Rücklauf von 457 Fragebögen (59,7%) konnten 341 (44,6%) ausgewertet werden (34 Patienten waren zwischenzeitlich verstorben, 82 unbekannt verzogen). Hiervon berichten insgesamt 98 Patienten (28,8%) pathologische Mitbewegungen zu haben oder unmittelbar nach dem Schlaganfall gehabt zu haben. Bei 44 (12,9%) bildeten sich diese in frühem Erholungsstadium zurück. Bei 54 (15,8%) persistieren die pathologischen Mitbewegungen. Die Läsionslokalisation in der Gruppe der 98 Patienten findet sich zu 69,4% im Versorgungsbereich der A. cerebri media ohne relevante Seitenbetonung. 67 Patienten (68,3%) ordnen ihre Einschränkungen durch die Folgen des Schlaganfalls in die Kategorie 2 oder 3 der Modified Rankin-Scale (leichte Behinderung, kann sich noch selbst versorgen) ein. Mehrheitlich werden die persistierenden pathologischen Mitbewegungen als im Alltag störend beschrieben, insbesondere bei fein abgestimmten bimanuellen Tätigkeiten wie z.B. Betätigen einer Schreibtastatur oder Spielen eines Musikinstruments. Zusammenfassend leiden 15,8% der Schlaganfallpatienten unter persitierenden pathologischen Mitbewegungen, meist nach Schlaganfall im Bereich der A. cerebri media. Die pathologischen Mitbewegungen sind eher mit guter Funktion des motorischen Systems assoziiert und damit keine Konsequenz einer hochgradigen Parese oder einer schlechten Erholung. Patienten fühlen sich durch die pathologischen Mitbewegungen gestört, so dass pathologische Mitbewegungen in therapeutischen Konzepten stärker berücksichtigt werden sollten.