Rehabilitation (Stuttg) 2004; 43(2): 120-121
DOI: 10.1055/s-2003-814894
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zweitägige Fachtagung „Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung (PRVE)” der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und des Instituts für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation vom 12. - 13.2.2004 in Bonn

Two Day Conference on „Prevention and Rehabilitation to Ward Off the Loss of Earning Capacity” Held by the Federal Rehabilitation Council, BAR and the Institute for Quality Assurance in Prevention and Rehabilitation, IQPR in Bonn February 12 - 13, 2004K.-A.  Jochheim1 , D.  Habekost1
  • 1Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Frankfurt/Main
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Publication Date:
21 April 2004 (online)

In einer gemeinsamen Veranstaltung des Instituts für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln (IQPR) und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) wurde das Forschungsprojekt „Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung (PRVE)” des IQPR mit ersten Ergebnissen gerade auch im Kontext der Zielsetzung des SGB IX vorgestellt und diskutiert. Ziel war zudem, die Bedeutung der Verbesserung der Kooperation und Kommunikation durch Informationsaustausch der betrieblichen und außerbetrieblichen Akteure für eine möglichst frühzeitige Bedarfserkennung und Einleitung von Teilhabeleistungen hervorzuheben. Dr. Hans-Martin Schian, Projektleiter des PRVE, und Bernd Steinke, Geschäftsführer der BAR, moderierten die Veranstaltung. Rund 130 Teilnehmer aus Ministerien und Verwaltungen, von den Rehabilitations- und Sozialleistungsträgern, von Organisationen der Betroffenen, aber auch von Vertretern der Arbeitgeber und Gewerkschaften, der Betriebs- und Werksärzte, der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter und der Sozialgerichtsbarkeit zeigen das breite Interesse am Tagungsthema.

Reinhard Ebert, alternierender Vorstandsvorsitzender der BAR, wies in seinen Ausführungen zur Zielsetzung der Tagung darauf hin, dass die BAR gerade eine gemeinsame Empfehlung zur Verbesserung der gegenseitigen Information und Kooperation der beteiligten Akteure - die Rehabilitationsträger, behandelnden Ärzte sowie die Betriebs- und Werksärzte - auf den Weg gebracht habe. Neben der betrieblichen Ebene sollen in einer weiteren Empfehlung auch andere Personengruppen in ein Frühwarnsystem einbezogen werden, mit dem Ziel, frühestmöglich einen Teilhabebedarf bei Menschen mit bestimmten Risikokonstellationen zu erkennen. Er unterstrich, dass Empfehlungen „totes Papier” bleiben, wenn es nicht gelingt, die dort formulierten Grundsätze und Inhalte in die Praxis zu übertragen. Bernd Steinke (BAR) hob die Bedeutung des SGB IX als Leitbild für die Prävention und Rehabilitation hervor. Durch geeignetes Teilhabemanagement sollen Teilhabeverfahren über alle Sektoren des Rehabilitations- und Gesundheitswesens hinweg nahtlos gelingen und in engmaschigen Kooperationsnetzen umgesetzt werden. Der gesellschaftspolitische Lösungsansatz des SGB IX zielt hier auf eine stärkere Vernetzung der Akteure und Prozesse.

Die zentralen Ergebnisse des PRVE-Projektes sowie zukünftige Handlungsfelder stellte Dr. Hans-Martin Schian (IQPR) vor. Um Erwerbsminderung zu verhindern, ist es notwendig, die Beschäftigungsfähigkeit frühzeitig und kontinuierlich zu fördern; außerdem gilt es das rehabilitative Potenzial des Betriebes systematischer als bisher zu nutzen. Dies ist u. a. eine zentrale Aufgabe von Disability-Management.

Das PRVE-Projekt lässt erkennen, dass der Grundsatz „Rehabilitation vor Rente” optimierbar ist. Antragszugänge, Finanzvolumen und Bezugsdauer von Erwerbsminderungsrenten, die sich verschärfenden demografischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Betriebe, Arbeitsmarkt und die soziale Sicherung erfordern eine zukünftige Prozessgestaltung im gegliederten System, die deutlich über die Verantwortungsgrenzen des einzelnen Trägers hinausgeht. Dies bedeutet, Aufgaben und Leistungen der Rehabilitationsträger und die Gesichtspunkte der betroffenen Menschen unter den neuen sozialrechtlichen Folgen des SGB IX zusammenzuführen. Hierzu wurde das Thema „Erwerbsminderung” im Kontext des SGB IX von Sabine Dalitz (IQPR) und aus dem Blickwinkel der Betroffenen von Ulrich Laschet (VdK) dargestellt.

Im Themenblock Eingliederungs- und Disability-Management zeigte Harald Kaiser (IQPR) entsprechende Managementmöglichkeiten in großen Unternehmen auf. Dies wurde den Tagungsteilnehmern am gelungenen Beispiel der Ford Werke AG Köln durch den Werksarzt Dr. Erich Knülle eindrucksvoll in einem Video präsentiert. Das dort eingesetzte System, basierend auf Verfahren zum Vergleich von Fähigkeits- und Anforderungsprofilen, wurde durch den ersten deutschen Reha-Preis des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften ausgezeichnet. Eine europaweite Struktur des Disability-Management wird derzeit aufgebaut, um weitere europäische Produktionsstätten von Ford einzubeziehen. Matthias Mozdzanowski, Geschäftsführer des IQPR, erläuterte das in Kanada entwickelte Disability-Management sowie Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit auf das deutsche Sozialsystem. Zum Beispiel bietet das kanadische System monetäre Anreize für Unternehmen, die erfolgreich ein Audit im Disability-Management absolviert haben. Auch in Deutschland wird derzeit die Möglichkeit der Auditierung und Zertifizierung von Unternehmen vorbereitet. Bernd Petri von der Bezirksverwaltung Dresden der Verwaltungsberufsgenossenschaft berichtete den Teilnehmern über ein Praxisprojekt zum Disability-Management.

Konzeptionsgrundlagen - im Hinblick auf Frühzeitigkeit, Systematik und Datenerhebung - sowie Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines Frühwarnsystems, welches sich in Großbetrieben durch klare personelle Zuordnung z. T. leichter umsetzen lässt als in mittleren oder kleinen Betrieben ohne eigenen betriebsärztlichen Dienst und ohne eigene Personalabteilung, wurden von Dr. Gisela Nellessen (IQPR) dargelegt. In der anschließenden Diskussion traten die Probleme des Datenschutzes, insbesondere, wenn die Daten von verschiedenen Leistungsträgern wie Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitsverwaltung etc. stammen, als offensichtliches Hindernis zutage.

Die Bedeutung der speziellen Arbeitsbedingungen für ein Frühwarnsystem konnte Prof. Dr. Kurt Landau vom Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt aus ergonomischer Sicht belegen. So sind die arbeitsplatzbezogenen Risiken mit dem individuellen Risiko des betroffenen Arbeitnehmers abzugleichen und daraus eine Diagnose im Zusammenhang mit der Tätigkeit abzuleiten.

Detlef Glomm vom Verband der Betriebs- und Werksärzte und Uwe Gaßmann von der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz fokussierten die Problematik eines Eingliederungsmanagements auf kleine und mittlere Unternehmen. Gerade bei gesundheitlichen Problematiken der Arbeitnehmer bedarf es der Hilfestellung für den Arbeitgeber in Form von Informations- und Beratungsangeboten. Am zweiten Veranstaltungstag griffen Christof Schmidt und Holger Wellmann (IQPR) in ihren Referaten das Thema Beratung im Kontext zur Rehabilitation und Erwerbsminderung auf. Wichtiger Bestandteil dieser Beratung ist neben der allgemeinen Information die Klärung des Beratungsbedarfs und der Ziele sowie die Stärkung des Selbstbewusstseins des Betroffenen, aber auch Zugangshürden zu erkennen und abzubauen.

Beiträge zum Thema Beratung der betrieblichen Akteure folgten von Hans-Joachim Knoll (RE-INTEGRA, Mainz) und Edine Akre (Outplacement Büro, Hamburg). Insbesondere die Arbeitgeberberatung und der Kontakt zum Unternehmen, auch über den individuellen Fall hinaus, wurden hier als wichtige Grundlage herausgearbeitet. Für eine Früherkennung sind Instrumente sowie deren Verarbeitung und Umsetzung in Maßnahmen und Entscheidungen erforderlich.

Hubert Seiter, Direktor der LVA Baden-Württemberg, stellte in seinem Beitrag zum Thema Beratung die Servicestellen in den Mittelpunkt. Bei der Beratung zur Integration von behinderten Menschen sollten seiner Erfahrung nach immer die Behindertenverbände mit einbezogen werden. Seiter berichtete von sehr erfolgreichen Präventionsprojekten der LVA Baden-Württemberg, in denen z. B. Leistungen der Rentenversicherung mit Leistungen der Krankenkasse verbunden werden, und über Modelle, bei denen schwerbehinderte Menschen ihren zusätzlichen Urlaub für eine Präventionswoche nutzen.

Gutachten, deren Ziele ebenso wie der Umfang transparenter Befunde und Kriterien waren ein weiterer Schwerpunkt der Tagung. Hier betonte Sabine Dalitz, dass unabhängig von der Frage geldlichen Ausgleichs stets die Frage der sozialen Teilhabe zu prüfen ist. Dazu sind zahlreiche nützliche Instrumente heranzuziehen, die anders als die im Diagnoseschema (ICD) erfassten Gesundheitsstörungen auch Angaben über Aktivitäten und Teilhabe enthalten. Diese Assessments machen Fachgutachten auch für andere Berufsgruppen verständlich und tragen so zur Transparenz bei. Die Darstellungen von Prof. Ingo Froböse erläuterten dieses auf der Grundlage des ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit). Hierzu ist die Leistungsfähigkeit, Motivation und das Selbstkonzept des betroffenen Menschen im Zusammenhang mit den Umwelt- bzw. Kontextfaktoren (betriebliche und allgemeine Arbeitssituation) ressourcenorientiert, dialogorientiert, interdisziplinär und individuell zu betrachten. Die Problematik von Begutachtung und Assessment im Rahmen des Erwerbsminderungsverfahrens aus der Sicht der Rentenversicherung wurde zum Schluss von Dr. Wolfgang Cibis, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, kritisch dargelegt, insbesondere unter dem Aspekt, dass Begutachtungen nur eine Momentaufnahme widerspiegeln.

In der abschließenden, sehr regen Podiumsdiskussion zeigte sich, dass die große thematische Bandbreite der Tagung erforderlich war, um die Probleme im Zusammenhang deutlich zu machen. Dies wurde auch aus der Sicht des Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung durch Dr. Hartmut Haines begrüßt.

Nähere Information zur Tagung und zum PRVE-Projekt (auch als CD-ROM) sind zu erhalten über das Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation, Sürther Straße 171, 50999 Köln, Tel.: 02 21/35 97-5 50, Fax: -5 55.

Doris Habekost

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation

Walter-Kolb-Straße 9 - 11

60594 Frankfurt/Main

Email: doris.habekost@bar-frankfurt.de

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