ZFA (Stuttgart) 2003; 79(12): 624-625
DOI: 10.1055/s-2003-816025
Kongress

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kongressbericht: WONCA-Europe Regionalkonferenz 2003 in Ljubljana

Gregor Fisseni
Further Information

Publication History

Publication Date:
12 January 2004 (online)

Unter dem Titel »The future challenges of General Practice/Family Medicine« fand in diesem Jahr die neunte europäische WONCA[*]-Regionalkonferenz in Ljubljana statt [1] [2]. Vom 18. bis zum 21. Juni kamen etwa 1650 hausärztliche Kollegen aus 60 Staaten in der slovenischen Hauptstadt zusammen, um über neue wissenschaftliche Entwicklungen unseres Faches miteinander ins Gespräch zu kommen. [3]

Der Tagesablauf sah wie folgt aus: Morgens um 8.30 h begann der Kongresstag im Plenum mit zwei halbstündigen »Keynote lectures«, die in den thematischen Schwerpunkt des Tages einführten (z.B. Sterbebegleitung, Zukunft der Allgemeinmedizin, Neue Techniken in der Allgemeinmedizin, etc. - Das Wissenschaftliche Programm ist im Detail unter [1] einsehbar). Anschließend war erst einmal gemeinsame Kaffeepause und Kekse-Knabbern mit internationalem Smalltalk angesagt, bevor die morgendlichen »parallel sessions« begannen. Diese dauerten 90 Minuten und umfassten sechs Präsentationen mit jeweils zehn Minuten Zeit für den Vortrag und fünf Minuten für die anschließende Diskussion. Das war manchmal etwas knapp bemessen. Gerade bei interessanten Vorträgen entwickelte sich oft eine sehr lebendige Diskussion, die dann aus Zeitgründen abgebrochen werden musste. Nach den Sessions sah man dann jedoch häufig Menschentrauben um die Referenten versammelt, wo die Diskussionen fortgesetzt wurden. Insofern hatte dieses knapp gehaltene Zeitgitter auch einen kontaktfördernden Aspekt.

Insgesamt war ich beeindruckt von der Professionalität der allgemeinmedizinischen Forschung, die hier präsentiert wurde. Die Atmosphäre im Publikum empfand ich als sehr kollegial und ermutigend. Außerdem war sie von großem gegenseitigen Interesse und Neugier geprägt. Nur einmal habe ich eine scharfe Attacke aus dem Publikum erlebt, und zwar als sich herausstellte, dass eine groß angelegte Studie zu den gastrointestinalen Komplikationen einer langdauernden NSAR-Medikation von einer Pharmafirma finanziert worden war, und der Referent den Sachverhalt dieser finanziellen Verquickung nicht von sich aus offengelegt hatte. (Sowohl der Referent, als auch der »Angreifer« aus dem Publikum waren Schweden).

In der Mittagspause wurden im Foyer Lunch-Pakete ausgegeben, die man dann im begrünten Hinterhof des Kongresszentrums verspeisen konnte. Dort waren Biergarten-Bänke und Tische aufgestellt, was dem Ganzen einen Hauch von Jugendherbergs-Flair verlieh. Auch hier kam man wieder zwanglos ins Gespräch und konnte Detailfragen aus den vorangegangene Vorträgen klären, sich über landestypische Erfahrungen austauschen und feststellen, dass vieles, was bei uns hoffnungslos »festgefahren« wirkt, aus der Sicht eines anderen Gesundheitssystems plötzlich neue Entwicklungsperspektiven bekommt.

Neben den Vortrags-Sessions wurden auch Poster präsentiert und es gab anderthalbstündige Workshops mit bis zu 30 Teilnehmern. Exemplarisch möchte ich von dem Workshop über »disclosure of medical error to the patient« berichten, an dem ich teilgenommen habe. Es ging hier darum, wie man dem Patienten am besten mitteilt, dass man einen Fehler gemacht hat. Der Workshop wurde von sechs slovenischen Kollegen geleitet. Das Konzept dieses Workshops hatten sie im Rahmen einer einwöchigen Arbeitstagung unter der Anleitung eines erfahrenen israelischen Medizin-Didaktikers (J. Yaphe) entwickelt. Sie zeigten zunächst einen selbstgedrehten Film, »wie man es nicht machen sollte« - bei aller Ernsthaftigkeit des Themas ein toller Lacherfolg, der gleich eine gelöste und produktive Atmosphäre entstehen ließ. An den Film lehnte sich dann ein konkreter und systematischer Handlungsvorschlag an »wie man es besser machen kann!«. Dieser wurde unter den Teilnehmern am Filmbeispiel zunächst heftig und teils kontrovers diskutiert. Anschließend versuchten wir dann im Rollenspiel den vorgeschlagenen »better way« konkret auszuprobieren, was ich als sehr intensiven und authentischen Austausch von Erfahrungen erlebte. Interessant war es auch, hier am ganz konkreten Fall mitzuerleben, wie der kulturelle, landesspezifische Hintergrund unsere Vorstellungen vom Umgang mit dem Patienten prägt. Mir hat dieser Workshop sehr viel Spaß gemacht und ich hatte im Anschluss daran noch sehr anregende Gespräche mit Kollegen aus verschiedenen Ländern.

Als Deutscher war ich übrigens ein Vertreter einer seltenen Spezies, und wurde darauf auch einige Male angesprochen: Von den 1650 Teilnehmern kamen nur 16 aus Deutschland! Von den insgesamt etwa 800 slovenischen Hausärzten nahmen dagegen über 220 an diesem Kongress teil. (Man male sich einen WONCA-Europe-Kongress in - sagen wir - Köln aus und stelle sich den Andrang deutscher Kollegen bei vergleichbarem Enthusiasmus vor: es wären deutlich über 10.000!!) Aber auch andere Nationen waren zahlreich vertreten: So die benachbarten ex-jugoslavischen Republiken (z.B. Kroatien: 118, Bosnien-Herzegowina: 42 Teilnehmer), aber auch die skandinavischen Länder (z.B. Finnland 128, Norwegen 74 Teilnehmer), Polen (53 Teilnehmer) und sogar die kleinen baltischen Staaten (z.B. Estland 37, Litauen 21 Teilnehmer). Recht gut vertreten waren auch die südeuropäischen Länder (z.B. Spanien 107, Italien 47 Teilnehmer), die Niederlande (53 Teilnehmer) und Großbritannien (68 Teilnehmer). Bezogen auf die Landesgröße war nur Frankreich mit 11 Kongressbesuchern vergleichbar schlecht vertreten wie wir. [3]

Nicht unerwähnt bleiben sollte das Rahmenprogramm, das ich durchaus beeindruckend fand: Nach der feierlichen Eröffnung des Kongresses durch die »zuständigen Honoratioren« mit mehreren Ballett- und Choreinlagen im Plenarsaal des Kongresszentrums wurden die Teilnehmer auf das Schloss von Ljubljana geladen. Dort gab es bei Köstlichkeiten des kalten Buffets drei Stunden Zeit zum Gespräch sowie weitere festliche Musikdarbietungen unterschiedlichster Art (Blechbläser-Fanfaren von den Zinnen der alten Burgmauer, Internationaler Jugendchor, artistische Percussion-Formation...) und zur Krönung des Abends ein Feuerwerk über dem Schloss. Auch Ljubljana selbst war ein Erlebnis: Die Altstadt liegt an einem kleinen Fluss und ist voller Straßen-Cafés, Eisdielen und Restaurants mit Biergarten. Aufgrund des Beginns der slovenischen Semesterferien war die Stadt voller junger Leute in Party-Laune, so dass die Atmosphäre in den Straßen sehr locker und lebendig war: Genau richtig, um die anregenden und anstrengenden Kongresstage entspannt ausklingen zu lassen.

Ort und Thema des nächsten europäischen WONCA-Kongresses stehen übrigens schon fest: In Amsterdam findet nächstes Jahr vom 1. bis 4. Juni die zehnte WONCA Europe Regional Conference statt: Thema ist »Quality in Practice« [4].

Literatur

  • 1 www.woncaeurope2003.org.
  • 2 www.globalfamilydoctor.com.
  • 3 Ausdruck aus der internen Teilnehmerstatistik der Veranstalter, dem Autor freundlicherweise überlassen von Dr. Danica Rotar, slovenisches Organisationskomitee der WONCA-Regionalkonferenz 2003, mit dem Einverständnis die Zahlen auszugsweise zu veröffentlichen. 
  • 4 www.wonca-europe2004.com.

1 Die WONCA ist die »World Organization of National Colleges, Academies and Academic Associations of General Practitioners/Family Physicians«, also der Zusammenschluss der nationalen wissenschaftlichen Gesellschaften für Allgemeinmedizin. Der offizielle Kurzname lautet: »World Organization of Family Doctors«. Für Deutschland ist die DEGAM Mitglied der WONCA. Man kann auch »WONCA direct member« werden und erhält dann eine Ermäßigung auf die Kongressgebühren. [2]

Gregor Fisseni

Facharzt für Allgemeinmedizin

Abteilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf

Moorenstraße 5, Geb. 14.97, D-40225 Düsseldorf

Email: Fisseni@med.uni-duesseldorf.de

Zur Person

Gregor Fisseni

Facharzt für Allgemeinmedizin, Jahrgang 1970, Medizinstudium in Homburg/Saar, Rennes, New Orleans und Strasbourg. Von 1998 bis 2003 Weiterbildung zum Allgemeinarzt in Innere/Gastroenterologie, Chirurgie/ Traumatologie, Allgemeinmedizin, NHV und Akupunktur. Seit 2000 in Weiterbildung zum tiefenpsychologisch orientierten Psychotherapeuten. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Düsseldorf seit Frühjahr 2003. Arbeitsschwerpunkte: Hausärztliche Entscheidungsfindung, Fehlerentstehung und -vermeidung, Früherkennung. Teilnehmer des Professionalisierungskurses III der DEGAM (2003-2005).

    >