Laryngorhinootologie 2003; 82 - 8
DOI: 10.1055/s-2003-815315

Gerinnungsstörungen als zusätzliche Risikofaktoren für Blutungen bei M. Osler (HHT)

A Cerra Wollstein 1, BJ Folz 1, JA Werner 1
  • 1Univ.-HNO-Klinik, Philipps-Universität Marburg, Marburg

Einleitung:

Die hereditäre hämorrhagische Telangiektasie (HHT), auch Morbus Osler-Rendu-Weber genannt, ist eine Erbkrankheit, welche mit multiplen arteriovenösen Malformationen im Bereich der Schleimhaut, der Haut und der parenchymatösen Organe (Leber, Lunge, Gehirn) einhergeht [1]. Epistaxis stellt bei mehr als 90% der Patienten das Leitsymptom der Erkrankung dar [2]. Sowohl nasale als auch gastrointestinale Blutungen können zu chronischen, substitutionsbedürftige Anämien führen. Eine Behandlung der Blutungen kann sich derart schwierig gestalten, dass die Frage gerechtfertigt ist, in wie fern Gerinnungsstörungen als zusätzliche Risikofaktoren in Betracht gezogen werden können.

Patienten und Methoden:

In einem Kollektiv von 46 HHT-Patienten (26 Frauen und 20 Männer) mit dem Leitsymptom Epistaxis erfolgte eine Analyse der Gerinnungsbefunde. Wurden pathologischen Befunde beobachtet, führten wir eine erneute detaillierte Gerinnungsanalyse durch. Die Hämostase wird im wesentlichen auf drei Ebenen aktiviert (s. Abb. 1): Stufe I: Die Integrität des Gefäßsystems, Stufe II: die Aktivität des zellulären Systems und Stufe III: Aktivität des humoralen System. Die HHT ist eine Vaskulopathie, weswegen die Hämostase primär auf ersten Ebene durch die erhöhte Verletzlichkeit der Gefäße gestört ist. Thrombozytopenien verschiedener Ursache können Blutungen begünstigen [3,4]. Was die Defektkoagulopathien betrifft, finden sich in der Literatur Berichte über eine Assoziation einer HHT mit einer Hämophilie [5–7] oder einem „von-Willebrand“-Syndrom [8–10].

Ergebnisse:

Bezogen auf unser Patientengut lag in 6/46 Fällen ein pathologischer Befund der zellulären oder humoralen Hämostasenebenen vor. Im Bereich der zellulären Hämostase fand sich in unserem Patientengut eine essentielle Thrombozythämie bei einem Patienten und eine Thrombozytenaggregationsstörung bei einem weiteren Patienten. Im Bereich des humoralen Systems waren pathologische Befunde in Form eines „von-Willebrand“-Syndroms Typ I in einem Fall und in drei Fällen ein Faktor-XII-Mangel nachweisbar.

Der Mangel an Faktor XII, der sich in einer verlängerten PTT äußerte, wurde als Folge der vermehrten Kontaktaktivierung im Rahmen der Grunderkrankung ohne relevante Auswirkung auf die Blutungsneigung angesehen. Da der Faktor-XII-Mangel prinzipiell mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergehen kann, wurde nach Empfehlung der konsultierten Hämostaseologen eine Thromboseprophylaxe eingeleitet. Die Thrombozytenaggregationsstörung konnte nicht weiter untersucht werden, da der Patient keine weitere Abklärung wünschte. Die essentielle Thrombozythämie wurde als myeloproliferative Erkrankung gewertet. Es wurde eine zytoreduktive Therapie nach Empfehlung der Kollegen der Klinik für Hämatoonkologie eingeleitet. Bei der Patientin mit dem „von-Willebrand-Syndrom“ wurde die Gabe von Desmopressin im Falle einer therapieresistenten Blutung empfohlen. Durch die Therapie der Gerinnungsstörungen konnte bei 2/6 Patienten eine Reduktion der Frequenz und Intensität der Blutungsepisoden erzielt werden.

Schlussfolgerungen:

Zusammenfassend erscheint es sinnvoll, Gerinnungsstörungen bei HHT-Patienten als zusätzlichen Risikofaktor abzuklären. In Anbetracht der Komplexität des Krankheitsbildes, kann die gerinnungsphysiologische Diagnostik und ggf. Therapie bei HHT-Betroffenen eine zusätzliche Behandlungsoption eröffnen.

Literatur:

1. Pasche B, Cerra Wollstein A, Zoll B, Folz B. Rendu-Osler-Weber-Syndrom. Dtsch Arztbl 2003; 100: A490–493.

2. Werner JA. Behandlungskonzept der rezidivierenden Epistaxis bei Patienten mit hereditärer hämorrhagischer Telangiektasie. HNO 1999; 47: 525–527.

3. Bick RL, Fekete LF. Hereditary hemorrhagic telangiectasia and associated defects in haemostasis. Blood 1978; 52 (suppl 1): 179 (Abstr).

4. Notoya A, Bohgaki T, Mukai M, Kohno M, Sato H, Sadawa K. Splenomegaly and chronic disseminated intravascular coagulation in Osler-Weber-Rendu disease: a case report. Am J Hematol 2000; 65: 315–318.

5. Hanna W, McCarroll D, Lin D, Chua W, McDonald TP, Chen J, Congdon C, Lange RD. A study of a Caucasian family with variant von Willebrand's disease in association with vascular telangiectasia and haemoglobinopathy. Thromb Haemostas 1984; 1: 275–278.

6. Esham R, Skilling FC, Dodson WH, Hammack WJ. Hereditary hemorrhagic telangiectasia and Factor VIII deficiency. Arch Intern Med 1974; 134: 327–329.

7. Maggi CA, Ballarin E, Comin U, Mannucci PM. Hemorrhagic Telangiektasia and Hemophilia A: an occasional association? Haematologica 1983; 68: 399–404.

8. Ahr DJ, Rickles FR, Hoyer LW, O'Leary DS, Conrad ME. Von Willebrand's disease and hereditary hemorrhagic telangiectasia. Association of two complex disorders of hemostasis resulting in life-threatening hemorrhage. Am J Med 1977; 62: 452–458.

9. Conlon CL, Weinger RS, Cimo PL, Moake JL, Olson JD. Telangiectasia and von Willebrand's disease in two families. Ann Inter Med 1978; 89: 921–924.

10. Quick AJ. Genetic aspects of hemostasis: A review. Thromb Diath Haemorrh 1968; 20:209–226.

Abb. 1: Schematische Darstellung der Gerinnungskaskade. Alle Patienten litten unter einer erblich bedingten Störung der Gefäßintegrität. Eine Alteration des zellulären System wurde in zwei Fällen beobachtet, während in vier Fällen eine Störung des humoralen Systems vorlag.